"Nachher hast du Basketball", sagt Lilli zum kleinen Strolch. "Ooch", sagt der nur und guckt sie fiebrig vom Sofa aus an. Die Nase zu, die Backen rot, hier hat mal wieder ein Schnupfen zugeschlagen. "Wenn du nicht willst, brauchst du nicht zu gehen", meint Lilli gnädig. Dass das Auto in der vereisten steilen Einfahrt steht und Lilli beim rückwärts Rausfahren die Mauer zu streifen riskiert - und dass es ihr deshalb ganz recht ist, an diesem Abend nirgendwo hinzumüssen - sagt sie nicht.
Lilli legt los - 20. Jan, 05:00
Lillis erster richtiger Werbespot kommt nächste Woche ins Fernsehen. In den letzten vier Wochen hat Lilli deshalb schätzungsweise hundert, vielleicht auch fünfhundert Entscheidungen getroffen, die alle diese kostbaren 30 Sekunden betreffen. Was wird genommen, was fliegt raus, was dauert wie lange und kommt in welcher Reihenfolge - mit der gleichen Idee und dem gleichen Filmmaterial könnte man mehrere völlig unterschiedliche Versionen zusammenschneiden, es ist total faszinierend. Lillis Kollegen haben unterschiedliche Kommentare abgegeben und unterschiedliche "problematische" Stellen aufgezeigt - die eine fand die Tanzszene super, die Lilli letztendlich rauswarf, die andere störte die Art, wie die Frau die Hände unter dem Bauch faltet, und der Kollege mit den schönen Hemden fand das Endprodukt "korrekt, wenn auch nicht elegant". Lilli muss sich jetzt ganz schnell einen dicken Panzer wachsen lassen, bevor die 500 Mitarbeiter und dann das Fernsehpublikum mit ihrem Werk konfrontiert werden.
Und sich daran erinnern, dass es sich um einen Werbespot handelt und nicht um epochemachende Filmkunst. Um den sich trotzdem in den letzten Wochen ihre gesamte Existenz gedreht hat...
Lilli legt los - 19. Jan, 05:00
Lilli bekommt jeden Tag eine E-Mail mit einem Sonderangebot, das nur dann gültig ist, wenn sich genügend Leute verpflichten, es zu kaufen. Groupon nennt sich das hier und in den sechs Monaten, in denen Lilli täglich dazu animiert wurde, Yogakurse, Maniküren oder Winterreifen zu kaufen, hat sie tatsächlich zweimal zugegriffen. Das erste Mal im Herbst bei einem Restaurant in ihrer Nähe, das zweite Mal gestern. Lilli braucht nämlich einen Wecker, und gestern war so ein kleiner goldiger Würfel im Angebot, der von innen leuchtet und in unregelmässigen Abständen die Farbe wechselt. Den kleinen Strolch beunruhigt das.
Kleiner Strolch: Der blinkt, oder was?
Lilli: Nein, der wechselt ganz sanft und langsam die Farbe.
Kleiner Strolch: Hört das auf, wenn du ihn ausschaltest?
Lilli: Den schalte ich nicht aus, der muss doch die ganze Zeit die Zeit anzeigen, damit er morgens klingeln kann.
Kleiner Strolch: Dann leuchtet der die ganze Nacht durch und wechselt dabei ständig die Farbe?
Lilli: Ja.
Kleiner Strolch: Da kannst du bestimmt nicht schlafen dabei.
Lilli: Das werden wir ja sehen. Im schlimmsten Fall stelle ich ihn unten in meinem Nachttisch, dann stört es mich bestimmt nicht.
Kleiner Strolch: Wenn es dich stört, kann ich ihn nehmen. Mir würde das bestimmt nichts ausmachen...
Stets zu Diensten, der Junge.
Lilli legt los - 18. Jan, 05:00
Wenn es an einem strahlenden Wochenende nach einem Schneesturm so richtig krachend kalt ist, freut sich Lilli. Nicht, weil sie besonders gerne friert, sondern weil die Kälte ihren eigenen Rhythmus hat, den sie den Leuten mit sanfter Gewalt auferlegt. So hat es zum Beispiel keinen Sinn, sich mit dem Frühstück oder der Hausarbeit zu beeilen, um dann vom Rest des Tages auf der Skipiste zu profitieren. Mehr als eineinhalb oder zwei Stunden an der frischen Luft sind nicht drin bei diesen Temperaturen, und am besten wartet man damit bis 11 Uhr, um dann vom Höchststand der Sonne und den paar Graden, die das Thermometer deshalb nach oben kriecht, zu profitieren. In der Zwischenzeit schenkt man sich eine zweite Tasse Kaffee ein, liest die dicke Samstagsausgabe sorgfältig von vorn bis hinten und hat sogar Zeit, mit den Strolchen Carcassonne zu spielen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, man würde das schöne Wetter verplempern. Manchmal sind -18 Grad direkt herrlich.
