Mittwoch, 21. Oktober 2015

Lilli macht platt

"Mutter und Kind sind wohlauf und das Mädchen heisst Danae", verkündet die Sekretärin im Büro. Alle freuen sich für die Kollegin, wundern sich aber über diesen nie gehörten Namen. "Wie schreibt man das" und "Wo kommt das wohl her", schwirren die Fragen um den Mittagstisch. Lilli räuspert sich, dann erklärt sie: "Danae, griechische Mythologie. Danae wird von Zeus vergewaltigt, der ihr in Form eines Regenschauers erscheint."

Die Kollegen sind platt, dass Lilli sowas weiss. Griechische Mythologie war schon immer ein Thema in ihrem Elternhaus, das hat nichts mit der Schulbildung zu tun (im Gegenteil, die Strolche lernen hier in Kanada mehr über griechische Mythologie als Lilli damals in ihrer deutschen Schule). Es sind nicht unbedingt nützliche Kenntnisse, aber irgendwie ist es für Lilli doch beruhigend, solche Verbindungslinien in die (sehr frühe) Vergangenheit knüpfen zu können. Daraus resultiert ein grösseres Verständnis der Menschheit oder ein grösseres Vertrauen darin, als Mensch an einem Gesamtkunstwerk teilzuhaben. Die alten Griechen, gar nicht so anders in ihren Erlebnissen und Bedürfnissen als die Leute heute, ein tröstender Gedanke.

Lillis kaltes Herz

Lillis Vater wird dement. Er findet nachts, wenn er aufs WC muss, anscheinend nicht mehr in sein Bett zurück, verwechselt den Schlafanzug mit dem Heizkissen und guckt, bevor er mit dem Essen anfängt, welches Besteck die anderen benützen, um es ihnen dann gleichzutun.

Lilli hört diese Berichte von der Mutter und der Schwester und empfindet, ja was empfindet sie eigentlich? Weniger Trauer, als sie dachte. Vielleicht ist die Entfernung ein Faktor, der die Gefühle eindämmt, vielleicht ist es die Tatsache, dass sie es nur von anderen hört und nicht selbst Zeuge seiner Verlorenheit sein muss. Um sie herum sterben junge Leute bei Autounfällen, Freunde von ihr haben Krebs und Multiple Sklerose, ein Kind hat Mukoviszidose. Ihr Vater hatte 83 schöne Jahre. Sie empfindet mehr Mitleid mit ihrer Mutter, die den Vater jetzt wie ein Kind überwachen und anleiten muss, als für ihren Vater, der es nicht zu merken scheint, dass er in ein anderes Land abgedriftet ist. Ist das schlimm?

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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