Lilli und der Inder
Lilli hat ein aufregendes Leben, manchmal wenigstens. So war sie am Samstag nichtsahnend mit Mann und Maus auf dem Weg zur Schwiegermutter, als plötzlich ein Abstecher auf ein Frachtschiff aus Hongkong gemacht werden musste. Nachdem der Weg zur Anlegestelle an haushohen Bergen von Schotter unterschiedlicher Färbung vorbei (wahrscheinlich Koks, Erz und all so was, aber wer kann das schon ohne Untertitel erkennen?) endlich gefunden und die mit Schmiere schwarz glänzende Gangway erklommen worden war, wurden Lilli und die Strolche vom indischen Chefingenieur überaus herzlich an Bord in Empfang genommen. Sie haben ein rotes Gebräu aus Rosenblättern und Kräutern getrunken, das direkt aus Indien kam und nicht nur den Körper, sondern auch den Geist erfrischen sollte (entsetztes Kopfschütteln der Strolche), dazu Mars-Riegel gegessen (schüchternes Nicken der Strolche, gefolgt von zufriedenem Kauen), die Brücke besichtigt und über Kinofilme, Musik und Kricket gesprochen – was die Besatzung manchmal in den Laderäumen spielt, wenn diese leer sind. Die Zeit verflog, und Lilli musste daran denken, wie seltsam es doch ist, dass man immer wieder an den seltsamsten Orten Menschen wie diesen charmanten jungen Inder kennenlernt, die einem völlig fremd sind, denen man sich aber sofort nah und verbunden fühlt, obwohl ihr Leben in völlig unterschiedlichen Bahnen verläuft. Heute ist der Inder, dessen Vornamen „gewinne jetzt“ bedeutet, auf dem Weg nach Polen, während Lilli hier sitzt und die Begegnung wie einen weiteren glatten Kieselstein in ihr Erinnerungskästchen legt.
Lilli legt los - 8. Jul, 11:56