Lilli legt los - 17. Jan, 05:00
Lillis Apothekerin sieht aus wie siebzehn und hat so lange Wimpern, dass es falsche sein müssen. Während sie Lillis Rezept liest, stellt Lilli sie sich mit türkisen Haaren vor, denn nur das fehlt noch zur Manga-Heldin. Besser noch: auf den falschen Wimpern klebt pro Auge ein kleines Glitzersteinchen, damit es aussieht, as ob sich eine Träne in den Wimpern verfangen hätte. Eine Perfektionistin! Lilli ist nur froh, dass sie selbst schon so alt ist, dass sie nicht mehr mit allen Mitteln schön sein will.
Lilli legt los - 16. Jan, 09:11
Schneeschippen. Sonst kann Lilli den grossen Strolch nicht abholen, wenn er vom Snowboarden mit der Schule zurückkommt. Denn das macht er von nun an jeden Freitag nachmittag: eine Stunde hin, fünf Stunden Skifahren, eine Stunde zurück. Während Lilli mit den Schneemassen kämpft, die jetzt doch noch nach anfänglichem Zögern vom Himmel fallen. So kommt jeder zu seinem Ausdauertraining...
Lilli legt los - 13. Jan, 18:17
Lilli und der grosse Strolch haben, von der unmöglichen Serie "Die Ritter vom Smaragd" mal abgesehen, ähnliche Lesevorlieben. So lesen sie gerade im Tandem die Fortsetzung von "Vango", bei der der grosse Strolch durch die vielen Comicbücher zu Weihnachten in Rückstand geraten ist. Er ist also noch nicht fertig damit, während Lilli den ersten Band durch hat und jetzt bitte sofort mit dem nächsten weitermachen will. Es erfolgt deshalb Abend für Abend ein stummes "Ich schnapp mir das Buch"-Spiel, bei dem zuerst der grosse Strolch in Lillis Schlafzimmer kommt, um dort das Buch zu entwenden. Eine Stunde später schleicht sich dann Lilli in sein Zimmer, um ihm das Buch unter der Backe wegzuziehen, ohne ihn aufzuwecken. Und am nächsten Abend wieder von vorn. Darüber reden tun sie nicht. Leser brauchen halt ihren Stoff, und den beschaffen sie sich, wie sie können.
Lilli legt los - 12. Jan, 05:00
An manchen Tankstellen bekommt man einen Schlüssel mit überdimensional grossem Anhänger, wenn man die Toilette benützen möchte. Könnte man dieses Prinzip nicht auch auf USB-Sticks übertragen? So einen USB-Stick mit, sagen wir mal, einem Spätzlesbrett dran, den würde der kleine Strolch bestimmt nicht so leicht verlieren...
Lilli legt los - 11. Jan, 05:00
Skifahren, Mittagessen auf der Hütte. Eine Freundin schiebt Lilli ein kleines graues Säckchen mit pudrigem Inhalt über den Tisch. "Das steckst du dir in den Handschuh, das gibt bis zu 8 Stunden warm." Lilli zweifelt zwar daran, dass so ein kleines Säckchen irgendetwas daran ändern kann, dass ihr bei -20 Grad die Finger abfrieren, ist aber gleichzeit zu allem bereit, was Linderung zu schaffen verspricht. Wenn ihr jemand ein geröstetes Marshmallow angeboten hätte, hätte sie es sich wahrscheinlich auch in den Handschuh geschoben.
Ja, dank dieses Hotpacks konnte es Lilli noch zwei weitere Stunden auf der Piste aushalten. Hotpack: 1,99 $. Skifahren am Mont-Sainte-Anne mit Blick auf den Sankt-Lorenz-Strom und überzuckerte Tannenbäume: Unbezahlbar.
Lilli legt los - 10. Jan, 05:00
Lillis Schwester, die Religionslehrerin, hat es nicht geschätzt, von Lilli keine Weihnachtspost bekommen zu haben. Wo sie doch selbst einen wunderhübschen Jahresrückblick-Rundbrief geschickt hat, OBWOHL sie mindestens genauso viel wie Lilli (nein, mehr) zu tun hatte. Wo sie doch an Weihnachten zwei Familien besuchen muss und Lilli nur eine. Und Zeit zum Skifahren hatte sie auch nicht, während Lilli ganze vier Tage im Luxushotel direkt am Hang verbringen konnte. Am Telefon impft sie Lilli Schuldgefühle ein, weil Lilli zudem eine schlechte Patentante ist und das Kind ihrer Schwester schämlich vernachlässigt. "X. hat SOOO damit gerechnet, von dir einen Brief zu bekommen an Weihnachten, und jetzt ist sie SOOO enttäuscht", sagt die Schwester ins Telefon, während Lilli sich wundert, wie man nur so direkt sein kann. Hinterher ist Lilli sauer auf die Schwester, die darauf besteht, dass man auch über grosse Entfernungen hinweg eine enge Beziehung pflegen muss, und sauer auf sich selbst, da sie sich zwar zu ihrer Schreibfaulheit bekennt, die Folgen davon aber nicht so einfach wegstecken kann. Nächstes Jahr, schwört sie sich, wird sie die Weihnachtspost in den Sommerferien schreiben und am 1. Dezember in den Kasten werfen. Das kommt dann zwar auch nicht von Herzen, aber der Anschein wird gewahrt sein.
