Mittwoch, 18. März 2009

Immun

Der große Strolch muss zur Hepatitis-B-Impfung und zieht die Nummer 714. Kurz darauf wird die Nummer 642 aufgerufen – es sind also gut 70 Leute vor ihm dran. Lilli seufzt und stellt nach einem kurzen Blick auf das Wartezimmer fest, dass es sich hierbei um 70 Mädels handelt, die alle um die 16 sind und an diesem Abend gegen Gebärmutterhalskrebs geimpft werden sollen. Nun hat man selten Gelegenheit, so eine schöne Generationsstudie durchzuführen, bei der Lilli zu dem folgenden Ergebnis kommt:

Erstens haben sie alle lange Haare;
zweitens haben sie alle mehrere T-Shirts übereinander an, von denen es keines schafft, die BH-Träger vollständig zu verdecken;
und drittens haben sie nicht alle einen Busen, aber alle ein Handy.

Der große Strolch sitzt derweil unberührt auf seinem schwarzen Plastiklederstuhl und liest Tobie Lolness. Im Moment noch geht so viel weiblicher Charme ganz unbemerkt an ihm vorüber. In zwei Jahren hätte er sich bestimmt die Jacke ausziehen müssen, so heiß wäre ihm geworden.

Dienstag, 17. März 2009

Bankgeheimnis

Heute morgen hat sich Lilli doch tatsächlich ein etwas schickeres Top rausgesucht und Gürtel UND Halskette angelegt – weil sie bei der Bank vorsprechen musste. Wäre sie zum Arzt gegangen, hätte sie auch noch die Unterwäsche aufeinander abgestimmt. Aber auch nur dann.

Montag, 16. März 2009

Viel Spass

Seitdem der kleine Strolch nicht mehr mit den Kumpels Hockey spielen will, sitzt er in der Pause allein auf dem Schulhof. Jetzt aber hat er einen neuen Freund gefunden.

Lilli (erfreut): Und, was macht ihr so zusammen?
Der kleine Strolch: Ja, also, wir graben unter dem Schnee nach Eisstücken.
Lilli: Und dann?
Der kleine Strolch: Ja, also, die brechen wir dann ab.
Lilli: Und dann?
Der kleine Strolch: Dann bringen wir sie zur Treppe.
Lilli (neugierig): Und dann?
Der kleine Strolch: Dann bleibt einer stehen und bewacht sie, der andere geht zurück und bringt noch mehr.
Lilli (noch neugieriger): Und dann?
Der kleine Strolch: Dann reiben wir die Eisstücke an den Treppenstufen hin und her.
Lilli (kurz vor dem Platzen): Und DANN?
Der kleine Strolch (kopfschüttelnd, dass man seiner Mutter aber auch alles erklären muss): Das macht dann so Streifen.

Ah ja. Schliesslich hat keiner behauptet, dass das Spielen der Kinder den Eltern einleuchten muss.

Freitag, 13. März 2009

Er wächst und gedeiht

Lilli begegnet dem kleinen Strolch auf der Toilette. Es ist vier Uhr morgens. Verschlafen sagt der kleine Strolch: „Mama, ich wachse gerade, aber ich werde es allein machen, ok?“

Denn wenn der kleine Strolch Wachstumsschmerzen hat (die komischerweise immer mitten in der Nacht auftauchen), muss man ihm das Bein reiben. Bis er wieder einschläft. Nur heute nacht hat er entschieden, dass er das alleine kann. Da ist er wohl tatsächlich gewachsen...

