Auf dem Nachhauseweg bemerkt Lilli einen Mann mit Blindenstock, der etwas verloren an einer Fussgängerampel mitten in Montreal's Innenstadt steht. "Kann ich ihnen helfen?", fragt sie den Mann, der ihr daraufhin geniert zulächelt. "Das wird nicht nötig sein", sagt er auf französisch mit starkem englischem Akzent. Lilli schaut zweifelnd auf den Verkehr, wünscht ihm einen schönen Abend und geht ein paar Schritte weiter. Dann dreht sie sich aber doch wieder um. Wie wird der Mann erkennen, dass die Ampel auf Grün schaltet, wo es doch kein Modell ist wie in Madrid, wo die Fussgängerampeln wie Vögel zwitschern, sobald das Gehen erlaubt ist? Obwohl sie auf den Zug muss, will sie wissen, wie die Geschichte ausgeht. Da - die Ampel springt auf Grün, der Mann tastet sich mit Hilfe seines Stocks bis an den Gehwegrand, dann läuft er beherzt über die Strasse. Seine Augen sind durch die stark getönte Brille nicht zu erkennen, aber dass er stolz auf seine Selbständigkeit ist, ist jedem seiner Schritte anzusehen.
Lilli legt los - 19. Sep, 10:11
Wenn Lilli am Morgen ihre Herbstjacke anzieht und es bedauert, keine Handschuhe mitgenommen zu haben, und wenn sie mittags ins Theater läuft, um dort Karten für Cirque Eloize zu kaufen, die im Dezember in Montreal mit "
Rain" gastieren, und wenn sie abends dann doch nicht ins Hallenbad geht, weil es ihr irgendwie zu ungemütlich ist, dann ist Weihnachten nicht mehr weit. Die Strolche haben zwar noch kurze Hosen an, dies aber eher aus Trotzhaltung.
Lilli legt los - 16. Sep, 17:46
Der kleine Strolch ist begeistert: "In der Schule haben sie gesagt, B. kommt wieder zurück!!!" B. ist vor einem Monat nach Toronto umgezogen und war bis dahin ein dicker Freund des kleinen Strolches. Anfangs hatte Lilli diese Freundschaft argwöhnisch beobachtet, denn B. drückte sich mit Vorliebe im Futurum aus, was im Fanzösischen leicht in die Befehlsform abrutscht: "Du kommst heute nachmittag zu mir und bringst deine Transformer mit, und dann spielen wir Mondstation." Ein ausgesprochener Leader, der anderen sagt, wo's lang geht, und der kleine Strolch liess sich gerne herumkommandieren. Den ganzen Sommer über hatte sein erstes Unterfangen nach dem Frühstück darin bestanden, drei Strassenecken weiter bei B. zu klingeln, um zu sehen, was sie zusammen anstellen könnten. B.'s peruvianische Eltern machten tolle Pfannkuchen mit Karamellsosse und erlaubten B., tagsüber fernzusehen - das Paradies auf Erden. Der kleine Strolch hatte B. seinerseits in die Wonnen der Gorgonzolasosse eingeweiht und ihm am Tag vor dem Umzug noch ein Plastikschüsselchen voll ins Haus gebracht, als Abschiedsgeschenk.
Nun scheint es also, als ob B. wieder zurückkommen würde und der kleine Strolch malt sich schon aus, wie toll alles wieder wird. "Wo werden sie wohnen?", fragt Lilli. "Na, in ihrem alten Haus, wo sonst?", erwidert der kleine Strolch. "Aber da wohnen doch jetzt andere Leute", gibt Lilli zu bedenken. "Dann kaufen sie es von denen wieder zurück", antwortet der kleine Strolch trotzig, obwohl er merkt, dass Lilli vielleicht recht haben könnte. Vielleicht wird doch nicht alles wieder wie früher. Vorfreude, Hoffnung und Angst mischen sich auf dem Gesicht des kleinen Strolches, als rührte er hektisch mit einem dicken Pinsel auf der Mischplatte des Aquarellkastens herum.
Lilli legt los - 15. Sep, 10:25
Es war nicht genug, dass die Maus des kleinen Strolches über Nacht völlig klaglos ein Dutzend Kinder in die Welt gesetzt hat.
Danach hat sie minutenlang ein Loch in ihrer Streu gegraben und mit Klee ein Nest gebaut.
Danach hat sie die leere Klopapierrolle, die in einem Eck ihres Käfigs lag, mit Zähnen, Krallen und unter Aufbietung all ihrer Kräfte bis vor ihr Häuschen gezerrt, um den Zugang zu versperren.
