Mittwoch, 26. November 2014

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Wenn der grosse Strolch bei seinem Freund ist, fährt er mit dem Bus nach Hause. Wozu hat er schliesslich eine Monatskarte. Ganz normal ist das Verhalten aber hier in Nordamerika nicht. Hier sind die Eltern Chauffeur, weil sie davon ausgehen, dass es keinen Bus gibt - was auch oft stimmt, z.B. gibt es keinen Bus von Lilli bis zum Kieferorthopäden (seufz). Sie fahren ihre Kinder aber auch, weil man Kinder nicht allein durch die Welt irren lässt. Und sind dann froh, wenn das Kind mit 16 seinen Führerschein macht und fortan allein hin- und herfahren kann.

Der grosse Strolch aber hat eine deutsche Mutter, die, auch wenn sie Zeit hätte, ihn abzuholen, ihn mit dem Bus nach Hause fähren lässt. Weil ihm diese Selbständigkeit guttut. Allerdings muss er auf dem Weg zur Bushaltestelle durch einen finsteren Park, der jetzt im November nicht gerade von Spaziergängern und Hundebesitzern wimmelt. Was ihm da alles passieren könnte! So mutig Lilli ist - zu Weihnachten bekommt er ein Handy.

Montag, 24. November 2014

Mal was ganz Neues

Nachdem Lilli letzte Woche beim Windschutzscheibenkratzen ihre Uhr verloren und hinterher plattgefahren im Schnee wiedergefunden hat, kommt ihr ein Gedanke. "Und wenn wir dieses Jahr die Garage so weit freiräumen, dass wir das Auto darin parken können?", schlägt sie Monsieur vor. Ein revolutionärer Gedanke.

Samstag, 22. November 2014

Ohne Worte

Monsieur rastet aus. Er hat einen stressigen Tag hinter sich und dass der grosse Strolch sein Aquarium wieder einmal entgegen aller Versprechen nicht geputzt hat, kommt ihm jetzt gelegen, um auszurasten. Er tobt, flucht und schreit, der grosse Strolch weint, hinterher weint Monsieur im Schlafzimmer hinter geschlossenen Türen, weil er es bereut, sich nicht besser beherrscht zu haben.

Am Tag darauf spielen beide zusammen Gitarre, so richtig mit Verstärker und viel elektronischem Gejaule. So tun sie sich wieder zusammen.

Männer.

Freitag, 21. November 2014

Schwäbisch-chinesische Freundschaft

Gestern hat Lilli chinesische Dumplings gegessen - mit Fleisch, Zwiebeln, Kräutern und einem Schluck Fleischbrühe gefüllte Nudelpakete. Herrlich. Fast wie Maultaschen.

Strafarbeit

Heute musste der grosse Strolch zum ersten Mal in seinem Leben nachsitzen. Zweimal zu spät kommen gibt eine Stunde nachsitzen, in der er zuerst über seine Fehler referieren musste ("Warum bin ich hier?" und "Was kann ich tun, um es nicht wieder so weit kommen zu lassen") und danach verschiedene Klauseln der allgemeinen Verhaltensregeln abzuschreiben hatte - dreimal. Auch damit kann man eine Stunde füllen.

"Harry Potter musste mit seinem eigenen Blut schreiben", sagt Lilli, um den Strolch zu trösten. Gleichzeitig muss sie schmunzeln hinter seinem Rücken.

Mittwoch, 19. November 2014

Zeugnis

Der kleine Strolch ist jetzt im zweiten Jahr der Sekundarstufe, was der deutschen Klasse 8 entspricht. Die Einteilung in Gymnasium, Real- und Hauptschule gibt es in Québec nicht, da gehen alle auf die gleiche Sekundarschule bis Klasse 11, danach können sie dann noch weitermachen oder nicht. So jedenfalls sieht die Theorie aus, in der Praxis gibt es Privatschulen und öffentliche Schulen, und die Privatschulen suchen sich ihre Schüler nach einem Aufnahmetest aus, während die öffentlichen Schulen alle nehmen müssen, die übrig bleiben.