Donnerstag, 12. März 2009

Winnenden in Kanada

Selten nur kommt Deutschland in den kanadischen Nachrichten vor. Gestern abend aber wurde Lillis Geburtsland schon im Aufmacher genannt, und etwas später fiel der Ortsname Winnenden, den Lilli gut kennt. Ihr Hautarzt war dort, früher mal, und der Optiker von Lillis Mutter, außerdem ist Winnenden so ein hübsches Städtchen, in dem man gut bummeln kann, weil alles so nah beieinander liegt. Winnenden hat auch eine psychiatrische Anstalt, weshalb Lillis großer Bruder, der Önologe, sie gern mit dem Abzählreim „Lilli geht nach Winnenden, in die Stadt der Spinnenden…“ hänselte. Gestern abend zischten also plötzlich Bilder aus Winnenden in Lillis Wohnzimmer: Realschule, Polizei, verängstigte Jugendliche, ein mit Bändern abgesperrter Autohändler, noch mehr Polizei. Und Angela Merkel, die sich in grauer langer Jacke an die Nation wendet, wovon leider nichts zu verstehen war, weil der kanadische Reporter seinen Bericht darübersprach. Nur kurz vor Ende des Berichts wurde der Originalton aufgedreht, um ein letztes deutsches Wort hören zu lassen, „fassungslos“. Lilli erinnert sich plötzlich daran, wie sie das erste Mal von einer Schießerei in einer Schule gehört hatte. Da hatte sie noch in Deutschland gewohnt, es war 1989 gewesen und hatte sich – seltsamerweise – in Montreal ereignet, als ein Mann in einer Fachhochschule auftauchte, die Tür zu einem Hörsaal aufriss, die Jungs aus der Vorlesung schickte und die Mädchen der Reihe nach erschoss. Auch damals hatte es keine Erklärung dafür gegeben, und Versuche, den Täter zu verstehen, indem man seine unglückliche Kindheit durchstöberte, blieben unbefriedigend. Jetzt gibt es einen Film darüber, „Polytechnique“, der zwar die Tat nachstellt, aber nicht den Anspruch erhebt, irgendetwas zu erklären. Wie könnte man auch? So oft es sich ereignet, bleibt es doch unverständlich, und man sitzt vor dem Fernseher und schüttelt den Kopf. Fassungslos.

Mittwoch, 11. März 2009

Geburtstagskakophonie

Torte backen und mit Gummibären verzieren. Luftballons aufblasen (dazu hinsetzen, sonst kippt Lilli um). Luftschlagen um die Esstischlampe drapieren, dabei missbilligend die Spinnweben abzupfen. Musik von Crazy Frog raussuchen. Wohnzimmertisch (oh ja, Lilli hat jetzt einen, aber das ist eine andere Geschichte) aus dem Weg schieben. Den Gästen die Jacken, Schals, Mützen, Handschuhe und Schneehosen abnehmen und gleich auf einen Bügel hängen, um Verwechslungen zu vermeiden. Ansteigenden Lärmpegel ignorieren, lächeln. Schreiende tanzende Kinder zu diversen Spielen auffordern und Regeln erklären, die keiner hören will. Crazy Frog singt „Cotton-Eyed Joe“. Die ganze Meute rausschicken zum Hockeyspielen. Ein Gruppenfoto machen, bei dem keiner mittun will. Dem kleinen Strolch ist die Mütze über die Augen gerutscht, zwei andere Jungs ziehen sich an den Ohren. Beim Heimkommen abzählen, ob auch noch alle da sind. Kerzen in die Torte stecken (Creme zu weich, läuft seitlich runter) und anzünden, Lied singen. Lächeln. Den kleinen Strolch davon abbringen, die Kerzen mit der Nase auspusten zu wollen. Milch einschenken, aufwischen, die vergessenen Papierservietten in der Küchenschublade suchen. Alle zum Händewaschen ins Bad schicken („aber Hände weg vom Türrahmen!“). Lächeln! Auf dem Sofa hüpfende Kinder dazu überreden, einzeln ihr Geschenk zu überreichen. Selbst gemalte Glückwunschkarten und mehr oder wenig sorgfältig ausgesuchte Geschenke bewundern, dabei heimlich Rückschlüsse über den Erziehungsstil der Eltern ziehen. Die Tüten mit den Abschiedsgeschenken hervorholen, den abholenden Eltern versichern, dass alles wunderbar gelaufen sei und alle ganz ganz brav waren. Sich endlich erschöpft aufs zerknautschte Sofa fallen lassen, möglichst ohne sich auf einen Luftballon zu setzen. Das Album mit den Fotos von der Geburt des kleinen Strolches hervorholen und sich daran erinnern, wie es war damals, als er vier Wochen zu früh auf die Welt kam und keine fünf Pfund wog. Die Nase so hässlich damals! Und wie er immer geschrien hat die ganze Zeit und rumgetragen werden wollte, pausenlos. Die Tränen abwischen, die plötzlich von nirgendwo her kommen, und sich wundern, dass das schon acht Jahre her sein soll. Und lächeln, was diesmal ganz leicht geht und ganz von selbst – zum ersten Mal an diesem Tag – weil Lilli doch weiß, dass nicht der Strolch derjenige ist, der die meisten Geschenke bekommen hat. Es ist alles in Ordnung, Lilli. Deine Wohnung ist ein Schlachtfeld, dein Trommelfell schwer geschädigt und Crazy Frog nahe daran, aus dem Fenster zu fliegen, aber genau so muss es sein an solch einem Tag. Kindergeburtstag.