Lilli legt los - 9. Jan, 10:33
Lilli hat dieses Jahr das ganze Weihnachten falsch geplant. Oder besser gesagt, nicht geplant. Nicht gesehen, dass der 24. ein Samstag ist und sie am 23. bis abends arbeiten muss. Im November nicht daran gedacht, schon mal Geschenke zu kaufen, während die Strassen noch eisfrei sind und das alles ohne Panik abläuft und nicht wie vorgestern abend. Auch nicht damit gerechnet, heute abend Chorprobe zu haben und deshalb keinen Kuchen backen zu können. Sich nicht daran erinnert, dass Monsieur wieder am 23. und 24. in die Geschäfte verschwindet und zu keinerlei Handlangertätigkeiten eingesetzt werden kann. Anfang Dezember keine Fotos für die Weihnachtspost rausgesucht und auch sonst keine Briefe oder Karten geschrieben. Warum? Sie zuckt mit den Schultern. War einfach so. Es weihnachtete einfach nicht in ihrem Herzen und Schnee fiel schliesslich auch keiner.
Aber wissen Sie was? Heute abend ist ihr trotzdem weihnachtlich-kribbelig ums Herz. Sie wird das Essen für morgen abend so gut wie möglich vorbereiten und die Gäste sind sowieso nicht von der Sorte, die kritisiert oder die Gastgeberin danach richtet, wieviel Gänge sie serviert. Sie wird den Korb mit der Bügelwäsche nicht mehr bügeln, sondern mit dem Fuss ausser Sichtweite schieben. Und morgen abend ihr Herz öffnen für die Weihnachtsseligkeit, die sich noch immer alle Jahre wieder eingestellt hat so wie damals, wo die Puppenstube und die blauen Christbaumkugeln toller waren als alle Geschenke. Fröhliche Weihnachten allerseits und den Menschen ein Wohlgefallen, das wünscht Lilli allen ihren Lesern. Bleiben Sie gesund, alles andere kann man richten.
Lilli legt los - 23. Dez, 17:43
Wenn Sie einen Skihelm verschenken, sollten Sie diesen gleich im Geschäft oder an einem dieser Stände, wo flinke Finger Ihre Geschenke gegen eine Spende für einen guten Zweck einpacken, einpacken lassen. Ehrlich. Wer es zu Hause selbst macht, verplempert eine gute halbe Stunde Zeit und viele Meter Klebefilm.
Lilli legt los - 22. Dez, 05:00
Jahrelang konnte Lilli keinen Ackersalat finden. Es schien in nirgends zu geben, und wenn Lilli nach "mâche" fragte, gaben die Gemüseleute schulterzuckend zu, nicht zu wissen, worum es sich handelte. Seit kurzem aber ist er in den Regalen gleich neben Arugula und anderen schicken Blättern aufgetaucht. Das Problem dabei ist nur, dass er in Plastikcontainern abgepackt und schon gewaschen ist, ein Edelprodukt mit entsprechendem Preis. Nun aber kennt Lilli Ackersalat als etwas, das man mühevoll aussortieren, putzen und mehrmals waschen muss, bis aus den eher unscheinbaren Blättern ein feiner Salat geworden ist. Wer Leute zum Essen einlädt und Ackersalat reicht, serviert ihnen gleichzeitig eine Liebeserklärung, da dies nur unter Aufbringung stundenlanger Kleinstarbeit möglich ist. Jetzt kann Lilli, so sie es sich leisten kann, jederzeit im Handumdrehen Ackersalat auf den Tisch bringen. Der kleine Strolch ist glücklich, aber Lilli findet, dass da geschmacklich etwas verloren gegangen ist.
Lilli legt los - 21. Dez, 12:05
Gestern abend hat Lilli "The Help" fertiggelesen. Ein Buch, das unter anderem durch den sehr deutlich herausgestellten Redestil der Hauptpersonen so lebendig ist, dass Lilli manchmal den Eindruck hatte, die Leute reden hören zu können. Ob die deutsche Übersetzung oder der Film es schaffen, dem Original gerecht zu werden, ist fraglich. Ob es in die Kategorie "Chick Lit" fällt oder nicht, ist eigentlich egal. Wer eine packende Geschichte zum Verschenken oder Selberlesen sucht und des Englischen mächtig ist, findet hier ein Lesevergnügen, aus dem man nicht gerne wieder auftaucht.
Lilli legt los - 20. Dez, 18:14