Ein richtiger Marathon, das
Gestern abend waren Lilli und Monsieur zum Sommeressen seiner Firma in einem privaten Club eingeladen, wodurch sie mal wieder einen seltenen Einblick in die gehobene Montrealer Büroszene erhaschen konnte:
Hier gibt es viele erfolgreiche Frauen, die meist in Schwarz (und sommerlichem Grau) gekleidet große Steine an den Fingern tragen und ihre Haare mit dem Glätteisen auf Hochglanz bringen. Es gibt auch richtig schön weibliche Frauen mit Blumenkleidern und hochgesteckten Haaren oder kurzen Locken, aber die werden von diesen geklonten Erfolgsfrauen oft ins optische und akustische Abseits gedrängt. Es gibt natürlich auch viele Männer, aber die sehen alle gleich aus und haben es schwer, sich von der Masse abzuheben. Unser feines Essen fing schon relativ schlecht an: die Erfolgsfrau, die in Gesprächsweite mit an unserem Tisch saß, war über fünfzig, hatte deshalb schon viel von der Welt gesehen und als langweilig eingestuft („ach, so eine Kreuzfahrt, nach vier Tagen hängt einem das viele Essen zum Hals raus“) und war darauf erpicht, sich durch Nörgeln interessant zu machen. Der Wein war ihr zu schlecht, die Vorspeise zu fad, die Suppe zu kalt (es war eine Gazpacho-Variante, die kalt serviert wurde, aber das nur nebenbei). Solche Menschen kann man nun entweder im Stillen verfluchen, während man mühsam Smalltalk macht und die Crème brûlée herbeiwünscht, oder man kann versuchen, sie durch eine (völlig unverdiente, aber wir sind ja großzügig) Überdosis an Interesse wie einen Handschuh umzudrehen. Seit ich diese Strategie adoptiert haben, werde ich von vielen Leuten als ganz reizende Person eingestuft – weil ich ihnen ihre Viertelstunde Rampenlicht gebe, in der sie sich ganz so profilieren können, wie sie möchten. Ich bin dann sozusagen die blanke Leinwand, auf der sie ihr Porträt malen können, und manchmal ist das Porträt dann hinterher gar nicht so abscheulich, wie man es dem ersten Eindruck zufolge hätte befürchten mögen. Gestern zum Beispiel traf es sich, dass die Nörglerin zuerst viele breite, unelegante Pinselstriche auftrug: sie rollte mit den Augen, als ihr Mann vom Golfspielen sprach, sie ließ sich abschätzig über ihren Mercedes aus (die Schwäbin in mir schürzte dabei gekränkt die Lippen), sie erklärte, dass es auf einer Alaskakreuzfahrt außer Landschaft nicht viel zu sehen gibt und man am besten mit Telefonumfragen umgeht, indem man die Anrufer patzig zurechtweist. Dann aber tunkte sie den Pinsel zu einer neuen Anekdote ein und strichelte dabei beiläufig in eine Ecke, dass sie morgens gerne läuft, und bums hatten wir ein Gesprächsthema, für das wir uns beide begeistern konnten. Der Rest des Abends wurde mit Diskussionen über Wegstrecken, Laufhäufigkeiten und die richtigen Schuhe ganz schwerelos bewältigt, und selbst die Tatsache, dass sie sich das Hauptgericht ganz anders vorgestellt hatte, stachelte sie nicht mehr zu größeren Nörgeltiraden an.
Die Crème brûlée kam schließlich schneller als erwartet.
Hier gibt es viele erfolgreiche Frauen, die meist in Schwarz (und sommerlichem Grau) gekleidet große Steine an den Fingern tragen und ihre Haare mit dem Glätteisen auf Hochglanz bringen. Es gibt auch richtig schön weibliche Frauen mit Blumenkleidern und hochgesteckten Haaren oder kurzen Locken, aber die werden von diesen geklonten Erfolgsfrauen oft ins optische und akustische Abseits gedrängt. Es gibt natürlich auch viele Männer, aber die sehen alle gleich aus und haben es schwer, sich von der Masse abzuheben. Unser feines Essen fing schon relativ schlecht an: die Erfolgsfrau, die in Gesprächsweite mit an unserem Tisch saß, war über fünfzig, hatte deshalb schon viel von der Welt gesehen und als langweilig eingestuft („ach, so eine Kreuzfahrt, nach vier Tagen hängt einem das viele Essen zum Hals raus“) und war darauf erpicht, sich durch Nörgeln interessant zu machen. Der Wein war ihr zu schlecht, die Vorspeise zu fad, die Suppe zu kalt (es war eine Gazpacho-Variante, die kalt serviert wurde, aber das nur nebenbei). Solche Menschen kann man nun entweder im Stillen verfluchen, während man mühsam Smalltalk macht und die Crème brûlée herbeiwünscht, oder man kann versuchen, sie durch eine (völlig unverdiente, aber wir sind ja großzügig) Überdosis an Interesse wie einen Handschuh umzudrehen. Seit ich diese Strategie adoptiert haben, werde ich von vielen Leuten als ganz reizende Person eingestuft – weil ich ihnen ihre Viertelstunde Rampenlicht gebe, in der sie sich ganz so profilieren können, wie sie möchten. Ich bin dann sozusagen die blanke Leinwand, auf der sie ihr Porträt malen können, und manchmal ist das Porträt dann hinterher gar nicht so abscheulich, wie man es dem ersten Eindruck zufolge hätte befürchten mögen. Gestern zum Beispiel traf es sich, dass die Nörglerin zuerst viele breite, unelegante Pinselstriche auftrug: sie rollte mit den Augen, als ihr Mann vom Golfspielen sprach, sie ließ sich abschätzig über ihren Mercedes aus (die Schwäbin in mir schürzte dabei gekränkt die Lippen), sie erklärte, dass es auf einer Alaskakreuzfahrt außer Landschaft nicht viel zu sehen gibt und man am besten mit Telefonumfragen umgeht, indem man die Anrufer patzig zurechtweist. Dann aber tunkte sie den Pinsel zu einer neuen Anekdote ein und strichelte dabei beiläufig in eine Ecke, dass sie morgens gerne läuft, und bums hatten wir ein Gesprächsthema, für das wir uns beide begeistern konnten. Der Rest des Abends wurde mit Diskussionen über Wegstrecken, Laufhäufigkeiten und die richtigen Schuhe ganz schwerelos bewältigt, und selbst die Tatsache, dass sie sich das Hauptgericht ganz anders vorgestellt hatte, stachelte sie nicht mehr zu größeren Nörgeltiraden an.
Die Crème brûlée kam schließlich schneller als erwartet.
Lilli legt los - 27. Mai, 10:18