Lilli hat recht
Wer mit einem depressiven Menschen zusammenlebt, riskiert natürlich, sich anzustecken und die gleiche negative Haltung (nichts ist mehr wichtig, alles ist ausweglos) an den Tag zu legen. Oder die eigenen Probleme oder Fragen und sogar die kleinen Genüsse des Alltags im Vergleich zu dem dunklen Loch, in dem der Andere vor sich hin leidet, in einem – ja, wie soll man sagen – schäbigeren Licht sieht. So freut sich Lilli zwar an der Freude des kleinen Strolches, als der sein von ihr zusammengestoppeltes Halloweenkostüm anprobiert, ist sich aber gleichzeitig (mehr als sonst) darüber im Klaren, wie vergänglich dieser kleine Freudefunken doch ist. Sie genießt ihre Lieblingsfernsehsendung und sagt sich doch, dass sie nur fernsieht, weil es eine Ausflucht aus ihrem eigenen Leben ist, eine kleine Ruheinsel im Meer ihres traurigen momentanen Daseins. „Achtung, Achtung“, gehen zum Glück da die Warnlampen an, denn noch weiß Lilli ganz genau, dass diese Verschiebung der Perspektive auf Monsieurs Depression zurückzuführen und hochgradig ungesund ist. Noch weiß sie, dass sie recht hat, sich zu freuen, und es eben eine Frage der Zeit ist, bis Monsieur wieder genauso weit sein wird. Bis dahin ist sie irgendwie auf sich gestellt und findet Trost in ganz absurden Dingen wie der feuchten Wärme der Spülmaschine, die ihr beim Ausräumen entgegenschlägt, und der vollkommenen runden Form ihrer Teetasse, die sie beim Fernsehen in den Händen hin und her dreht.
Lilli legt los - 5. Nov, 09:15