Mitmenschen
Ein neuer Handwerker - hurra! - ist gefunden. Lilli will ihn den "Mann mit der Mütze" nennen, denn diese setzt er, auch wenn er hemdsärmelig bis zum Ellenbogen im Abfluss der neuen Badewanne steckt, nicht ab. Gut sieht er aus, so ein ganz dunkler mit sanften Augen. "Hast du gesehen, was der für einen Hobel hat?", fragt Monsieur da beeindruckt. Décidément, Männer und Frauen scheinen nicht die gleichen Dinge wahrzunehmen. Morgen kommt der Mann mit dem Hobel wieder und geht den schiefen Wänden an den Leib.
Lilli legt los - 11. Apr, 18:20
Der Mann mit dem Hammer pfuscht und stückelt trotz Monsieur's Beaufsichtigung, wo es nur geht. Ausserdem hat er hat die Badewanne zu niedrig installiert und die Duschwanne im Eck angebracht, obwohl dieses keinen rechten Winkel bildet. Lilli und Monsieur haben ihn am Samstag morgen angerufen und ihm erklärt, dass es so nicht weitergeht. Bis ein neuer Handwerker gefunden wird, liegt die Baustelle still. Lilli lernt die Öffnungszeiten des örtlichen Hallenbades auswendig.
Lilli legt los - 8. Apr, 12:16
Heute morgen ist eine Frau, die drei Meter von Lilli entfernt am Bahnsteig stand, vornüber auf die Gleise gekippt. Eine Sekunde lang lag sie regungslos mit dem Gesicht nach unten auf dem Metall, bis zwei nette Leute zu ihr runtergesprungen sind und sie aufgehoben und hoch auf den Bahnsteig gehieft haben. Verwirrt sah die junge Frau um sich, dann geleiteten die Samariter sie zur nächsten Bank. Bald darauf kam auch schon der Zug, und als Lilli beim Anfahren aus dem Fenster schaute, war die Bank wieder leer und der Wind fegte dahinter durch die Büsche. Ob sie wohl nach Hause gegangen oder in den Zug eingestiegen ist, um in ihr Büro zu fahren? Niedriger Blutdruck, Schwangerschaft, Drogen, Gehirntumor? Lilli wird es wohl nie erfahren, denn morgens stehen die Leute schweigend beisammen und starren sich gegenseitig auf den Schal.
Lilli legt los - 2. Apr, 18:17
Lilli glaubt, die richtige Skulptur für ihr neues Bad gefunden zu haben:
https://www.globalviews.com/product_groups/794?category_id=11
Oder wird Monsieur darin nur einen kopfüberhängenden Jesus sehen?
Lilli legt los - 15. Mär, 19:39
Jetzt kommt der neue Papst also doch nicht aus Québec, wie es die Anhänger von Kardinal Ouellet gerne gehabt hätten. Komisch, auch wenn hier nur noch wenige Leute sich als überzeugte Katholiken darstellen, hätten sie sich irgendwie gerne im römischen Glanz gesonnt. Obwohl es dort doch in den letzten Tagen auch nur geregnet hat...
Lilli legt los - 14. Mär, 19:32
Wenn Lilli Leuten erklärt, dass sie nur drei Tage pro Woche arbeitet, finden das alle toll. "Boh, das ist ideal", sagen sie, "da hast du ja so viel Zeit!"
Lilli ist immer wieder erstaunt, wie wenig man doch mitteilt, wenn man die Wahrheit spricht, und wie viel an zusätzlichen Erklärungen nötig wäre, bis der Gegenüber versteht, wie die Wahrheit tatsächlich aussieht. Auch die Strolche beneiden sie darum, wenn sie montags nicht aus dem Haus muss, während für sie die Schule wieder losgeht. "Du hast es gut", sagt der grosse Strolch, "du musst heute nicht arbeiten."
In Wirklichkeit bringt ein Dreitagejob einige Nachteile mit sich: man muss das Informationsdefizit nachholen, das an Tagen der Abwesenheit entsteht, und läuft dabei ständig Gefahr, im Kreise der Kollegen als unaufmerksam oder dumm ("das haben wir doch gestern besprochen") zu gelten. Man erbringt stets weniger Leistung als die Vollzeitkräfte, braucht oft länger, bis ein Projekt zu Ende geführt werden kann, weil immer wieder Löcher im Zeitplan überbrückt werden müssen, und antwortet auf E-Mails mit Verzögerung, die nicht Alle verständnisvoll auf die Dreitagesituation zurückführen, sondern als unhöflich oder unzuverlässig auslegen. Wer gerne für seine Leistung gelobt wird und auf seine Arbeit stolz sein will, hat deshalb ständig das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen oder sein Geld nicht wert zu sein - das nagt am Selbstwertgefühl.
