Der Blogbeitrag, der Lilli die meisten Kommentare eingebracht hat bisher, handelte von Fenchel. Ob Lilli wohl auf Kochrezepte umstellen sollte?
Lilli legt los - 15. Jul, 06:00
Seit drei Wochen muss Lilli jeden Donnerstag abend ihr Biogemüse am Lastwagen neben dem Supermarkt abholen. Ein Bio-Abo, das lokalen Bauern hilft, die Saison vorzufinanzieren, und Lillis Familie ein bodennahes Gefühl von "wir-essen-bio-von-hier-und-schwingen-im-Einklang-mit-der-Natur" vermitteln soll. Also: zuerst Salat und Frühlingszwiebeln, später Tomaten, und wenn es Erdbeeren gibt, gibt es noch keine Himbeeren. Schliesslich wuchs Lilli mit Ackerdreck unter den Fingernägeln auf und ihre Strolche sollen in den gleichen Genuss der Naturabhängigkeitverbundenheit gelangen.
Nur, dass es letzten Donnerstag Fenchel gab. Lilli weiss nicht, wie man das Ding schneidet und welches Ende man isst. Der grosse Strolch lehnt kulinarische Neuigkeiten, die nicht aus Fleischbällchen und Tomatensosse bestehen, ab, und der kleine Strolch behauptet, Fenchel schmecke nach Lakritze. "Und?", fragt Lilli hoffnungsvoll. "Und Lakritze mag ich nicht." Lilli auch nicht.
Lilli legt los - 12. Jul, 07:00
"Das
Camp hätte ruhig noch eine Woche länger dauern können", sagt der kleine Strolch im Auto und summt neu erlernte Lagerfeuerlieder vor sich her. Lilli hatte sich ganz umsonst tagelang als Rabenmutter gefühlt. Ihr Urlaub fängt in zwei Wochen an, scheint aber aufgrund von Projekten, die gerade Intensivphasen durchlaufen, noch in so weiter Entfernung zu liegen, dass sie sich müde fühlt, so müde.
Lilli legt los - 11. Jul, 10:05
Lillis Schwester, die Religionslehrerin, hat oft Reissnägel auf der Zunge. Dann zerfetzt sie alles, was ihr in die Quere kommt, um so (wenn Lilli die Grosszügigkeit aufbringen kann, das Phänomen zu analysieren) sich selbst aufzuwerten, als ob sie das nötig hätte. Ihre letzten Opfer: die US-Amerikaner und die Kanadier. Also alle. Die konnte sie nämlich bei ihrer kürzlichen Reise ganz wunderbar an den Klamotten unterscheiden: die US-Amerikaner sehen grässlich aus (schlabbrige kurze Hosen, die unter dem Hängebauch hängen, und wild bedruckte Hemden), und die Kanadier sehen grässlich altmodisch aus (schlabbrige kurze Hosen, die bis zum Bauchnabel gehen, und hanebüchene Oberteile). Die französischsprachigen Kanadier genauso wie die anderen. So.
Lilli tut so, als ob es ihr nichts ausmacht, und ärgert sich doch darüber. So viel Kanadierin ist so also doch schon geworden, dass sie sich von dem Kommentar ihrer Schwester persönlich mit dem Traktor überfahren fühlt.
Lilli legt los - 7. Jul, 04:30
Lilli steht im Zug direkt hinter einen jungen Dame, die mit einem geblümten Sonnenhut und rosa Rüschen bekleidet ist. Ob Kleid oder T-Shirt mit Hose, ist nicht zu erkennen, aber auf allen Seiten fliessen rosa Rüschen aus dem Tragegestell, in dem ihr Papa sie auf dem Rücken trägt. Sämtliche Zugfahrer sitzen so, dass sie nicht anders können, als das rosa Rüschenwunder anzustarren. Dieses zeigt mit einem sehr wurstigen Zeigefinger, der nicht länger als zwei Zentimeter sein kann, nach oben und sagt laut und begeistert: Pla-fond! Pla-fond! Pla-fond! Pla-fond! Schon nach dem zweiten Pla-fond haben sich die Zugfahrer in drei Gruppen geteilt: diejenigen, die die Nase wieder in die Zeitung oder auf ein elektronisches Spielzeug Kommunikationsmittel stecken, diejenigen, die ungerührt weiter geradeaus starren, und diejenigen, die lächeln. So richtig mit Mund und Augen, und zwar alle auf die gleiche, verschmitzte, fast zärtliche Weise, die so normalerweise nicht in der Öffentlichkeit gezeigt wird (wo käme man denn auch hin). Lilli kennt dieses Lächeln, denn auch auf ihrem Gesicht hat es sich breit gemacht. Es ist das Lächeln derer, die sich erinnern, und derer, die wissen.
