Montag, 15. September 2008

Lilli kauft eine Kommode

„Schön, dass Sie da sind! Kommen Sie rein, die Kommode steht bei meinem Sohn im Zimmer, am Ende des Flurs rechts. Ach ja, er schläft gerade, das stört Sie hoffentlich nicht.“ Die Menschen hier in Québec sind nett und unkompliziert. Es ist Samstag Mittag, Lilli ist bei Leuten, die sie nicht kennt, und besichtigt eine Kommode, die in den Kleinanzeigen angeboten wurde und allem Anschein nach einem 19-jährigen Jüngling gehört, der im Moment mit nacktem Oberkörper quer über seinem Bett liegt und schläft. Als Lilli prüft, wie gut sich die Schubladen öffnen und schließen lassen (nicht nur im Kopf, sondern auch im richtigen Leben ist das wichtigste an einer Schublade, dass sie gut zugeht), stellt sie fest, dass dieselbigen noch mit Unterhosen und allerlei anderem Kram gefüllt sind. Man wird sich schnell einig über den Preis, die Mutter räumt gut gelaunt die Schubladen aus, pfeffert alles aufs Bett neben ihren schlafenden Sohn und packt mit an, um das Möbelstück ins Freie zu hieven. Während Monsieur sich in Mr. Bean verwandelt, um die Kommode im Auto zu verstauen, nutzt die Mutter die Gelegenheit, um ihre Lebensgeschichte zu erzählen, die Gründe für den Verkauf der Kommode anzugeben, eine Hausbesichtigung anzubieten (die Lilli gerne mitmacht, gibt es doch nichts Aufschlussreicheres als private Räume), ein Glas Wasser darzureichen und ihre neuen Esszimmermöbel zu zeigen, die zu ihrem großen Leidwesen in Einzelteilen ("und dabei sind sie noch nicht mal von IKEA") geliefert wurden und sich bis jetzt nicht von selbst zusammengebaut haben. Lilli hat zwar sonst keine Ahnung von handwerklichen Dingen, ist aber im Umgang mit Sechskantschlüsseln geübt und hilft ihr, wenigstens den ersten Stuhl zu montieren. Danach sind alle Beteiligten glücklich über den Verlauf der Dinge und winken einander zum Abschied zu. Der große Strolch hat eine neue Kommode, Lilli hat viel Geld gespart und der 19-jährige Jüngling wird ein paar Stunden später seinen Rausch ausgeschlafen haben und sich wundern, warum eigentlich alle seine Unterhosen auf ihm draufliegen.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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