Zonstiges

Donnerstag, 19. Juni 2008

Werbung und Wirklichkeit

Seit den ersten Anzeichen des Sommers werden die kanadischen Konsumenten mit Werbung für Balkon- und Gartenmöbel bombardiert – klar, die Saison ist so kurz, dass man die Trommel schon kräftig rühren muss, sonst färben sich wieder die Bäume rot und alle denken nur noch an den Kauf von Schneepflügen.

Die Broschüren und Anzeigen sind natürlich sehr schön, die Gärten darin mit bunten Blumen bestückt, und die Neuheit dieses Sommers besteht in einer kreisrunden Liege, die ihre Verwandtschaft mit dem Bett eines Bumsmotels nicht leugnen kann und zum zwanglosen Miteinander-Kuscheln im Grünen einladen soll. Darüber hinaus aber fällt hauptsächlich eines auf: die Möbelhersteller werben eigentlich nicht für ihre Möbel, sondern für die schönen Stunden, die man in bester Gesellschaft auf ebendiesen zubringt. So nach dem Motto: Wer unsere Möbel hat, dem fliegen die Freunde und das harmonische Familienleben nur so zu! Wer bei uns kauft, der verbringt den Sommer damit, bunte Cocktails zu trinken, sich angeregt mit mindestens drei gutaussehenden Erwachsenen zu unterhalten und den Kindern (immer ist ein schwarzes oder asiatisches Exemplar dabei) beim In-den-Pool-Springen zuzusehen. Selbst die winzigsten Balkonmöbel, die aus einem an der Brüstung befestigten Tisch und zwei Klappstühlchen bestehen, sind für ein romantisches Frühstück für zwei gedeckt, und man kann sich so richtig vorstellen, wie man da sitzt, sich zuprostet, vorzüglich speist und anschließend wieder gemeinsam unter die Decke kriecht… Wahrhaftig, Gartenmöbelprospekte sind nichts für Leute, die gerade allein sind und darunter leiden. Dann reißt sich mein Auge von der Broschüre los und schweift über die Terrasse, die ich mein eigen nennen darf. Ich stelle kleinmütig fest, dass sie seit der Anschaffung eines Basketballkorbes viel zu klein geworden ist, dass der Tisch mit zwei verschiedenen Stuhlsorten bestückt ist und etwas weiter weg noch eine verschnörkelte Gartenbank steht, die weder zu der einen noch der anderen Stuhlsorte passt. Ein paar Balkonkästen sind blau angestrichen worden, drei Zinkkübel von IKEA bemühen sich, dem Ganzen einen modernen Touch zu geben, und an einem Wäscheständer flattern Unterhosen und Fußballtrikots um die Wette. Hier sieht es anders aus als auf den Photos in der Werbung, und doch habe ich genau das, was die Werbung mir durch den Kauf der teuren Stücke verspricht: hier findet mein Familienleben statt, mit angeregten Diskussionen, Besuchen von gutaussehenden Nachbarn, Eisschlecken, Kuscheln und Basketballspielen, hier lesen der kleine Strolch und ich Bücher über die griechische Mythologie, dort übt der große Strolch den Handstand. Ich frage mich: Wenn ich all das schon habe, wozu brauche ich dann noch die neuen Möbel? Und wenn Sie mal vorbeikommen sollten, werden wir uns freuen, bunte Cocktails mixen und noch ein paar alte Stühle mehr aus dem Schuppen holen. Die dann wieder nicht zu all dem anderen passen, das dort zusammengewürfelt steht… Es wird Sie schon nicht stören, oder?

Mittwoch, 18. Juni 2008

Goldenes Pflaster

Einen Gehweg absenken zu lassen, weil die Garageneinfahrt verbreitert wurde und nun der alte Gehweg zu hoch ist, kostet 450 $ PRO METER. Wir brauchen dreieinhalb neue Meter und dürfen diese im Voraus bezahlen, ohne von der Stadtverwaltung im Gegenzug bestätigt zu bekommen, wann denn die Arbeiten ausgeführt werden. Ich frage mich nur, ob im Preis ein Gedenktäfelchen inbegriffen ist, das wie bei den Sponsoren von Parkbänken bescheinigt, wem die Fußgänger diese paar neuen Meter Gehweg zu verdanken haben, so nach dem Motto: „Dieser Gehweg wurde von Lilli und ihrer Familie gestiftet, die deshalb im Sommer 2008 kein Geld mehr übrig hatten, um auch nur die kleinste Kugel Eis zu kaufen.“

