Mittwoch, 29. April 2009

Lillis neue Fitness-DVD

Nach heissgeliebten Stretching-Übungen in alltagstauglichen 30-Minuten-Häppchen nun also eine Mischung aus Yoga und Pilates. Die Vorturnerin hat eine laszive Stimme, mit der sie "Wir atmen ein - Wir strecken das Bein - Wir atmen aus" säuselt, während ihr dicker geflochtener Pferdeschwanz bis zum Boden baumelt. Dann will sie, dass Lilli beim Ausatmen ihren Nabel bis zum Rückgrat zieht und dabei die Beckenbodenmuskeln anspannt. Zwei Minuten später schaltete Lilli das Ding auch schon wieder aus.

Beckenbodenmuskeln anspannen, i-bäh.

Montag, 27. April 2009

Keine Scham im Leib

Lilli ging gestern Abend spazieren, ohne sich so recht bewusst zu sein, welcher Gefahr sie sich dabei aussetzt. Denn an einem Sonntagabend, vor allem im Frühling nach einem der ersten warmen Wochenenden, stellt der Kanadier den halben Inhalt seines Geräteschuppens auf den Gehweg, auf dass die montagmorgendliche Müllabfuhr diesen mitnehme und ohne Rücksicht auf die Umwelt entsorge. Und was da nicht alles rumstand! Zuerst sah Lilli nur mit einem Auge hin, denn da lagen vor allem Müllsäcke, zerfetzte Kartons, schimmelige Teppiche, zerschundene Snowboards und ein dreiviertel Sofa. Dann aber kam sie in ein besseres Wohnviertel, dessen Müll auch gleich viel interessanter war, und ihr Herz schlug schneller und schneller. Kurz erwog sie, ein Bügelbrett in hervorragendem Zustand mitzunehmen, kam allerdings wieder davon ab, da sie noch zum Videoclub musste und sich nicht recht vorstellen konnte, wo sie das lange Ding dann solang abstellen sollte. Dann aber trat ihr ein Müllhaufen geradezu in den Weg und hinderte sie daran, auch nur einen Schritt weiter zu tun: da standen doch tatsächlich vier, nein fünf, Gartenstühle, die haargenau zu dem passten, was Lilli bereits ihr eigen nennt, dazu ein runder Tisch und eines dieser coolen Servierwägelchen mit Rollen vorne dran – alles in dem typischen Grauton, der so charakteristisch ist für Teakholz und in einwandfreiem, wenn auch etwas schmutzigem Zustand… Sie ließ den Videoclub links liegen und spurtete nach Hause, wo ein missbilligend den Kopf schüttelnder Monsieur es ablehnte, mit ihr ins Auto zu steigen, um den Fund nach Hause zu fahren. Aber Lilli hat wohl Piratenblut in den Adern, denn wenn sie erst einmal einen Schatz entdeckt hat, kann sie niemand davon abhalten, diesem hinterherzujagen. Sie setzte sich allein hinters Steuer, brauste zurück zu dem Müllhaufen und lud, innerlich rot anlaufend und doch jubelnd über so viel Finderglück, alles in den Kofferraum. Alles? Aber ja, schließlich hat Lilli doch einen schönen großen Volvo, in den bei zurückgeklapptem Rücksitz locker drei Särge mitsamt Blumenschmuck passen. Und wie passt das alles zusammen, das große Auto und die Razzia im Sperrmüll? Schieben wir es auf Lillis kürzlich gehabten Schnupfen – der war so rabiat, dass ihr Immunsystem immer noch geschwächt und wahrscheinlich auch ihr Schamgefühl so angeschlagen ist, dass sie sich einer so tollen Gelegenheit einfach nicht erwehren konnte.

Und man sitzt richtig gut auf den Stühlen, das musste sogar Monsieur zugeben, der Lilli immerhin half, zuhause alles auszuladen.

Donnerstag, 23. April 2009

Fremdgehen

Lilli ist heute verschnubbbft. Und zwar so sehr, dass sie den Eindruck hat, neben ihrem eigenen Körper zu stehen und diesen als fremdes, sehr unangenehmes Etwas wahrzunehmen, das geräuschvolle Funktionsprobleme hat. So ähnlich wie ein kaputter Drucker, der spuckt und rotzt, dessen Inneres jedoch keinerlei Aufschluss darüber gibt, wie oder durch welche Öffnung Abhilfe geschaffen werden könnte. Sogar das Zähneputzen fühlte sich heute so an, als wären es gar nicht Lillis Zähne, sondern die Steinsammlung des kleinen Strolches, die da kreuz und quer in ihrem Mund zwischengelagert worden wäre. DA hilft wohl nur eins – den fremden Körper mit Tee vollschütten und ins Bett legen, bis ihm wieder eingefallen ist, wo er hingehört…

