Drei Tage hintereinander hat Lilli sich den Wecker auf 6 Uhr gestellt, nur um ihn beim ersten Klingeln am nächsten Morgen sofort abzustellen und neu auf 7 Uhr zu programmieren. Sie schafft es einfach nicht, so früh aufzustehen, die kleine faule Drückebergerin. Dabei ging es doch vor den Sommerferien, von März bis Ende Juni??? Aber im Moment geht es nicht, deshalb zieht Lilli wieder dreimal die Woche um 8 Uhr 30 los, wenn die Strolche aus dem Haus sind, auch wenn es ihr spät vorkommt und ihr Haushalt darunter leidet. Da sie um diese Zeit auch schon gefrühstückt hat, kann sie immerhin richtig joggen, anstatt nur zügig zu marschieren, und deshalb eine gute Viertelstunde einsparen. Das Kontemplative des langsameren Morgenlaufs kommt dabei allerdings etwas zu kurz.
Insgesamt aber gibt es Positives zu vermelden: nach 6 Monaten des morgendlichen Laufens hat Lilli zweieinhalb Kilo abgenommen, ohne sonst irgendetwas an ihrem Lebensstil zu ändern, sie hat strammere Beine und geht insgesamt aufrechter und leichtfüßiger durchs Leben. Das ist Ansporn genug, weiter zu laufen, auch wenn immer mal wieder eine neue Uhrzeit dafür gefunden werden muss.
Lilli legt los - 17. Sep, 10:57
Kommt Monsieur nach Hause, ist das jedes Mal ein bisschen wie Weihnachten: schwer beladen kommt er die Treppe hoch, macht quietschend die Tür auf, schleppt sich klimpernd in die Küche und leert dort seine Taschen. Darin befinden sich:
- ein Blackberry (muss anscheinend sein)
- ein dazugehöriger Ohrstöpsel (ist jetzt am Steuer vorgeschrieben)
- ein an Übergewicht leidender Geldbeutel (Papier, Papier, Papier)
- eine elektronische Zugangskarte zum Büro, mit Kordel (virtuelle Handschellen)
- ein paar einzelne Münzen
- ein Autoschlüssel
- ein Hausschlüssel
- ein Etui mit Geschäftskarten (man weiss ja nie) und
- ein Spielzeugauto (?).
Nur gut, dass er keinen Lippenstift benutzt, denn dafür wäre absolut kein Platz. Von einer schicken Umhängetasche, wie sie es jetzt immer häufiger – und in immer virilerem Design - für Männer gibt, will er trotzdem nichts wissen, obwohl Lilli da mehrere nette Modelle empfehlen könnte. „Sag bloß, jetzt sprechen auch Männerhandtaschen zu dir?“, meint Monsieur misstrauisch. Na, logisch. Das hätte er sich bei Lillis Sprachbegabung doch eigentlich denken können…
Lilli legt los - 16. Sep, 10:17
„Schön, dass Sie da sind! Kommen Sie rein, die Kommode steht bei meinem Sohn im Zimmer, am Ende des Flurs rechts. Ach ja, er schläft gerade, das stört Sie hoffentlich nicht.“ Die Menschen hier in Québec sind nett und unkompliziert. Es ist Samstag Mittag, Lilli ist bei Leuten, die sie nicht kennt, und besichtigt eine Kommode, die in den Kleinanzeigen angeboten wurde und allem Anschein nach einem 19-jährigen Jüngling gehört, der im Moment mit nacktem Oberkörper quer über seinem Bett liegt und schläft. Als Lilli prüft, wie gut sich die Schubladen öffnen und schließen lassen (nicht nur im Kopf, sondern auch im richtigen Leben ist das wichtigste an einer Schublade, dass sie gut zugeht), stellt sie fest, dass dieselbigen noch mit Unterhosen und allerlei anderem Kram gefüllt sind. Man wird sich schnell einig über den Preis, die Mutter räumt gut gelaunt die Schubladen aus, pfeffert alles aufs Bett neben ihren schlafenden Sohn und packt mit an, um das Möbelstück ins Freie zu hieven. Während Monsieur sich in Mr. Bean verwandelt, um die Kommode im Auto zu verstauen, nutzt die Mutter die Gelegenheit, um ihre Lebensgeschichte zu erzählen, die Gründe für den Verkauf der Kommode anzugeben, eine Hausbesichtigung anzubieten (die Lilli gerne mitmacht, gibt es doch nichts Aufschlussreicheres als private Räume), ein Glas Wasser darzureichen und ihre neuen Esszimmermöbel zu zeigen, die zu ihrem großen Leidwesen in Einzelteilen ("und dabei sind sie noch nicht mal von IKEA") geliefert wurden und sich bis jetzt nicht von selbst zusammengebaut haben. Lilli hat zwar sonst keine Ahnung von handwerklichen Dingen, ist aber im Umgang mit Sechskantschlüsseln geübt und hilft ihr, wenigstens den ersten Stuhl zu montieren. Danach sind alle Beteiligten glücklich über den Verlauf der Dinge und winken einander zum Abschied zu. Der große Strolch hat eine neue Kommode, Lilli hat viel Geld gespart und der 19-jährige Jüngling wird ein paar Stunden später seinen Rausch ausgeschlafen haben und sich wundern, warum eigentlich alle seine Unterhosen auf ihm draufliegen.