Freitag, 13. Juni 2008

Vatertag in Kanada

Am Sonntag ist hier in Kanada Vatertag, und wenn er in Europa auch schon vorbei ist, serviert Lilli trotzdem ihren Kommentar dazu:

Liebe Männer, Ihr wisst gar nicht, wie viril Ihr seid, wenn Ihr im Anzug oder im blauen Anton mit hochgekrempelten Hosenbeinen in einem Sandkasten sitzt und Kuchen backt, auf aufgeschrammte Ellenbogen pustet und laufende Nasen abwischt. Ihr wisst gar nicht, wie anziehend es sein kann, wenn ein Papa dem Prinzessinengeschwafel seiner Tochter aufmerksam zuhört, oder dass es nichts Männlicheres gibt als diese schaufelnde Bewegung, mit der Ihr ein Kleinkind auf den Arm nehmen könnt, indem Ihr einfach leicht in die Knie geht, dem Kind unter den Hintern fasst und es hochebt, als wöge es nicht mehr als ein Ananastörtchen. Ihr denkt vielleicht, dass Mann und Papa Gegensätze sind, die einander ausschließen, und merkt gar nicht, dass Euch genau diese Kombination attraktiv macht. So attraktiv, dass Frauenherzen dahinschmelzen, bis sie nur noch ein Pfützchen in der Sonne sind, das darauf wartet, mit dem Strohhalm aufgesogen zu werden.

Dienstag, 10. Juni 2008

Einfach pervers

Zugegeben, das Angebot der Firma war 7 Dollar billiger als das der Konkurrenz, aber ich hätte ihnen den Auftrag, unseren Rasen zu vertikutieren, vielleicht auch einfach wegen ihres schrillen Namens gegeben. Sie nennen sich „Les experts verts“, also die grünen Experten. Natürlich passt dieser Name für eine Firma, die sich als Spezialist für Rasendünger und Schädlingsbekämpfung ausgibt, aber keiner hat wohl dran gedacht, dass er genauso ausgesprochen wird wie „Les ex-pervers“, also die „ehemaligen Perversen“. Als die Dame sich am Telefon mit dem Firmennamen meldete, musste ich mich zurückhalten, um nicht laut loszulachen. Und Monsieur musste sich anschließend mehrere Male anhören, wie zufrieden ich war, endlich die Ex-Perversen angerufen zu haben, und dass sie nun bald kommen, die Ex-Perversen, um kleine Löcher in unseren Rasen zu bohren, und dass ich nur hoffe, dass diese sadistische Behandlung unserem Rasen auch gefällt. Hat einfach nicht meinen Sinn für sprachliche Feinheiten, der Mann…

Freitag, 6. Juni 2008

Lilli und die F1

Heute morgen konnte Lilli einfach nicht aufstehen – ihr war so schwindlig, dass sie sich nach dem Morgenpipi gleich wieder ins schaukelnde Bett verkrümelt hat. Dies passiert ihr etwa zweimal im Jahr und beunruhigt sie ab und zu, was aber ihre Ärztin wiederum gar nicht beunruhigt. So hatte sie Zeit, bei geöffnetem Fenster dem Keifen der F1-Rennautos zuzuhören, die sich auf das kommende Rennen in Montréal am Sonntag vorbereiten:

Jetzt drehen sie also wieder ihre Runden, und für die nächsten Tage ist schwüle Hitze und damit natürlich auch Smoggefahr angesagt. In diesem Fall wird der öffentliche Nahverkehr eine reduzierte Busgebühr anbieten, damit die Zuschauer das Auto zuhause lassen. Da das Rennen auf einer Insel im Sankt-Lorenz-Strom stattfindet, ist es sowieso eine irrsinnige Idee, dort mit dem Auto hinzuwollen… Sieht eigentlich niemand außer mir die himmelschreiende Widersprüchlichkeit dieses Unterfangens? Hallo? Smoggefahr durch Autoabgase – fahrt deshalb lieber mit dem Bus zum AUTORENNEN? Wie wäre es, wenn Raikkonen und Konsorten auch den Bus nehmen würden? Ach ja, dann wäre es ja kein Rennen mehr, denn dann würden sie alle zur gleichen Zeit durchs Ziel kommen…

Mein Vorschlag deshalb: rennt doch lieber zu Fuß als mit Euren Blechkisten, dann würde die Veranstaltung auch die Bezeichnung „Rennsport“ verdienen!