Dienstag, 10. März 2009

Freizeitstress, gewollter

Wie es sich gehört, muss der große Strolch nach den Ferien einen Aufsatz über sein schönstes Erlebnis schreiben. Neu daran ist, dass er sein Werk am Computer verfassen soll, was bedingt durch die von ihm angewandte Einfingertipptechnik recht lange dauert. Nun hat der große Strolch ein Problem: der Text muss am Mittwoch abgegeben werden, er aber hat am Montagabend ein Eishockeyspiel und am Dienstagabend Fußballtraining. Voller Optimismus fängt er den Text am Montag nach der Schule an, stellt ihn aber bei weitem nicht fertig. Was nun? Am Dienstag wird er nicht daran weiterarbeiten können, da er nach der Schule noch Orchester hat und anschließend sofort ins Fußball muss. Danach muss gegessen werden und dann ist der große Strolch, wen wundert es, bettreif. Lilli, pragmatisch wie immer, wenn es sich nicht um sie selbst handelt, hat einen Vorschlag parat: eine der außerschulischen Aktivitäten – Hockey, Orchester, Fußball – muss diese Woche daran glauben, wobei der große Strolch sogar aussuchen könne, welche er streichen wolle. Der Strolch kontert mit einer anderen Idee: Lilli soll eine Entschuldigung für die Schule schreiben, in der sie erklärt, dass der große Strolch die Hausaufgabe aus verständlichen und ernstzunehmenden Gründen erst am Donnerstag abliefern kann. Lilli und der große Strolch sehen sich abwartend an. Jeder ist der Meinung, dass nur sein Vorschlag der richtige ist und keinerlei Kompromiss geschlossen werden kann. Als der Blickaustausch lange genug gedauert hat und zu keinem nennenswerten Ergebnis führt, kommt dem großen Strolch noch eine Eingebung: er steht am Dienstag einfach früher auf und tippt das Ding noch vor dem Frühstück in den Kasten. Und so geschah es auch tatsächlich heute morgen. Anstatt eine Aktivität zu streichen, kommt der Schlaf unters Messer, und dabei ist der große Strolch noch nicht einmal 10. Ob er das wohl von seinem Vater abgeguckt hat?

LilliwillsofortwiederzurückindieHütte.

Montag, 9. März 2009

Le voyage est toujours une halte dans la course

So hieß es jedenfalls in einem Theaterstück, das Lilli und Monsieur vor Jahren einmal gesehen haben. Wer auf eine Reise geht, hält den Lauf seines Lebens eine Zeitlang an – keine schön gefeilte Übersetzung, eher ein Rohling, der dennoch ausdrückt, worauf Lilli an diesem trüben Montagmorgen hinauswill: LilliwillzurückindieHütteundzwarsofort. Zurück zu den Bergen, die so still und unbewohnt dastehen, ohne sich einen Dreck um die kleinen Menschlein zu scheren, die auf ihnen spazieren gehen und sich dabei mit allerlei existentiellen Fragen herumschlagen. Zurück zu den zwei schwarzen Hunden, die sofort so zutraulich waren, dass sie einen in die Kniekehle stupsten, wenn man mal innehielt, um die glitzernde Schneelandschaft tief in die Lungen zu saugen. Und zurück zu den Tagen, die so ganz ohne Zeitdruck und Terminkalender dahinglitten und in deren Verlauf Lilli kein einziges Mal „Beeil dich“ sagen muss, weder zu den Strolchen noch zu sich selbst.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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