Danach hat sie 24 Stunden hauptsächlich mit Schlafen und Stillen zugebracht, sich geputzt und ab und zu an einem Maiskorn geknabbert. Und Wasser getrunken, denn das viele Stillen macht durstig.
Danach ging sie eine halbe Stunde auf dem Laufrad joggen.
Was ist der Mensch doch für ein klägliches Geschöpf.
Lilli legt los - 13. Sep, 05:00
Die Inspiration stammt von
ihm. Ob Lilli damit die J1-Prüfung besteht?
Das einzig Dumme ist... nicht zu fragen, wenn man Fragen hat.
Die meisten Mädchen... werden irgendwann erwachsen.
Heimlich... stelle ich mir manchmal vor, wie es wäre, ein ganz anderes Leben zu leben. Dann schüttele ich den Kopf und beisse in einen Pfirsich.
Ich finde es scheusslich... wie es in der Welt zugeht.
Manchmal träume ich... ganze Romane. Davon wache ich dann unausgeschlafen auf.
Hoffentlich... bleiben wir alle gesund, den Rest kriegen wir schon hin.
Meine grösste Sorge ist... mir später mal vorwerfen zu müssen, früher nicht den Augenblick genossen zu haben.
Lilli legt los - 12. Sep, 10:23
Die Schulleitung hatte Lilli und all die anderen Eltern beim Elternabend gewarnt: mit 12 wird es lustig, und wenn das Lustige noch nicht angefangen hat, dann wird es nicht mehr lange dauern.
Heute morgen ruft der grosse Strolch Lilli im Büro an:
Grosser Strolch: "Hast du mir ein Vesperbrot gemacht?"
Lilli: "Nein, heute ist doch Freitag. Ich dachte, freitags kommst du zum Essen nach Hause".
Hier, werter Leser, gestatten wir uns, eine kleine Erläuterung einzuschieben. In der neuen Schule des grossen Strolches, der sogenannten Sekundarstufe Klasse 7 bis 11, ist der Stundenplan auf 9 Tage angelegt. Nicht etwa auf 5 Tage, die so praktisch in eine Woche passen und dann immer am gleichen Tag wiederkommen, nein: 9 Tage. Sport hat er zum Beispiel immer am Tag 3 und 5, Ethik nur am Tag 8, Französisch dafür immer, ausser am Tag 4. Und alle Tage gehen bis 16 Uhr 27, nur der Freitag hört um 13 Uhr 16 auf, da sind dann alle Stunden etwas kürzer, damit kein Fach zu kurz kommt. Pausen dauern übrigens 9 Minuten. Da die Schule erst letzte Woche angefangen hat, kämpft Lilli noch schwer mit Anpassungsschwierigkeiten und hätte es durchaus verständlich gefunden, da irgendwas durcheinander gebracht zu haben... Aber nun zurück zum Dialog.
Grosser Strolch: "Heute brauch ich aber ein Brot, heute ist nach der Schule Picknick."
Lilli: "Dann mach dir eins." Durchaus freundlich, aber ohne so rechtes Bedauern für den Strolch mitschwingen zu lassen.
Grosser Strolch: "Ich kann mir auch bei Subway was kaufen."
Lilli: "Nein, grosser Strolch, das kannst du nicht."
Als ob jemand Jojo mit ihnen spielen würde, mal Baby und mal Teenager, immer rauf und runter.
Lilli legt los - 9. Sep, 17:49
Heute Nieselregen und in der Zeitung Prospekte mit Strickjacken. Nach dem Tag der Arbeit, dem ersten Montag im September, ist hier der Sommer unoffiziell zu Ende. Lilli gruselt es ein bisschen...
Lilli legt los - 7. Sep, 10:55
Es nützt nichts, im Sommer nicht wegzufahren, um Geld zu sparen. So, wie man während einer Diät plötzlich Heisshunger auf Süsses kriegt, an dem man normalerweise achtlos vorbeigegangen wäre, bekommt man nach einem Sommer zu Hause einen Reisedrang, der einen auch für die kleinsten nächsten Ferien auf ungeahnte Ideen bringt. Jetzt zum Beispiel googelt Lilli Barcelona.
Lilli legt los - 5. Sep, 17:11
Wenn man sich nur lange genug seelisch darauf vorbereitet, kann man auch eine
Maus goldig finden.
Lilli legt los - 4. Sep, 12:58