Zonstiges
Kommt Monsieur nach Hause, ist das jedes Mal ein bisschen wie Weihnachten: schwer beladen kommt er die Treppe hoch, macht quietschend die Tür auf, schleppt sich klimpernd in die Küche und leert dort seine Taschen. Darin befinden sich:
- ein Blackberry (muss anscheinend sein)
- ein dazugehöriger Ohrstöpsel (ist jetzt am Steuer vorgeschrieben)
- ein an Übergewicht leidender Geldbeutel (Papier, Papier, Papier)
- eine elektronische Zugangskarte zum Büro, mit Kordel (virtuelle Handschellen)
- ein paar einzelne Münzen
- ein Autoschlüssel
- ein Hausschlüssel
- ein Etui mit Geschäftskarten (man weiss ja nie) und
- ein Spielzeugauto (?).
Nur gut, dass er keinen Lippenstift benutzt, denn dafür wäre absolut kein Platz. Von einer schicken Umhängetasche, wie sie es jetzt immer häufiger – und in immer virilerem Design - für Männer gibt, will er trotzdem nichts wissen, obwohl Lilli da mehrere nette Modelle empfehlen könnte. „Sag bloß, jetzt sprechen auch Männerhandtaschen zu dir?“, meint Monsieur misstrauisch. Na, logisch. Das hätte er sich bei Lillis Sprachbegabung doch eigentlich denken können…
Lilli legt los - 16. Sep, 10:17
Lilli ist zurzeit empfindlich. Was nicht nur daran liegt, dass sie einer Auftragsflaute entgegensieht, aber auch. Sie reagiert empfindlich darauf, dass sie weniger arbeitet als andere ihrer Mitmenschen, die hechelnd durch den Tag hasten, ohne auch nur die Hälfte ihrer ToDo-Liste abarbeiten zu können. Denn wer gemächlicher lebt, ist kein vollwertiger Mensch, und ihm steht es demnach auch nicht zu, ein Theaterabonnement UND eine Mitgliedschaft im Fitnessclub zu besitzen – denkt Lilli manchmal, oder vielmehr: denkt die Gesellschaft, denkt Lilli. Dazu ist es Herbst – Sie wissen schon, das „Wer jetzt kein Haus hat“-Syndrom – und überhaupt.
Jetzt also die Werbung eines großen Kaufhauses, die doch tatsächlich die Frechheit hat, zu fragen, was man denn so macht, um sein Leben kunstvoll zu gestalten. „What do you do to live your life… (kleine Pause)… artfully?“ Im Spot werden tolle Leute gezeigt, die sich toll anziehen, tolle Dinge tun und ihre Wohnung toll einrichten. Na, toll. Wer erklärt den Werbeleuten mal, dass Werbung, durch die man sich klein und hässlich (um nicht zu sagen beschissen) fühlt, keine große Kauflust auslöst? Ich jedenfalls ziehe mir jetzt den grossen Minderwertigkeitskomplex-Pulli über und schmolle.
Lilli legt los - 11. Sep, 09:25
Auf einer der letzten Seiten der aktuellen Elle Québec prangt doch tatsächlich eine Anzeige für einen wunderschönen BH, der bis (und da musste Lilli sich dann doch die Augen reiben) Körbchengröße J erhältlich ist.
Wenn ich mal frei nach Winnie-the-Pooh argumentieren darf: Wenn es solche BHs gibt, dann deshalb, weil es auch Frauen gibt, die solche BHs tragen. Und wenn Frauen Körbchengröße J tragen, dann deshalb, weil sie diese Größe brauchen.
J.
Also das haut mich um. Und diese Frauen wahrscheinlich auch, denn wie um Himmels willen halten die ihr Gleichgewicht?
Lilli legt los - 10. Sep, 11:07
Vor zwei Wochen hat Lilli Folgendes notiert:
Es wird einfach nicht richtig heiß diesen Sommer. Morgens laufe ich an beschlagenen Autos vorbei, die Luft ist kühl wie im Oktober, fast schon halte ich nach rotgefärbten Blättern an den Ahornbäumen Ausschau. Der große Strolch erklärt mir, dass der viele Regen durch die Luftverschmutzung und die globale Erwärmung verursacht wird, aber so einfach lasse ich mich nicht abspeisen: ich persönlich habe einen schönen Sommer verdient, denn ich trenne meinen Müll, kompostiere in einer schicken blauen Kugel, fahre Fahrrad und nehme schon lange keine Plastiktüten mehr im Supermarkt, wofür ich bestimmt jedes zweite Mal vom Einpackheini verständnislos angeglotzt werde, da Plastiktüten hier (noch) umsonst sind und den Kunden praktisch nachgeschmissen werden. Deshalb: wo bleibt meine Hitzewelle, mein Mikroklima, wo meine schwülen Nächte und flirrenden Gehwege? Nachricht an oben: ich nehme das so langsam persönlich.