Lilli legt los - 15. Sep, 10:24
Seit die Schule wieder angefangen hat, muss Lilli statt um 7 Uhr schon um 6 Uhr raus zum Laufen. Und hat in diesen Wochen des Farnientes doch glatt vergessen, wie mühsam es sein kann, den müden Körper um diese Zeit in finsterster Dunkelheit aus den Federn zu erheben. Lasst Lilli um 7 Uhr aufstehen und sie sprintet problemlos viermal pro Woche. Verschiebt sie das Ganze um ein Stündchen nach vorne, ist viermal plötzlich zu viel.
Also eher ein mentales Problem, kein physisches. Mist. Wenn ich mal einen Flaschengeist treffe und dieser mir drei Wünsche freigibt, weiß ich jetzt auch den zweiten Wunsch: ich möchte gerne die Zeit verlangsamen oder beschleunigen können, wie es mir gerade passt. Dann würden sich schöne Momente (Sie wissen schon) in die Länge ziehen und grässliche (also Bügeln, Bad putzen, Kinderfußnägel schneiden und all so was) dafür schneller vorbei sein. Und die Zeit zwischen 7 Uhr und 7 Uhr 05 würde eine Stunde lange dauern – das wäre dann das Zeitfenster ganz für mich allein, in dem ich laufen würde, was das Zeug hält. Ach ja.
Lilli legt los - 12. Sep, 10:50
Lilli ist zurzeit empfindlich. Was nicht nur daran liegt, dass sie einer Auftragsflaute entgegensieht, aber auch. Sie reagiert empfindlich darauf, dass sie weniger arbeitet als andere ihrer Mitmenschen, die hechelnd durch den Tag hasten, ohne auch nur die Hälfte ihrer ToDo-Liste abarbeiten zu können. Denn wer gemächlicher lebt, ist kein vollwertiger Mensch, und ihm steht es demnach auch nicht zu, ein Theaterabonnement UND eine Mitgliedschaft im Fitnessclub zu besitzen – denkt Lilli manchmal, oder vielmehr: denkt die Gesellschaft, denkt Lilli. Dazu ist es Herbst – Sie wissen schon, das „Wer jetzt kein Haus hat“-Syndrom – und überhaupt.
Jetzt also die Werbung eines großen Kaufhauses, die doch tatsächlich die Frechheit hat, zu fragen, was man denn so macht, um sein Leben kunstvoll zu gestalten. „What do you do to live your life… (kleine Pause)… artfully?“ Im Spot werden tolle Leute gezeigt, die sich toll anziehen, tolle Dinge tun und ihre Wohnung toll einrichten. Na, toll. Wer erklärt den Werbeleuten mal, dass Werbung, durch die man sich klein und hässlich (um nicht zu sagen beschissen) fühlt, keine große Kauflust auslöst? Ich jedenfalls ziehe mir jetzt den grossen Minderwertigkeitskomplex-Pulli über und schmolle.
Lilli legt los - 11. Sep, 09:25
Auf einer der letzten Seiten der aktuellen Elle Québec prangt doch tatsächlich eine Anzeige für einen wunderschönen BH, der bis (und da musste Lilli sich dann doch die Augen reiben) Körbchengröße J erhältlich ist.
Wenn ich mal frei nach Winnie-the-Pooh argumentieren darf: Wenn es solche BHs gibt, dann deshalb, weil es auch Frauen gibt, die solche BHs tragen. Und wenn Frauen Körbchengröße J tragen, dann deshalb, weil sie diese Größe brauchen.
J.