Mittwoch, 22. April 2009

Listige Lilli

Wie ein Dieb schleicht Lilli auf leisen Sohlen durch die Wohnung. In der einen Hand hält sie eine riesige Plastiktüte von Canadian Tire, mit der anderen dreht sie Sofakissen um, hebt auf dem Boden liegende Kisten hoch, blinzelt hinein, zieht Schubladen auf, fährt zwischen Matratzen, lugt unter die Kinderbetten. Nein, sie ist nicht auf der Suche nach der letzten Ausgabe von Elle Québec mit dem Unterwäsche-Special – sie spürt vielmehr den ungeliebten Kuscheltieren auf, die morgen mit in Monsieurs Büro dürfen, um von dort nach Afrika zu fliegen. „Stell Dir nur vor, braunes Rentier mit rot-grün gestreiftem Schal, du fliegst nach Afrika! Ja, du auch, unglücklich proportionierter Elefant, und du, kleiner Clown, der du immer dem kleinen Strolch so viel Angst gemacht hast! Ei, wie wird das lustig! Ihr, die ihr nie verstanden habt, warum gerade ihr nicht im Kinderbett übernachten durftet und nie den Kindergarten von innen gesehen habt, die ihr nie beim Kaffeeklatsch mit Kekskrümeln verschmiert wurdet und keinerlei Spitznamen erhieltet – ihr bekommt nun eine zweite Chance, endlich von einem Kinderherzen adoptiert und so richtig vom Kopf bis zu den Patschefüßen durchgeknuddelt zu werden. Deshalb: seid nicht traurig, dass ihr von hier fortmüsst! Und macht schnell, dass ihr in der Tüte verschwindet, bevor die Strolche aus der Schule kommen!“, zischt Lilli ihnen zu. Denn ein bisschen mulmig ist Lilli bei der ganzen Aktion trotzdem, so sehr sie sich auch einredet, wie viel Sinn das alles macht.

Dienstag, 21. April 2009

Fischige Angelegenheit

Lilli steht im Bürofachhandel an der Kasse hinter einem glatzköpfigen jungen Mann, der sie recht nett anlächelt. Vor ihm stapeln sich drei Schachteln Kugelschreiber und 10 Rollen Duct Tape, dieses silberfarbene, stark haftende, praktisch unzerstörbare Industrieklebeband, mit dem in nordamerikanischen Haushalten vom Rohrbruch bis zum kaputten Kühlschrank so ziemlich alles zusammengehalten wird – in Filmen knebeln sie ihre Geißeln damit. Lilli kann einfach nicht widerstehen, außerdem hat sie erst vor kurzem in einem Psychopopartikel gelesen, dass nur der richtig glücklich wird im Leben, der offen auf andere Menschen zugehen kann. „Was machen Sie nur mit so viel Duct Tape?“, platzt es deshalb ungeniert aus ihr heraus. „Ich bin Erzieher in einem Kindergarten und binde die Kleinen damit auf dem Stuhl fest“, erklärt der Glatzkopf da spontan mit einem kleinen Lächeln in den zusammengekniffenen Augen, als ob er nur darauf gewartet hätte, dass ihn jemand fragt… Die richtige Antwort, die er dann nachschiebt (er hat einen Fischladen und etikettiert damit die Kisten, die ins Gefrierregal kommen, denn alle anderen Etiketten brechen in der Kälte ab), ist dann doch relativ langweilig. Die Begegnung endet ganz unspektakulär damit, dass der Fischmann zahlt, seine Rollen unter den Arm klemmt und den Laden verlässt. Nur sein Lächeln liegt noch auf dem Kassenband - Lilli schnappt es sich und klatscht es sich ins Gesicht, wo es wie durch Zauberei bis abends hängen bleibt.

Freitag, 17. April 2009

Joggen ist relativ

Diese Freundin von Lilli hat übrigens multiple Sklerose. Schon seit langem, aber es ging ihr ganz lange gut. Seit 10 Tagen geht es ihr nun aber schlecht, so schlecht, dass sie nicht Autofahren kann und sich im Haus an ihrem Stock festhalten muss, um von der Küche ins Bad zu kommen. Seither hat Lilli beim morgendlichen Joggen ganz seltsame Geschmackshalluzinationen – manchmal schmeckt es ihr süß wie Honigkuchen, manchmal stößt es aber auch ganz sauer auf.