Donnerstag, 22. Mai 2008

Lilli und der Bär

Heute morgen ist mir wieder der streunende Hund begegnet, der wie ein Schwarzbär aussieht. Und das weiß ich, weil mir auch schon einmal ein Schwarzbär begegnet ist, den ich zuerst für einen pummeligen Hund gehalten habe. Natürlich nicht direkt in unserer Nachbarschaft, denn um einem Bären ins glitzernde Auge zu sehen, muss man selbst in Kanada in eine einsame Hütte an einem einsamen See fahren. Vor ein paar Jahren haben wir also am Lac à Noël nördlich der Stadt Québec Urlaub gemacht. Dieser See liegt in einem staatlich geschützten Waldstück, in dem ein paar schnuckelige Hütten an Angler und andere ruhesüchtige Familien wie wir vermietet werden. Von der Hütte führte ein Trampelpfad quer durch den Wald bis hinunter an den Bootssteg, und genau auf diesem Trampelpfad stapfte ich entlang (Monsieur war mit den damals noch winzigen Strolchen bereits vorausgegangen), als mir plötzlich ein schwarzes, dickes Tier von rechts entgegenkam. Zuerst dachte ich, es müsste ein Hund aus einer anderen Hütte sein, dann aber fiel mir auf, dass diese Ohren und diese spitze Schnauze zu keiner Hunderasse der Welt passen. Der Bär und ich hielten inne, starrten uns eine Sekunde lang an, und bevor ich mich noch entscheiden konnte, ob ich mich lieber langsam rückwärts davonmachen oder mich umdrehen und schnell wegrennen sollte, war er es, der kehrt machte und davonlief. Er kam mir klein vor, und wenn es ein Bärenjunges auf Entdeckungstour war, dann hatte es womöglich genauso viel Angst vor mir wie ich vor ihm. Wahrscheinlich ist er direkt zu seiner Mama gelaufen und hat ihr erzählt, er hätte ein staksiges Monster ohne Fell gesehen ("Mama, ich hatte solche Angst, das Monster könnte mich fressen"). Ich jedenfalls bin schnell zu Monsieur gelaufen und war stolz darauf, so eine tolle Geschichte erzählen zu können.

Seither hüte ich diese Erinnerung wie einen dicken glatten Kieselstein, der genau in die Handfläche passt und mich daran erinnert, dass ich in einem Land lebe, das sich viele wie eine Postkarte von unendlichem Ausmaß vorstellen. Zumindest was Bären angeht, hat Kanada voll und ganz gehalten, was ich mir davon versprochen habe.

Freitag, 16. Mai 2008

Bodenqualität

In Montréal liegt der Schnee von November bis April. Auf der Strasse wird er weggepflügt, in den Vorgärten türmt er sich oft meterhoch, vermischt mit Salz und Schotter. Kommt dann im Mai trotzdem das Gras wieder durch, ist man geneigt, dies jedes Jahr wie ein kleines Wunder anzusehen. Gerade jetzt ist das Gras so schön grün, dass man gerne eine Ziege wäre, um hineinbeissen zu können. Letzten Sommer, als wir zum Geburtstagsfest eines Kollegen von Monsieur eingeladen waren, gab es just eine Torte, die aussah, als sei sie mit dem Spaten aus einem Golfplatz ausgestochen und auf ein silbernes Tablett gehievt worden. Es handelte sich um einen rechteckigen, dunklen Biskuitboden mit einer Schicht Schokocreme und doch tatsächlich GRÜNEN GRASHALMEN AUS ZUCKERGUSS OBENDRAUF. Um die Illusion perfekt zu machen, war ein Tee mit einem Golfball zwischen den Grashalmen platziert worden, und auf einer Fahne stand „Michel 50 Jahre“.

Obwohl wir uns nicht sicher waren, ob die Torte nun sehr prächtig oder abgrundtief kitschig war, schmeckte sie hervorragend – locker und nährstoffreich, wie sich das für einen guten Boden gehört. Und kein bisschen kalkhaltig, wie Monsieur hinterhältig behauptete.

Fenstergucker

Der Adventskalender der Agentur Rethink: jeden Tag 6 Sekunden Grossartigkeit.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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