Die Strolche gehen also auf eine Privatschule, die für ihr anspruchsvolles Programm bekannt ist. Und obwohl beide dafür die Aufnahmeprüfung bestanden haben, was ja schon ein Zeichen dafür ist, dass sie beide dem Niveau entsprechen, hatte Lilli beim kleinen Strolch so ihre Zweifel. Das erste Jahr lief gut, was Lilli aber auch nicht sehr beruhigt hat, denn sie weiss ja, dass das noch als Kuschel- und Übergangsjahr relativ harmlos war. Jetzt aber standen die ersten Zeugnisse des zweiten Jahres an. Wenn Lilli ihren Sohn als Lernenden hätte einschätzen müssen, hätte sie, basierend auf dem, was sie so zuhause mitkriegt, eher Mittelmässigkeit vorgeschlagen: zwar mit schneller Auffassungsgabe ausgestattet, aber eher faul. Nervös manchmal und deshalb wohl in vielen Fällen unaufmerksam, besonders bei allen Fächern, die mit Geschichte, Politik, Ethik, Erdkunde und Chemie zu tun haben. Sieht nicht ein, wozu er mehr als Grundkenntnisse in Fremdsprachen bräuchte, und findet Französisch langweilig. Macht seine Hausaufgaben schnell schnell in der Schule und zeigt sie nicht her, während der grosse Strolch stundenlang damit zubringt....

Schön (wenn auch etwas befremdend, aber schön allemal), jetzt ein Zeugnis in der Hand zu halten, das durchweg gute bis erstklassige Noten zeigt. "Und besser als der Durchschnitt", wie Monsieur beeindruckt anmerkt, denn der Klassendurchschnitt steht dabei. Die besten Noten hat er in Englisch und Französisch, dazu ermunternde Bemerkungen wie "sehr gute Mitarbeit, trägt viel zur Diskussion bei, aufmerksam". Der kleine Strolch kommt also gut durch die Welt im Moment, wirkt auf andere Menschen anders (und besser) als auf seine eigenen Eltern, zeigt Interesse, kann sich konzentrieren, bringt die von der Gesellschaft erwartete Leistung. Lilli Weiss, dass Schule nur eine bestimmte Art von Intelligenz prüft und belohnt und dass nicht alle, die schlechte Noten haben, deshalb gleich Lernschwierigkeiten haben. Dass die eigenen Kinder in dieses Schema passen, ist trotzdem eine Riesenerleichterung. Der kleine Strolch, der seit dem Sommer grösser als Lilli mit ihren 1,78 m ist, ist in ihren Augen gestern abend gleich noch ein Stück gewachsen.

Samstag, 8. November 2014

Ganz schön kalt

Die zwei Grad, die es heute morgen hatte, waren ganz schön bissig. Zum Glück hatte sich Lilli gestern einen neuen Hut, Schal und Handschuhe gekauft - eine grün-blaue Palette anstatt der alten schwarz-roten. Das schmückt ganz ungemein und ist billiger als ein neuer Mantel.

Gestern abend übrigens ging es in den Läden zu wie am letzten Wochenende vor Heilig Abend. Kaufen die alle jetzt schon Geschenke?

