Samstag, 31. August 2013

Auferstanden von den Toten

Lilli sieht zweifelnd auf das Photo eines betagten Herrn, das sie für eine Wandtafel aus Edelstahl verwenden soll. Er trägt eine altmodische Metallbrille mit sehr dicken Gläsern und einen grauen Anzug, der nicht für den besten Kontrast sorgt. Das schlimmste aber ist der auffallend sonnige Wasserfall, der direkt hinter ihm in tropische Tiefen stürzt - eindeutig eine Photomontage aus der Urzeit. Lilli ruft seinen Sohn an, der selbst schon Grossvater ist und leider kein anderes Foto anbieten kann.
"Aber das Originalporträt, das müssten Sie doch haben?", fragt Lilli hoffnungsvoll.
"Nein, das Photo wurde bei Cardinal gemacht, wir haben da sonst nichts", sagt er.
Lilli macht sich Notizen: "Also Cardinal, so hiess das Fotostudio?"
"Nein, das Bestattungsunternehmen", erklärt der Sohn hilfreich.
"Aber das Photo wurde doch nicht vom Bestattungsunternehmen gemacht???", fragt Lilli ungläubig. Sie schaut dem Herrn in die Augen hinter den dicken Brillengläsern, sie sehen eindeutig lebendig aus.
"Doch, doch, das ist das beste Photo, das je von ihm gemacht wurde", erwidert der Sohn.
Lilli hakt noch mal nach. "Das Photo wurde doch aber schon zu Lebzeiten gemacht und nicht erst im Bestattungsunternehmen?"
Stille am Telefon, der Sohn muss überlegen. "Vielleicht haben die auch nur den Wasserfall dahinter gemacht?", meint er schliesslich zögernd.
Hoffen wir mal, dass es so war....

Mittwoch, 28. August 2013

Man wächst am eigenen Kind

Seit heute ist auch der kleine Strolch ein grosser Strolch, der - hier ab Klasse 7 - auf die weiterführende Schule geht. Die "grosse" Schule, wie es die Leute in Québec nennen, la grande école. Sonst hat Lilli immer einen Kloss im Hals, wenn der kleine Strolch wichtige Schwellen des Lebens überschreitet, ist er doch der Kleine und ihr letztes Kind. Das war schon so, als er vom Kindergarten "diplomiert" wurde und direkt gegenüber in die Grundschule kam. Oder als auch er nicht mehr von der Schule abgeholt werden wollte und allein auf den Spielplatz ging. Heute morgen sass er in Uniform an seinem neuen Pult, mit den neuen Büchern und Wörterbüchern vor sich aufgestapelt, und hörte aufmerksam zu, wie die neue Lehrerin den neuntägigen Stundenplan und die Cafeteria erklärte. Und Lilli fing nicht an zu weinen, weder vor allen Leuten noch heimlich in die Handtasche.

Dienstag, 27. August 2013

Von der Schwierigkeit, Geld auszugeben

Zuerst geht Lilli Schulhefte, Bleistifte, 5 mm kariertes und 6 mm kariertes Papier kaufen sowie liniertes Papier und natürlich Ordner, denn dieses Jahr muss der grüne Ordner dünner und der rote dicker sein als letztes Jahr. An der Kasse erhält sie freundlicherweise eine Gutschrift über 10 $ bei Sears, einem derart deprimierenden Kaufhaus, dass Lilli dort nur den Fuss hineinsetzt, wenn sie eine neue Batterie für die Küchenuhr braucht - und dann auch nur widerwillig. Jetzt aber braucht der kleine Strolch einen neuen Wecker, da passt es ja. An der Kasse erfährt sie, dass ihr Gutschein für Uhren nicht gilt. Gut, beim Reingehen kam sie an einem Regal mit Lindtschokolade vorbei, dann haut sie den Gutschein eben dafür auf den Kopf. Sie steht an einer zweiten Kasse an, an der ihr erklärt wird, dass sie alles kaufen kann mit ihrem Gutschein ausser Schokolade. Und Artikeln, deren Preis mit 97 Cents aufhört. Und natürlich Uhren.

Verzweifelt sieht Lilli sich um. Socken? Lilli hasst Socken. Männerunterhosen? Kosten auch hier mehr als 10 $. Ein Spielzeug? Hier gibt es nur Scheusslichkeiten aus Plastik. Schliesslich steht Lilli in der Küchenabteilung und sucht sich eine Teflonröstschaufel aus. Deren Preis mit 97 Cents aufhört... Sie atmet tief durch, greift sich einen Sparschäler für 11,88 $ und stellt sich zum dritten Mal an einer Kasse an.

