Wir sind kultiviert

"Sind Québecer kultiviert?", wollte vor kurzem die Montréaler Zeitung wissen und hat die Leute mit einem aus 33 Fragen bestehenden Quiz über Allgemeinwissen getestet. Das Ergebnis ist der Schocker: die Teilnehmer erzielten im Durchschnitt magere 42 % und die Männer schnitten besser (sagen wir mal: weniger schlecht) ab als die Frauen. Sofort musste Monsieur sich selbst und auch Lilli dem Test unterziehen, mit dem Ergebnis, dass er 75 % und Lilli 70 % richtig hatten. Man liegt also über dem Durchschnitt, was für eine Erleichterung! Lilli als Einwanderin hatte natürlich den Nachteil, in kanadischer und lokaler Geschichte nicht Bescheid zu wissen - es bleibt die Frage, ob sie in deutscher und europäischer Geschichte besser abgeschnitten hätte... Auch muss Lilli eingestehen, dass die Schulbildung der Strolche ihr zu aktuellem Wissen verhilft, das andernfalls nicht zugänglich gewesen wäre: sie weiss nur, dass Neptun und nicht Pluto der am weitesten von der Sonne entfernte Planet ist, weil die Strolche ihr es erzählt haben. Und auch den grössten Ozean hätte sie ohne die Strolche nicht geschafft.

Viel wichtiger als die Frage, wie gut man in diesem Quiz abschneidet, findet Lilli es, sich darüber Gedanken zu machen, was denn nun "kultiviert" eigentlich heisst. Ist man kultiviert - so die Behauptung der Zeitung jedenfalls -, weil man weiss, dass der Montréaler Hockeyspieler Maurice Richard 1955 im Zuge einer Auseinandersetzung mit einem Linienrichter einen Aufstand ausgelöst hat? Welche kanadische Autorin den entsetzlich deprimierenden Roman "Bonheur d'occasion" geschrieben hat? Wie man eine Rezession definiert und welcher Filmemacher Starwars gedreht hat? Lilli jedenfalls hat das mulmige Gefühl, dass kultiviert sein etwas anderes sein müsste. Zum Beispiel, dass es zu tun hat mit Kultur, also mit Kunst und Literatur und Musik und Theater, und auch mit anderen Kulturen dieser Welt. Oder ist das Kultiviertsein nur auf die unmittelbare Umwelt bezogen, in der man lebt, auf die örtliche Geschichte und die Kultur, die das Fernsehprogramm vermittelt? Wenn das alles ist, was von einem kultivierten Menschen erwartet wird, steht es schlecht um die Menschheit...

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Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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