Und was die Tage zuhause angeht - nun, die sind bis oben hin mit Haushalt zugemüllt, wenn nicht Monsieur eine Sekretärin, Buchhalterin, Organisatorin oder sonstwie Fachkraft für alles braucht. Lilli kann sich nicht erinnern, unter der Woche mal tagsüber ein Buch in die Hand genommen zu haben, es sei denn bei einem Arzttermin. Stattdessen räumt sie hinter ihren Männern auf oder putzt den Kühlschrank, und trotz aller Anstrengungen ist ihr Haushalt unweigerlich weniger in Schuss als bei den Stay-at-Home-Moms, mit denen sie sich dummerweise vergleicht, weil sie ja schliesslich auch - zumindest in Teilzeit - zu dieser Gruppe gehört.
An beiden Fronten kommt Lilli sich also manchmal so vor, als leiste sie weniger als die Anderen. Natürlich hat sie es sich selbst so ausgesucht und natürlich würde sie ihren Dreitagejob nicht gegen eine Vollzeitstelle eintauschen wollen. Natürlich hat sie weniger Arbeit als Leute, die ihren gesamten Haushalt am Wochenende erledigen müssen oder womöglich Kinder mit besonderen Bedürfnissen haben. Das weiss sie alles. Trotzdem würde sie manchmal gerne schreien, dass nicht alles immer so rosig ist, wie es aussieht. Aber wie gesagt, das bedürfte einiger Erklärungen und Ausführungen, deren Länge man gut an diesem Post ermessen kann.
Deshalb lächelt sie auch nur und sagt: "Ja, das ist schon ziemlich ideal." Ist ja auch eigentlich egal, was die Leute über sie denken...
Lilli legt los - 11. Mär, 10:18
Lillis Yogalehrerin zufolge kommt jetzt der Monat der Nieren. Noch dazu war gestern Vollmond! Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie demnächst plötzlich nachts aufstehen müssen, obwohl das sonst nicht der Fall ist. Oder umgekehrt. Oder wenn Sie in den kommenden Tagen viel oder erschreckend wenig urinieren, hell oder dunkel, wohlriechend oder vielleicht auch nicht. Der chinesische Kalender ist dran schuld, das ist alles.
Lilli legt los - 27. Feb, 10:42
Gestern war Lilli mit Monsieur und den Strolchen Schlittschuhlaufen im alten Hafen von Montreal und so sah es aus:

Ein Mann fällt dadurch auf, dass er im rechten Winkel vornübergebeugt auf dem Eis steht, die Hände schützend gen Boden ausgestreckt, und so als lebendes L versucht, schlittschuhfahrend vorwärtszukommen. Für die Montrealer, die sprichwörtlich mit Schlittschuhen an den Füssen zur Welt kommen (sehr schmerzhaft für die Mutter, ja, haha), ein schwer zu ertragender Anblick: sowohl, was die Technik angeht, als auch aus ergonomischen Blickwinkeln heraus darf der Mann so nicht weitermachen. Deshalb dauert es auch nur fünf Minuten, bis jemand sich erbarmt, dem Mann die Hand auf die Schulter legt und ihm erklärt, wie es richtig geht. So sind sie, die Montréaler, und passend zum Valentinstag wird es Lilli ganz warm ums Herz.
Lilli legt los - 15. Feb, 17:30
Am Sonntag ist wieder Alptraum Superbowl. All diese Menschen, die bei Lilli fernsehend auf dem Sofa sitzen werden, einen Teller mit Hefezopf und ein Bier in der Hand jonglierend, und sich freuen, einen "richtig deutschen Kuchen" zu essen... ihnen würde Lilli gerne erklären, dass Hefezopf in Deutschland gar nicht als Kuchen anerkannt ist, dass man dort auch keinen Kuchen vor dem Fernseher essen würde, und schon gar nicht bei jemand anderem, und auch nicht mit Bier, sondern mit Kaffee und Sahne. Dass man Kuchen nicht als Nachtisch nach Fingerfood isst, sondern nachmittags, gepflegt am Tisch und möglichst mit zwei, drei Sorten zur Auswahl und einer Gabel. Aber nein, Lilli wird nichts erklären. Abgründe braucht man nicht zu erklären, solange man sie locker überspringen kann wie Lilli, die diese Leute, die da auf ihrem Sofa sitzen werden, gern hat, obwohl sie keine deutschen Kaffeetrinker sind. Sie haben andere Vorzüge. Nur, dass sie Football mögen, ist wirklich schade.
Lilli legt los - 1. Feb, 17:24
Aus beruflichen Gründen interessiert sich Lilli fürs Älterwerden, eine mit Klischees und Vorurteilen überhäufte, dennoch für viele Leute unerlässliche Lebensstufe. Wie schön, dann zufällig auf
Super Mamika zu stossen, die mit ihren 93 Jahren macht, was ihr gefällt.
Lilli legt los - 29. Jan, 09:45