Mittwoch, 29. Juli 2015

Summer in the City

Gestern war es heiss in Montréal. Die Steinfassaden schleuderten die Hitze zurück in die roten Gesichter der Touristen, die sich jetzt die Altstadt anschauen mussten, weil es so geplant war. Sie gingen langsam durch die Strassen, mal hintereinander auf schmalen Gehwegen, dann wieder in kleinen Grüppchen dort, wo die Strasse versuchte, einer Fussgängerzone zu gleichen. (Fussgängerzone, so ein revolutionär europäischer Gedanke!). Nicht schlendernd, denn Schlendern bedeutet, dass man die Langsamkeit geniesst, man aber auch durchaus schneller gehen könnte, wenn es sein müsste - nein, schleppend, weil die Hitze auf den Kopf drückte und keinen schnelleren Schritt zuliess. Vor Eisdielen bildeten sich Schlangen, auf Terrassen rückten die Leute unter den Sonnenschirmen zusammen, manchmal kam aus einer Garageneinfahrt ein Geruch nach Müll oder Pferdedung herausgeschossen. Das Wasser des Sankt-Lorenz-Stroms plätscherte kühl und war ganz nah, schliesslich liegt die Altstadt direkt am Hafen, wie es sich gehört. Dennoch ist das Wasser in Montréal seltsam unzugänglich, denn von Infrastrukturen verbaut: Hafenanlagen, Lagerhallen, Züge und Kaimauern wehren diejenigen ab, die versuchen könnten, die Hand ins Wasser zu strecken oder gar baden zu wollen. Es gibt zwar einen (künstlichen) Strand in Alt-Montréal, der aber nur Sand und Liegestühle bietet, aber keine Bademöglichkeit. Das haben die Stadtplaner Generation um Generation versautbaut.

In dieser Hitze gehen die Leute einander auf die Nerven. Väter herrschen ihre halbwüchsigen Söhne an, die in schiefer Körperhaltung vor ihnen gehen, die Hände in den Hosentaschen: "Wie du läufst!", als hätten sie sie das ganze Jahr über nicht gehen sehen. "Können wir jetzt ins Hotel zurück?", fragen die Söhne als Antwort, um sich zu rächen. Die Mütter überlegen sich, wie es wohl wäre, getrennt Urlaub zu machen - die Kinder in ein Feriencamp, wo ein Sportangebot das andere jagt, nur kurz unterbrochen von diversen Computerspielpausen und Essenszufuhr ohne Ende, während die Eltern in Ruhe besichtigen können, die Zeitung lesen, einen Aperitif trinken und sich ein Konzert anhören. Selbst ein Eis bringt nicht die Rettung, die man sich davon versprochen hat, denn als das kleine Mädchen mit ihrem rosablauen Eis aus der Eisdiele ins Freie tritt, sagt sie empört: "Das schmeckt gar nicht nach Kaugummi!"

Lilli geht ins Tourismusbüro und holt Prospekte für ihren Bruder, der sie in zwei Wochen besuchen kommt. Montréal ist keine Stadt, die sich gut besichtigen lässt. Dazu ist das Wetter zu unberechenbar und die Sehenswürdigkeiten (zumindest für Europäer) zu unscheinbar, die Hinterhöfe und Baustellen zu allgegenwärtig. Erleben muss man sie, damit sich ihr Charme erschliesst - wenn man ihr die Chance lässt.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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