Etwas ungelenk läuft Lilli tatsächlich am nächsten Morgen los.

29. Februar 2008: Der Wecker ist geradezu eine Erlösung, denn Monsieur liegt neben mir und hustet ununterbrochen – wahrscheinlich hat ihn die Grippe jetzt auch erwischt. Draußen wird es gerade hell, und das in kanadischem Wetter geübte Auge kann abschätzen, dass es mächtig kalt sein wird. Also Skiklamotten anziehen, Schal, Mütze, Handschuhe, Stiefel. An Joggen ist so vermummt nicht zu denken, eher an ein zügiges Laufen, auch wegen der vereisten Gehwege. Ob es wohl so etwas wie Schneeketten für Turnschuhe gibt?

Um 6 Uhr 15 bin ich draußen. Vor dem Nachbarhaus steht ein schwarzer Pickup mit laufendem Motor und der Aufschrift „Der Wintergarten-Experte“. Hinter dem Steuer kann ich eine Silhouette erkennen, die einen Kaffeebecher umklammert hält. Also wird heute wieder an Nachbars Anbau weitergearbeitet und der Frühankömmling lässt Motor und Heizung laufen, während er auf seine Kollegen wartet. Es ist so kalt, dass mir beim Einatmen die Luft in den Nasenlöchern gefriert. Etwas ungelenk laufe ich los und versuche, so langsam wie möglich einzuatmen, um zu verhindern, dass mich die kalte Luft zum Husten bringt - wodurch ich erst recht außer Atem komme und zu keuchen anfange. Also Lilli, Laufen kann doch so schwer nicht sein? Nach zwei Straßenecken finde ich schließlich das richtige Atemtempo und merke, wie sich mein Körper erwärmt. Wenn ich keine dicke Daunenjacke anhätte, würde ich glatt wie ein olympischer Profi-Geher mit den Armen pendeln. Ich freue mich, schon so früh unterwegs zu sein, und komme mir vor, als hätte ich diese Zeit dem lieben Gott gestohlen. Eine halbe Stunde, in der niemand etwas von mir will, mir kein Abgabetermin im Nacken sitzt und mich auch kein Bügelbrett vorwurfsvoll ansieht, denn diese 30 Minuten habe ich mir selbst abgezwackt, aus den Rippen geschält sozusagen (also doch hergezaubert?). Als ich kurz vor 7 Uhr wieder in unsere Straße einbiege, sitzt der Wintergarten-Experte immer noch (!) mit laufendem Motor im Pickup. Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. Wäre er lieber mit mir mitgelaufen, das hätte ihm schon eingeheizt! Ich jedenfalls bin ganz schön ins Schwitzen gekommen, obwohl ich noch lange nicht müde bin und gerne noch eine Weile weiter gelaufen wäre. Ich bin gut gelaunt, geradezu euphorisch, und habe das Gefühl, heute schon viel geleistet zu haben.

Und zwar ganz im schwäbischen Sinne, etwas richtig Vernünftiges, für das man sich nicht zu entschuldigen braucht.

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Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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