Inzwischen ist die Hitzewelle angerollt, für heute und die nächsten Tage sind lodernde 30 Grad angesagt. Zwar sind die Freibäder seit dem Wochenende geschlossen und die schöne Hitze deshalb irgendwie verschwendet, aber Lilli hat trotzdem den Eindruck, erhört worden zu sein. Kleine Dankesgaben in rechteckigen 100-Gramm-Packungen können jederzeit an Lillis Türschwelle hinterlegt werden.
Lilli legt los - 3. Sep, 10:17
Lilli kreiert ein Eisteerezept mit grünem Tee und serviert es stolz ihrem Gast, der angesichts seines jungen Alters bestimmt lieber einen überzuckerten Softdrink gehabt hätte. „Sag es ruhig, wenn es Dir nicht schmeckt, ich hab auch noch Saft im Kühlschrank“, versichert Lilli. Der Gast nippt am Glas, verzieht das Gesicht und meint augenzwinkernd: „Désolé, mais ce n’est pas ma tasse de thé.“ Ha, ha - wer kein Französisch kann, dem kann hier auch nicht weitergeholfen werden.
Lilli legt los - 11. Aug, 11:53
Lilli sitzt zwischen den Stühlen : im Ferienhaus, aber nicht im Urlaub, und mit leichtem Unterhaltungsprogramm, das ihr aufgrund des Dauerregens schwer aufs Herz drückt.
Trotz allem war das Musical gestern abend gut genug, um mich zwei Stunden lang alles (also wirklich alles) Drumherum vergessen zu lassen. Ein tief empfundenes Dankeschön deshalb an die Kunst, die uns an andere Orte entführt, ja uns zu anderen Menschen werden lässt.
Ah ja, der bunte Drink, den Monsieur für mich bestellt hatte, war wohl nicht ganz unschuldig an diesem schwebenden Gefühl…
Lilli legt los - 8. Aug, 11:20
Lilli ist tatsächlich für eine Weile untergetaucht – in Maine, einem US-Staat südlich von Québec, in dem das Meer so kalt ist, dass es laut John Irving „nur für Hummer und Touristen“ gut ist. Lilli hat es zur allgemeinen Überraschung trotzdem geschafft, ihre mit zunehmendem Alter ansteigende Angst vor kaltem Wasser zu überwinden, um
- baden zu gehen;
- mit einem den Strolchen aus den Händen gewundenen Brett (wahlweise Totenkopf- oder Drachenmotiv) auf den Wellen zu reiten;
- den kleinen Strolch, der so leicht ist, dass er mir-nix-dir-nix viele Meter abgetrieben wurde, aus den Wellen zu fischen und
- mindestens dreimal ins Meer zu pinkeln, da es die am Strand angesiedelten Gemeinden zwar in Ordnung finden, den Touristen 15 Dollar fürs Parken abzuknöpfen, sie als Gegenleistung aber nicht auf die Idee gekommen sind, in regelmäßigen Abständen öffentliche WCs einzurichten. Ätsch! Selber schuld!
Nennenswerte Gedanken sind ihr in dieser Zeit keine gekommen, was auch gar nicht erwünscht war, immerhin jedoch die Einsicht, dass jemand, der rauchend und mit Musik im Ohr am Strand entlang läuft, es eigentlich genauso gut hätte bleiben lassen können. Jedenfalls ist sie jetzt wieder zurück und nicht wiederzuerkennen, was weniger an der ungleichmäßig verteilten Bräune liegt als vielmehr an den Tausenden kleinen Lachfalten, die sie sich im Laufe der letzten zwei Wochen zugezogen hat. Und sie hatte schon fast gedacht, sie hätte es verlernt!