Freundlich aber bedauernd blickt die Kassiererin zu ihr auf: "Ich kann den Gutschein nur für einen Kauf über 10 $ einlösen."
"Aber der Schäler kostet doch 12 $, wo ist das Probem?", fragt Lilli und hält sich an der Theke fest, bis die Fingerknöchel weiss anlaufen.
"Heute gibt es 20% Rabatt", erwidert die Kassiererin noch bedauernder.

Lilli starrt sie an, die Kassiererin starrt zurück. Irgendwo weint ein Kind.
"Ich kann Ihnen den Artikel aber auch zum vollen Preis verkaufen und den Gutschein dann anrechnen", schlägt die Kassiererin letztendlich vor.

Die Frau weiss es zwar nicht, sie hat sich in dem Moment aber selbst das Leben gerettet.

Samstag, 24. August 2013

Lilli und Vater und Sohn

Jedes Mal, wenn Lilli die Strolche mit ins Museum nimmt und diese daran Spass haben, ist Lilli sehr stolz. Wenn sie später mal glauben kann, dass sie ihren Kindern ein Fünkchen Kunstinteresse einblasen konnte, wird sie das als "mission accomplie" ansehen - nicht so sehr, weil ein Mensch mit Kunstinteresse ein nobles Geschöpf sei, sondern weil Freude an Kunst ganz und gar zu Lillis Person gehört und sie dadurch wahrhaftig ein Stück von sich selbst vermacht hätte. Aber wer würde sich nicht an Alfred Pellan's Kunst freuen? Wer ihn googelt, trifft auf viele SCHÖÖÖNE BUNTE Bilder. Und auf diese freche Karikatur, die kein Einzelfall ist, hat er sich doch öfters über andere Künstler lustig gemacht.
Scan-Pellan

Noch dazu bringt Lilli ihren Strolchen etwas über kanadische Kultur bei, was für eine Einwanderin doch wirklich ein netter Zug ist.

Sonntag, 18. August 2013

Der Ende des Sommers macht Lilli zu schaffen

Lilli wünscht sich eine App, die piepst, sobald man etwas zum letzten Mal erlebt. "Piep", letzter Freibadbesuch des Sommers, da es ab jetzt nur noch regnen wird. "Piep", letzter Fahrradausflug, zu dem der kleine Strolch wirklich gern mitgeht - in Zukunft wird er sich weigern oder aber die ganze Zeit lang passiven Widerstand leisten. "Piep", letzter Telefonanruf an den Vater, bevor dieser einen Herzinfarkt erleidet.

Oder würde so eine App ununterbrochen piepsen?

Mittwoch, 14. August 2013

Auch schon gemerkt

Die Weisheit des Tages: Kinder sind undankbar. Sie wissen gar nicht, wie gut sie es haben. Sie schätzen kein bisschen, was Andere für sie tun. Sie haben ja keine Ahnung!

So, und jetzt geht Lilli bügeln.

Dienstag, 13. August 2013

Lilli auf der Baustelle

Manchmal muss Lilli Baustellen besuchen und neulich hat ihre Chefin sie dabei fotografiert. Selten schaut man sich selbst bei der Arbeit zu, während man zahlreiche Bilder im Album hat, bei denen man auf Felsen sitzt und sinnend ins Weite blickt. Jetzt aber sieht sich Lilli auf einmal mit einer Akte und Kugelschreiber in der Hand und Helm auf dem Kopf, wie sie in Richtung Bagger zeigt. Erstaunlicherweise sicher sieht sie aus, steht aufrecht da, lächelt sogar. "Hm", sagt Lilli. "Das bin also auch ich!" Ihre Chefin nickt. "Ich dachte mir, dass Dich das interessiert." Psychologie hat sie studiert, ihre Chefin, und obwohl das schon sehr lange her ist, kommt es immer mal wieder durch.

Donnerstag, 8. August 2013

Klick

Zu Lillis Sommer gehört - seit Jahren schon - immer ein neues Wasgij. Ein 1000-Teile Puzzle, bei dem man vorher nicht weiss, was hinterher dabei rauskommt. Man puzzelt also blind drauflos, wobei das Hinweisbild auf der Packung schon eine gewisse Hilfestellung leistet - z.B. zeigt es die Szene 50 Jahre vorher oder was gegenüber vom eigentlichen Bild zu sehen ist. Das Ganze wird auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet und bleibt dort, für alle zugänglich, bis es fertig ist, was meist den ganzen Sommer dauert. Gestern sass der kleine Strolch davor und mühte sich mit einem Bildausschnitt ab, der entweder später mal zu einem Hausdach oder aber einer Riesenschildkröte gehören wird. "It gives me the whoopsiedoodles", singt er leise vor sich hin, als er ein neues Teil erfolgreich platziert. Besser kann man dieses Gefühl nicht beschreiben.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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