Donnerstag, 6. November 2014

Gleich und gleich

Seine Kinder gleich lieben heisst nicht, sie gleich zu behandeln. Oh, wie fällt es dem kleinen Strolch schwer, das zu akzeptieren! Schon seit Jahren führt er Buch über Privilegien, die dem grossen Strolch zuteil werden, um diese dann im gleichen Alter für sich selbst einzuklagen. Das letzte Beispiel: "Mit 14 Jahren durfte der grosse Strolch zwei Nächte hintereinander bei einem Freund übernachten", liest der kleine Strolch aus seinen Notizen vor. Im März wird er selbst 14, dann kann er endlich auch mal zwei Nächte lang zu einem Freund - meint er. Und ist dann entsetzt, als Lilli ihm dagagenhält, dass das ganz darauf ankommt. "Da muss man erst mal sehen, bei wem du übernachten willst und was ihr dann so macht die ganze Zeit", erklärt sie ihm. Der grosse Strolch durfte nämlich deshalb zum Freund, weil der für zwei Nächte auf eine Skihütte fuhr. Wenn es also um Sport geht und noch dazu schwierig gewesen wäre, den Strolch nach einer Übernachtung von dort abzuholen, und noch dazu die Eltern von besagtem Freund absolut zuverlässliche Leute sind, geht die Erlaubnis relativ leicht von den Lippen. "Wenn du aber zu jemandem willst, den wir nicht gut kennen, und die Pläne nur darin bestehen, einen 48 Stunden-Computerspielmarathon durchzuziehen, dann erlauben wir das nicht", malt Lilli ein hypothetisches Schreckensszenario an die Wand. Der kleine Strolch ist entsetzt. Er war davon ausgegangen, dass ihm die Erlaubnis zustünde, denn "gleiches Alter, gleiches Recht". Dass es nicht ganz so einfach ist, findet er ungerecht.

Und Lilli findet es ungerecht, ihm das so knallhart sagen zu müssen. Wo sie ihre Kinder doch in gleichem Mass liebt. Ganz bestimmt. Aber ihnen trotzdem nicht die gleichen Dinge erlaubt.

Mittwoch, 5. November 2014

Wir sind kultiviert

"Sind Québecer kultiviert?", wollte vor kurzem die Montréaler Zeitung wissen und hat die Leute mit einem aus 33 Fragen bestehenden Quiz über Allgemeinwissen getestet. Das Ergebnis ist der Schocker: die Teilnehmer erzielten im Durchschnitt magere 42 % und die Männer schnitten besser (sagen wir mal: weniger schlecht) ab als die Frauen. Sofort musste Monsieur sich selbst und auch Lilli dem Test unterziehen, mit dem Ergebnis, dass er 75 % und Lilli 70 % richtig hatten. Man liegt also über dem Durchschnitt, was für eine Erleichterung! Lilli als Einwanderin hatte natürlich den Nachteil, in kanadischer und lokaler Geschichte nicht Bescheid zu wissen - es bleibt die Frage, ob sie in deutscher und europäischer Geschichte besser abgeschnitten hätte... Auch muss Lilli eingestehen, dass die Schulbildung der Strolche ihr zu aktuellem Wissen verhilft, das andernfalls nicht zugänglich gewesen wäre: sie weiss nur, dass Neptun und nicht Pluto der am weitesten von der Sonne entfernte Planet ist, weil die Strolche ihr es erzählt haben. Und auch den grössten Ozean hätte sie ohne die Strolche nicht geschafft.

Viel wichtiger als die Frage, wie gut man in diesem Quiz abschneidet, findet Lilli es, sich darüber Gedanken zu machen, was denn nun "kultiviert" eigentlich heisst. Ist man kultiviert - so die Behauptung der Zeitung jedenfalls -, weil man weiss, dass der Montréaler Hockeyspieler Maurice Richard 1955 im Zuge einer Auseinandersetzung mit einem Linienrichter einen Aufstand ausgelöst hat? Welche kanadische Autorin den entsetzlich deprimierenden Roman "Bonheur d'occasion" geschrieben hat? Wie man eine Rezession definiert und welcher Filmemacher Starwars gedreht hat? Lilli jedenfalls hat das mulmige Gefühl, dass kultiviert sein etwas anderes sein müsste. Zum Beispiel, dass es zu tun hat mit Kultur, also mit Kunst und Literatur und Musik und Theater, und auch mit anderen Kulturen dieser Welt. Oder ist das Kultiviertsein nur auf die unmittelbare Umwelt bezogen, in der man lebt, auf die örtliche Geschichte und die Kultur, die das Fernsehprogramm vermittelt? Wenn das alles ist, was von einem kultivierten Menschen erwartet wird, steht es schlecht um die Menschheit...

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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