Also das haut mich um. Und diese Frauen wahrscheinlich auch, denn wie um Himmels willen halten die ihr Gleichgewicht?
Lilli legt los - 10. Sep, 11:07
Im Urlaub haben Lilli und Monsieur die amerikanische Serie „Six Feet Under“ im Schnellverfahren gefuttert und für köstlich befunden. Was Lilli unter anderem deshalb genial findet, da ihr die Serie von
dieser Fußballmutter empfohlen worden war, mit der Lilli jetzt auch noch über andere Sachen sprechen kann als über ihren Krebs. Seltsam, kaum hat jemand eine schwere Krankheit, fängt man an, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Themen denn nun noch zur Konversation geeignet sind und welche auf der schwarzen Liste stehen. Darf/soll man nun nach den Fortschritten der Krankheit/Behandlung/Genesung fragen, oder ist das komplett unangebracht? Empfindet der kranke Mensch es als oberflächlich, wenn man über andere Dinge redet, oder als Drückebergerei? Oder gar als Wohltat? Vielleicht hat er ja gar keine Lust, ständig an seine Krankheit erinnert oder auf sie reduziert zu werden, und ist gottfroh, sich auch mal über Nate und Brenda äußern zu dürfen? Wie knackig Nate in Jeans aussieht, und wie schrill es ist, als Brenda vorgibt, Krebs zu haben und sich ihre eigene Beerdigung aussuchen zu wollen? Ups, das war jetzt nicht gut, Lilli. Das zählt jetzt bestimmt als doppelt tiefes Fettnäpfchen…
Lilli legt los - 9. Sep, 09:23
Lilli ist zum Mittagessen mit drei früheren Kolleginnen verabredet – oh ja, das gehört dazu als Freelancer, dass man sein Kontaktnetz pflegt, außerdem sind zwei davon wirklich nett. Genau diese zwei aber tauchen nicht auf, sodass Lilli eineinhalb Stunden mit einer Frau verbringt, deren Wellenlänge von Lillis eigener Wellenlänge so weit entfernt ist wie New York von Montréal (etwa 6 ½ Autostunden).
Trotzdem sprühe ich geradezu vor guter Laune, habe ich doch kurz zuvor im Schaufenster von Roots eine Handtasche entdeckt, eine rote mit langem breitem Band und witzigem Verschluss, die mich sofort anbettelte, sie zu adoptieren, und daraufhin beschlossen, diesem Gesuch gleich nach dem Mittagessen nachzukommen. Denn es ist ja nicht so, dass man etwa selbst aus freien Stücken entscheidet, eine Handtasche zu kaufen – die Handtasche bestimmt vielmehr, wer sie in Zukunft durch die Welt tragen darf, und tut ihre Wahl stumm und doch für die Auserwählte deutlich hörbar kund. Während ich also mit der Ex-Kollegin in einem Pub sitze und fettiges Fish&Chips esse, freue ich mich schon darauf, die Handtasche auf dem Nachhauseweg vom Fleck weg zu heiraten kaufen, und erzähle deshalb großzügig von meinem neuesten Hobby, dem Bloggen. „Und wie viel Zeit verschwendest du damit?“, fragt die Ex-Kollegin höflich-interessiert. Immer noch gut gelaunt erkläre ich ihr daraufhin, dass ich das Schreiben an sich und das Bloggen im Besonderen nicht als Zeitverschwendung ansehe und überhaupt: dass noch nie in der Geschichte der Welt so viele Leute an der Erstellung einer umfassenden Chronik des kleinen Mannes beteiligt waren, dass das ein Abenteuer ist und womöglich ein unschätzbarer Nachlass für kommende Generationen…. „Aber die Leute, die das während ihrer Arbeitszeit lesen, bestehlen doch ihren Arbeitgeber damit“, hakt die Ex-Kollegin störrisch nach. In mir keimt der Verdacht auf, dass sie schon lange keine neue Handtasche mehr gekauft hat, die Arme.
Ja, ja, liebe Leser, jetzt wisst Ihr’s: habt Ihr diesen Eintrag gerade während Eurer Arbeitszeit gelesen, dann seid Ihr nichts anderes als Diebsgesindel, Räuber, Banditen. Ich schäme mich für Euch!
Nachtrag von Monsieur: "Das mit den Handtaschen weiss doch jeder! So habe ich dich damals in London doch angelockt - einfach den Schrei einer Handtasche imitiert..."
Lilli legt los - 8. Sep, 10:11