Donnerstag, 19. November 2009

Novemberkoller

Manchmal sieht Lilli vor lauter Mängel das Kind nicht mehr. Als ob es sich um eine neue Version von Windows Vista handelte, mäkelt Lilli an dem großen Strolch rum: er hat sich nicht gekämmt, keinen Schal umgebunden, zu spät ist er auch wieder dran. Wie soll er den Schal auch finden, wenn er zu faul dazu ist, danach zu suchen? Wie die Zeit im Auge behalten, wenn er es nicht fertigbringt, eine Armbanduhr zu tragen? Und wie kann er lange Haar möchten, wenn es ihm schnurz ist, diese so ungepflegt zu tragen, als sei der Wind in ein Getreidefeld gefahren? Der große Strolch ist in einem Alter angekommen, an dem er solche Schimpftiraden wortlos über sich ergehen lässt und mit gesenktem Kopf durch die Tür verschwindet. Schweren Schrittes schleppt er sich in die Schule (wenn er doch nur mal richtig zu spät kommen würde!), während Lilli sich im Badezimmer ohrfeigt. Was plagt sie nur derzeit, dass sie so auf dem großen Strolch herumreitet? Sauerstoffmangel? Smog? Lichtentzug? Oder ist sie einfach dabei, sich in eine schreckliche Kastrationsmutter zu verwandeln, die ihren Sohn vermurkst, um ihn später den Psychiatern aufs Sofa zu treiben? Schnell einen Sandsack, sonst kommt hier noch jemand zu Schaden…

Lilli und die Ironie

Letzte Woche hatte Lillis Büro Besuch: der Personalberater, der im Beisein von Lillis Chefin ihr Vorstellungsgespräch im Juni geführt hatte, schaute auf einen Sprung vorbei. Mit seinem Rucksack und seinem gestreiften Schal sah er aus wie der kleine Prinz mit 19, und genauso unbefangen warf er Lilli über das gesamte Großraumbüro hinweg die Bemerkung zu, dass er doch einmal sehen musste, ob sie tatsächlich noch da war oder ob sie den Job bereits wieder geschmissen hätte. Dass er mit dieser ironisch gemeinten Frage fast ins Schwarze getroffen hätte, da Lilli in den ersten Wochen tatsächlich näher an der Kündigung dran war als Bella an ihrem Edward (Twilight, irgendwer?), konnte er zwar nicht ahnen, hätte er aber trotzdem als Möglichkeit in Erwägung ziehen müssen. Ironie darf in der rhetorischen Palette eines Personalberaters eigentlich nicht existieren, wenn er und seine Ratschläge ernst genommen werden möchten. Natürlich darf er auch nicht aussehen wie 19, aber dafür kann er nun wirklich nichts. Lilli jedenfalls lächelte nur schief und meinte mit einem schrägen Blick auf ihre Chefin, dass es ihr jeden Tag besser gefalle. Dass sie noch lange nicht davon überzeugt ist, die richtige Person für den Job zu sein, behielt sie hübsch für sich. Infragestellungen dieser Art stehen erst zwischen Weihnachten und Neujahr auf dem Kalender.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 5862 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

Credits

Web Counter-Modul


Laufen
Lillis Positiv-Pakt
Mitmenschen
Reise in den Abgrund
Selbständig arbeiten
Strolche
Zeitmanagement
Zonstiges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
Blog Top Liste - by TopBlogs.de Blog Verzeichnis Bloggeramt.de