Lilli legt los - 1. Aug, 14:41
Lilli hatte Geburtstag und konnte nicht glauben, dass Monsieur sich tatsächlich für sie frei nehmen wollte. Der Frühstückstisch war gedeckt, Geschenke aufgestapelt, Glückwunschkarten an Blumenvasen gelehnt. Das eigentliche Geschenk: Monsieur ging mit ihr Klamotten kaufen, und er war es, der Sachen aussuchte, prüfend an sie dranhielt, sie mit Kleiderbergen in die Umkleidekabine schickte. In einem Laden wurde Monsieur ein Sessel angeboten, in dem er sich ausruhen sollte, während Lilli die Runde machen würde, und Lilli hatte großen Spaß daran, die Verkäuferin zu belehren, dass nicht sie, sondern Monsieur heute was für sie aussucht. Er sah Lilli richtig an und konzentrierte sich nur auf sie, auf das Hier und Jetzt, und diskutierte Farbtöne und Saumlängen mit den Verkäuferinnen, dass diese ob so viel Galanterie zu kleinen neidischen Zwerginnen zusammenschrumpften. Jetzt hängen die neuen Anschaffungen in Lillis Kleiderschrank, aber das Gefühl, für einen Nachmittag lang wieder die Hauptperson in Monsieurs Leben gewesen zu sein, hängt noch in ihrem Herzen rum und wärmt sie wie eine Heizdecke, die jemand wohlwollend auf ihre Schultern gedrückt hätte.
Und dabei sind für heute 27 Grad angesagt.
Lilli legt los - 16. Jul, 07:49
Eine Freundin hat Lilli vor kurzem gefragt, ob sie nicht mit zu einem Vortrag über Traumdeutung kommen möchte.
Mal sehen: Heute nacht habe ich geträumt, dass meine Schwiegermutter mir einen einzelnen grünen Stiefel schenkt. Gestern nacht war ich auf einer türkischen Hochzeit und sah dem Brautpaar zu, wie es auf einem ewig langen Perserteppich paradierte, aber tanzen durfte ich nicht. Und die Nacht zuvor habe ich ein Kind geboren, eine Tochter, deren Geburt mir deshalb seltsam vorkam, weil ich irgendwie nicht wusste, dass ich schwanger war.
Da geh ich mal lieber nicht hin, zu dem Vortrag.
Lilli legt los - 10. Jul, 09:45
Gestern, 14 h 50: Bei Lilli geht ein Gewitter nieder, dass es nur so kracht. Sie schaltet vorsichtshalber schon mal ihren Computer aus.
14 Uhr 51: Der Strom fällt aus, was Lilli dadurch merkt, dass der Rauchmelder drei kurze Pfeiftöne von sich gibt.
14 Uhr 52: Es fängt an zu schütten. Nachdem Lilli alle Fenster kontrolliert hat, überlegt sie sich, was sie nun mit dem angebrochenen Nachmittag anfangen soll. Wäsche waschen? Bügeln? Geht nicht. Staubsaugen? Auch nicht. Also erst mal Kaffee kochen. Geht nicht! Weder die Kaffeemaschine noch der Espressoautomat. So langsam wird Lilli klar, dass sie nirgends auch nur das kleinste Fitzelchen Strom herbekommen kann. Ob sie wohl im Radio durchgeben, wie lange das dauern wird? Ach, Radio funktioniert auch nicht mehr. Aber im Internet wird’s doch was darüber geben? Mensch, Lilli, du stehst aber auf der Leitung!
14 Uhr 55: Lilli dämmert es allmählich, dass die Lage ernst ist. Wie wird sie wohl das Abendessen gestalten können, so ganz ohne Herd? Naja, es wird sich schon irgendein Rest finden lassen, den man in der Mikrowelle… Lilli bricht entmutigt auch diesen Gedankengang ab.
14 Uhr 56: Lilli hat es kapiert. Kein Strom nirgends. Sie schmeißt sich in einen Sessel, greift zum Buch und knipst die Stehlampe an…
Wenn man die menschliche Intelligenz durch die Dauer messen kann, die jemand braucht, bis er feststellt, was er alles nicht machen kann, weil ein Gewitter ihm den Strom weggefegt hat, schneidet Lilli ganz ganz schlecht ab. Also ganz schlecht. Ein Höhlenmensch hätte auch nicht länger dazu gebraucht.
Lilli legt los - 27. Jun, 11:30