Donnerstag, 28. August 2008

Professionelle Handschüttler

Es klingelt, der kleine Strolch macht auf, holt mich dann (hab ich ihm das nicht andersrum erklärt?), zwei Männer stehen höflich auf der Matte, sind aber trotzdem keine Zeugen Jehovas – es sind Politiker. In unserem Wahlkreis finden nämlich Anfang September Wahlen statt, weshalb auch die Straßen mit Wahlplakaten gepflastert sind, über die die Strolche viele Fragen stellen. „Frau S. gewinnt bestimmt, sie hat die meisten Plakate“, sinniert der große Strolch, und ich merke, wie schwierig es ist, Demokratie zu erklären. „Frau S. sieht aus, als ob sie weint“, meint der kleine Strolch nur und bringt damit ihr gezwungenes Lächeln auf den Punkt. Jetzt aber steht Kandidat C. vor der Tür und will sein „Schpiel“ loswerden, wie es mein früherer Boss so schön auf jiddisch gesagt hätte. Zwar darf ich nicht wählen, da ich dafür erst einmal die kanadische Staatsbürgerschaft annehmen müsste, was automatisch den Verlust des weinroten Lappens (und damit der Möglichkeit, sich irgendwann einmal wieder in Deutschland oder überhaupt Europa niederzulassen, gell) mit sich bringen würde, aber die Gelegenheit, den Strolchen Politik live vorzuführen, lasse ich mir nicht entgehen. Und so rattert Herr C. vor einer Nicht-Staatsbürgerin und zwei kleinen Jungs mit großen Augen sein Programm herunter, spricht von öffentlichem Nahverkehr, Subventionen für die Kultur, fasst das Thema Umwelt mit Samthandschuhen an, zieht als letzten Trumpf die Karte, dass er wenigstens als Einziger aus der Gegend stamme, aus dem Ärmel. Alles in allem eine gute Performance, und dass er haargenau so ausshieht wie auf seinem Wahlplaket, ist ein Extrabonus. Als ich die Tür hinter ihm zumache, klingelt das Telefon. Frau S. ist dran und möchte wissen, ob sie mit meiner Stimme rechnen kann. „Ich werde überhaupt nicht wählen“, sage ich etwas (zu) unfreundlich. Jetzt, da ich einem richtigen Politiker die Hand gegeben habe, ist mir ein schnödes Telefonat nicht mehr gut genug.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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