Zartbitter
Der kleine Strolch braucht ein Babyfoto für die Schule und auch eine Anekdote. Um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, bietet Monsieur an, die alten Videofilme zu suchen, die sie vor neun Jahren gemacht haben, als die Videokamera neu war und noch nicht im Schrank unter den Anzügen von Monsieur (gleich neben der Hutschachtel) verstaubte. Bald darauf sitzt die ganze Familie vor dem Fernseher und sieht mit Staunen zwei winzige Jungs, die Lego spielen, sabbern, planschen und lautstark erklären, dass ihre Windel voll ist. Lilli wird es ganz anders dabei, denn diese Kinder, die ganz eindeutig ihre zwei Strolche sind, sind doch auch ganz andere Kinder, die sie einmal gekannt hat, die aber schon lange aus ihrem Leben verschwunden sind. Klar erinnert sie sich noch daran, wie schwierig es war, den kleinen Strolch zu füttern und wie gern der grosse Strolch mit Flugzeugen spielte. Klar erkennt sie in den Gesichtern der Kleinkinder, die auf dem Bildschirm begeistert in einen Karton klettern, die Züge ihrer inzwischen 9- und 11-jährigen Jungs, aber jetzt ist doch alles ganz anders. Jetzt schiebt der kleine Strolch ein Nutellabrot nach dem anderen in den Mund und der grosse Strolch macht Powerpoint-Präsentationen über den Beruf des Jetpiloten. Die grossen Kinder haben die Krabbelkinder verdrängt, aus Lillis Leben gestossen, und jetzt trauert sie ihnen nach, während sich alle anderen vor Lachen auf dem Sofa wälzen. Nostalgie hat immer einen bitteren Nachgeschmack, aber nie hätte Lilli gedacht, dass sie sich schon so früh einstellen kann. Bäh.
Lilli legt los - 27. Okt, 10:50