Donnerstag, 16. April 2009

Kleine Osterhasen-Soziologie

Die eine Schwägerin schenkt zu Ostern große kitschige Tierformen aus billiger Milchschokolade, die andere Schwägerin fast genauso große Dinger aus teurer dunkler Schokolade – man fragt sich, ob die Beiden wirklich im gleichen Haushalt groß geworden sind. Lilli, zielgerichtet wie immer, schenkt Schokoladeneier, da man die schön einfach in den Mund stecken kann, ohne vorher ein Tier kaputtschlagen zu müssen. Monsieur schenkt Lindthasen mit Glöckchen dran, die viel zu goldig sind, als dass man sie essen möchte (obwohl man sie essen möchte!) und outet sich dadurch als ein Mensch mit einem großen Liebes- und Zuwendungsbedürfnis. Die Schwiegermutter, die Entscheidungen scheut, schenkt eine gefüllte Pralinenmischung in der Hoffnung, dass Lilli schon irgendetwas davon schmecken wird. Und Lillis eigene Mutter schenkt Geld, da die Osterhasen aus Deutschland doch meistens in Stücke zerbrochen angekommen sind und Lilli lieber etwas anderes kaufen soll, was den Strolchen Freude macht. Jetzt, vier Tage nach Ostern, kann Lilli folgende Schlüsse ziehen: dunkle Tiere haben eine kürzere Lebensdauer als helle, Eier lösen sich, sobald man ihnen den Rücken zudreht, in Luft auf, und Pralinen schimmeln wohl eher, als dass einer auch nur die in Geschenkpapier eingewickelte Schachtel aufmachen wollte. Die Lindthasen? Sind inzwischen mit Namen versehen worden, dürfen mit fernsehen und schlagen mit dem Glöckchen Alarm, sobald eine Kinderhand versucht, sich ihnen zu nähern. Und das deutsche Ostergeld? Ist wohl gestern irgendwie in den Supermarkteinkauf reingerutscht, sorry. Aber Lilli nimmt sich vor, neue Badehosen für die Strolche zu kaufen und diese als „Ostergeschenk von Oma“ zu deklarieren. Dann ist aber bestimmt schon Mai und Ostern längst ganz und gar verg-essen.

Mittwoch, 15. April 2009

Eine Pizza bitte

Die Frau, die am 25. Dezember in die psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde und seither ihre Tage mit Nichtstun verbringt, kann nicht wirklich sagen, dass es ihr besser geht. Sie werde schlecht behandelt und auf Schritt und Tritt verfolgt, sagt sie. Mit Pillen vollgestopft, mit denen die Ärzte auf das Geheiß der Regierung hin Experimente machen, gegen die sie sich nicht wehren kann. Dass sie dabei als Versuchskaninchen herhalten muss, weiß sie ganz genau, denn an ihrer Tür ist ein Metallschild mit einer Nummer drauf, ganz eindeutig. Wann und wie oft sie ihren Psychiater sieht, der sie fragt, wie es ihr geht, weiß sie dagegen nicht so recht – die Tage vergehen alle im gleichen Rhythmus, mit dem gleichen Stundenplan, dem gleichen Essen, den gleichen unanständigen Witzen der anderen Insassen vor dem immer gleichen Fernsehprogramm. Wie soll man da noch wissen, welches Datum wir haben? Das Essen ist schlecht, wobei sie meistens noch die zähesten Stücke Fleisch und das matschigste Gemüse bekomme, als hätte die Bedienung sich mit dem Küchenchef abgesprochen. Der Stundenplan bietet außer den Mahlzeiten keinerlei Abwechslung, es gibt weder Bücher noch Zeitungen, weder Bastelstunden noch Gymnastik, kein Verlassen der Abteilung, niemals frische Luft. Auch keine Arbeiten wie Küchendienst oder Ausfegen, aber dazu könnte sie sich auch gar nicht genügend konzentrieren, daran sind die Pillen schuld natürlich. Und was die anderen Patienten angeht – es sind fast lauter Männer, die da in Trainingsanzügen, mit ungepflegten Haaren und lüsternen Blicken im Gemeinschaftssaal um den Fernseher sitzen – vor denen hat sie Angst. Manchmal versucht sie trotzdem, ein Gespräch anzufangen, über Jesus zum Beispiel oder wichtige Wörter wie „Mitleid“ oder „Freundschaft“, aber sie spürt, dass ihr nicht wirklich zugehört wird. Dann bohrt die Frau ihren undurchdringlichen Blick in Lillis Augen und sagt erstaunt, als ob sie gerade an einem fremden Ort aufgewacht wäre: „Sie annullieren mich hier drin.“ Und gleich danach: „Ich hätte gern mal wieder eine Pizza.“

Als es Zeit ist, zu gehen, muss Lilli warten, bis sich die Krankenschwester in ihrem Glashaus vom Gespräch mit einer Kollegin losreißt und den Kopf zu ihr wendet. Dann drückt sie auf einen Knopf, der laut summend ankündigt, dass sich die Tür für einen Augenblick öffnen wird, um Lilli hinauszulassen. Alle anderen, da ist sich Lilli sicher, wiegen sich weiter im Schaukelstuhl und sehen ihr mehr glasig als sehnsüchtig hinterher.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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