In Chemie war Lilli noch nie gut

Die "Zeit der Gemeinsamkeit" wird immer weniger. Lange war es so, dass Lilli, Monsieur und die Strolche sonntags was gemeinsam unternahmen. Unter der Woche hat ja jeder so seine Aktivitäten und Hausaufgaben noch dazu, samstags haben die Freunde Vorrang, aber sonntags! Sonntags sollte keiner Verabredungen treffen, damit alle zusammen einen Fahrradausflug oder Schwimmbadbesuch machen konnten. Wenn Lilli Gluck hatte, ging es in ein Museum, wenn sie Pech hatte, musste die Schwiegerfamilie besucht oder die Hecke geschnitten werden, aber immerhin machten sie was zusammen. Der kleine Strolch nannte das die "Atomfamilie" (la famille atomique) und verfehlte damit nur knapp den korrekten Ausdruck "Kernfamilie" (la famille nucléaire). Seit einiger Zeit aber klappt das nicht mehr. Die Strolche haben Hausaufgaben und ansonsten generell keine Lust, was mit den Eltern zu unternehmen, und auch Monsieur schiebt Arbeit vor, um diese dann mit dem Laptop auf den Knien vor dem Fernseher und seinem unendlichen Sportangebot zu erledigen. Gestern war Lilli mit dem kleinen Strolch Schuhe kaufen, und als sie hinterher vorschlug, noch im Park spazieren zu gehen, meinte er, dass ja schon das Schuhekaufen als gemeinsame Aktivität zählte und er sich somit seiner sonntäglichen Pflichten entledigt hätte. Am Sonntag zuvor war Lilli mit den Strolchen in der Ausstellung über Höhlenmalerei und fühlte sich geradezu verpflichtet, sich bei den Strolchen für ihre Begleitung zu bedanken. Wenn ihre Eltern sie DAMALS in so eine Ausstellung mitgenommen hätten...

Das langsame Aussterben der gemeinsamen Zeit festzustellen ist eine Sache, eine ganz andere ist es, damit umzugehen. Lilli fragt sich: verlangt sie zuviel von ihren pubertierenden Söhnen? Ist sie ihnen ein Klotz am Bein, erdrückt sie sie mit ihren Forderungen nach mehr Familienzeit? Oder darf sie es noch, weil es zwar ganz normal ist, dass Jugendliche ihre Familie lästig finden, es ihnen aber trotzdem guttut, zwanglose Freizeit mit Mama und Papa zu verbringen? Denn um freie Zeit geht es hier ja, um ein paar entspannte Momente, die man zusammen verbringt und die anders sind als die Begegnungen unter der Woche, bei denen unterschwellig Spannungen bestehen, die durch unaufgeräumte Zimmer, Trödeln oder schlechte Tischmanieren hervorgerufen werden. Kurzum: soll Lilli weiter Vorschläge machen oder sich schleunigst nach anderen Freunden umsehen und ihre Kinder in Ruhe lassen? Was aber wird dann aus der Atomfamilie? Ein Molekül mit freien Radikalen?
iGing - 22. Sep, 10:43

Solange sie nicht sagen "Mama, geh mal auf die andre Straßenseite, da vorne kommt ein Freund von mir", sind Sie noch gut dran mit Ihren Zöglingen. ;-)

Lilli legt los - 22. Sep, 10:47

Nein, soweit sind sie noch nicht. Ich "darf" sogar noch zuschauen, wenn sie ein Hockey- oder Basketballspiel haben, und mich offiziell als die Mutter ausweisen.
Zwitschie (Gast) - 23. Sep, 03:02

Sie schreiben, es sei zwanglose Zeit, dabei habe ich Zeit, die ich nicht mit meinen Eltern verbringen wollte, aber mußte, immer als Zwang empfunden. Vielleicht wollen die Strolche etwas eigenes schaffen. Nach diesem Paukenschlag weiß ich aber nicht mehr viel zu sagen, denn eine Lösung habe ich auch nicht. Es wäre natürlich einfacher, wenn Sie Monsieur hinter sich hätten. Solange es ein regelmäßiges Beisammensein z. B. am Abendbrottisch gibt, wird der Zusammenhalt aber doch nicht verschwinden. Was in solchen Situationen 'richtig' ist, weiß ich auch nicht.

Zwitschie (Gast) - 23. Sep, 03:04

Korrektur: Sie schreiben 'freie Zeit', dann war sie bei mir unfrei.
Lilli legt los - 23. Sep, 18:23

Oft ist es so, dass der grosse Strolch eher freiwillig und der kleine Strolch unfreiwillig mitgeht - oder der eine seinen Unmut zeigt und der andere nicht. Und meist gefällt es ihnen dann doch ganz gut und sie waren froh, gezwungen worden zu sein. Und dann wieder frage ich mich, ob jetzt nicht die Zeit gekommen ist, das Zwingen sein zu lassen, weil sie in einem Alter sind, in dem sie ihre eigenen Wege ohne die Eltern gehen müssen. Die ewige Frage, die sich Eltern stellen: wie mache ich mein Kind glücklich? Oder wie schade ich ihm am wenigsten?

P.S.: Ich erinnere mich noch genau an die blöden Sonntagsspaziergänge, auf die ich immer mitmusste, obwohl ich viel lieber zuhause geblieben wäre. Deshalb biete ich meinen Kindern ja so "tolle" Aktivitäten an - solche, die ich selbst gerne mal mit meinen Eltern gemacht hätte. Jetzt gehe ich übrigens gerne spazieren und keiner will mit.

P.P.S.: Befreundete Eltern sagen, dass es ab einem bestimmten Alter keine Aktivität gibt, die so toll ist, dass die Kinder sie mit den Eltern machen wollen...
Lilli legt los - 23. Sep, 18:34

Wir essen zusammen und wir sehen zusammen fern. Meist amerikanische Serien wie Breaking Bad diesen Sommer oder Homeland jetzt gerade. (Machen die Medizinernachbarn auch! Dann kann es ja nicht so schlimm sein...) Das Fernsehen wiederum liefert Diskussionsstoff für das gemeinsame Essen. Das ist wahrscheinlich mehr gemeinsame Zeit als bei vielen anderen Familien, steht hier in der Zeitung. So richtig genug finde ich es trotzdem nicht, aber vielleicht verlange ich einfach zuviel?

Trackback URL:
https://laufnotizen.twoday.net/stories/986130830/modTrackback

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 5840 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

Credits

Web Counter-Modul


Laufen
Lillis Positiv-Pakt
Mitmenschen
Reise in den Abgrund
Selbständig arbeiten
Strolche
Zeitmanagement
Zonstiges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
Blog Top Liste - by TopBlogs.de Blog Verzeichnis Bloggeramt.de