Lilli legt los - 6. Jul, 04:00
Ein Viersternehotel, das keinen Luftabzug im Badezimmer hat, hat seinen vierten Stern nicht verdient. Denn auch in einer 20-jährigen Beziehung will man dem Partner gewisse Sachen vorenthalten.
Lilli legt los - 4. Jul, 10:24
Lilli läuft nach Dienstschluss am Empfang vorbei. Eine Frau steht dort und sucht panisch nach einem Ansprechpartner. Obwohl Lilli ihr nicht helfen kann, bleibt sie stehen und fragt, ob sie helfen kann. Die Frau murmelt was von Adresse zuerst nicht gefunden, deshalb zu spät, aber doch so dringend, und es geht ihr nicht gut und gleich kriegt sie einen epileptischen Anfall. Lilli dreht sich auf dem Absatz um, läuft zurück ins Büro, sagt dort Bescheid, läuft zurück zu der Frau und bleibt bei ihr, bis jemand kommt und die Sache in die Hand nimmt. Dann erst geht sie die Treppen runter zum Ausgang. Sie ist ja sowas von erleichtert, diesmal spontan das Richtige getan zu haben. Und der
Kollegin mit den Bauchschmerzen geht es auch wieder gut.
Lilli legt los - 2. Jul, 04:00
"Heute hab ich den Schrei an", sagt der kleine Strolch stolz und streckt Lilli den linken Fuss entgegen. Lilli wirft fragende Blicke vom Strolchengesicht zum Fuss und wieder zurück zum Gesicht, ohne Verständnis dafür herstellen zu können, wovon der Junge spricht. Erst, als der kleine Strolch mit dem Finger auf die drei Löcher im Strumpf weist, fällt der Groschen. Er hat tatsächlich den
Schrei an.
Lilli legt los - 1. Jul, 04:00
Seit kurzem verwendet Monsieur seinen Blackberry als Wecker. Und hat ein Klingeln ausgesucht, das Lilli anfangs genial fand: es startet als sanft-fröhliche Musik, die bald darauf mit einem rhythmischen Pulsieren unterlegt wird, das sich gegen Ende hin zu einem unerträglich hartnäckigen Piepton verwandelt. Ein vollendetes Komponierwerk. Es hat nur den Nachteil, dass es Monsieur keinesfalls aufweckt, so hartnäckig der Piepton zum Schluss auch piepst. Lilli aber wird davon wach und tappst verwirrt durchs Haus (wo ist das Ding heute nun wieder? Oben? Unten? in der Mitte?), um den Schreihals abzustellen. Ganz sanft-fröhlich erwägt sie nun, den Blackberry im Aquarium versinken zu lassen. Wäre eine hübsche Deko neben dem mit Moos bewachsenen Eiffelturm.
Lilli legt los - 30. Jun, 05:01
Heute hat Lilli das Richtige und das Falsche getan. Und zwar nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. Denn als die Kollegin über plötzliche Bauchschmerzen klagt und zuerst aufs Klo und dann doch lieber am Schreibtisch sitzten bleiben will, bietet Lilli an, ihr einen nassen Waschlappen zu holen, hastet aus ihrem Büro und den Gang entlang zur Küche. Jetzt, während sie diese Zeilen schreibt, sieht sie sich dort laufen, an Kollegen vorbei, die sich wohl fragen, warum Lilli es so eilig hat. Warum Lilli niemandem sagt, dass es der Kollegin schlecht geht, kann Lilli nicht sagen. Sie dachte ja nicht, dass die Kollegin ohnmächtig werden würde. Man denkt ja nicht, dass es war Ernstes ist, das passiert doch nur im Film... Man denkt ja nicht. Als Lilli mit dem nassen Waschlappen zurückkommt, hat bereits jemand anderes der Kollegin auf die Backen geklopft, um sie aus ihrer Ohnmacht zurückzuholen. Lilli legt ihr die nassen Tücher auf die Stirn und in den Ausschnitt, die Frau atmet schwer, wird weiss und dann wieder farbig. Jemand telefoniert mit dem Krankenwagen, das Wachpersonal bietet Hilfe an, die Sanitäter kommen und machen die Tür hinter sich zu. Jemand fragt Lilli, ob sie erzählen kann, wie die Frau ohnmächtig wurde. "Sie wurde nicht ohnmächtig, als ich bei ihr war, das ist erst passiert, als ich schon auf dem Flur war", stammelt Lilli und wünscht, sie hätte die Kollegin nicht allein gelassen.
Man denkt ja nicht.
Lilli legt los - 29. Jun, 04:00