Strolche
Die
Übermaus hat sich übernommen. Schon am Samstag abend war sie schwach und zittrig, wollte nicht mehr essen oder trinken und lag eher teilnahmslos über ihren Babys, die sich weiterhin blind um die Muttermilch balgten. 48 Stunden später lag sie tot vor ihrer Hütte. Was als nettes Abenteuer angefangen hatte, um dem kleinen Strolch eine Freude zu bereiten, ging nahtlos in Traurigkeit über, die, mit Entsetzen gepaart, in eine einzige Frage mündete: was macht man mit den Babys?
Nun, was macht man mit Babys, die keine Mutter mehr haben: man versucht, sie mit der Flasche grosszuziehen. Das war Lilli der Übermaus schuldig, wenn es auch genügend Kinder in Somalien gibt, die Milch nötiger haben als diese fünf gummibärchengrosse Geschöpfe. Der kleine Strolch kümmert sich mit grosser Geschicklichkeit um seine Kinder, kämpft aber mit gemischten Gefühlen, die er auf einem Abendspaziergang zwischen zwei Hüpfern erstaunlich präzise auf den Punkt brachte: "Fast wäre es mir lieber gewesen, sie wären gleichzeitig mit der Mutter gestorben. Jetzt muss ich weiter hoffen, dass sie leben, und werde dann doch nur noch mehr traurig, wenn wir sie nicht durchbringen." Hoffen und Bangen, so eng beieinander wie fünf Mäusebabys, die sich unter einer Schreibtischlampe aneinanderdrängen, um nicht zu frieren.
Lilli legt los - 22. Sep, 05:00
Der kleine Strolch ist begeistert: "In der Schule haben sie gesagt, B. kommt wieder zurück!!!" B. ist vor einem Monat nach Toronto umgezogen und war bis dahin ein dicker Freund des kleinen Strolches. Anfangs hatte Lilli diese Freundschaft argwöhnisch beobachtet, denn B. drückte sich mit Vorliebe im Futurum aus, was im Fanzösischen leicht in die Befehlsform abrutscht: "Du kommst heute nachmittag zu mir und bringst deine Transformer mit, und dann spielen wir Mondstation." Ein ausgesprochener Leader, der anderen sagt, wo's lang geht, und der kleine Strolch liess sich gerne herumkommandieren. Den ganzen Sommer über hatte sein erstes Unterfangen nach dem Frühstück darin bestanden, drei Strassenecken weiter bei B. zu klingeln, um zu sehen, was sie zusammen anstellen könnten. B.'s peruvianische Eltern machten tolle Pfannkuchen mit Karamellsosse und erlaubten B., tagsüber fernzusehen - das Paradies auf Erden. Der kleine Strolch hatte B. seinerseits in die Wonnen der Gorgonzolasosse eingeweiht und ihm am Tag vor dem Umzug noch ein Plastikschüsselchen voll ins Haus gebracht, als Abschiedsgeschenk.
Nun scheint es also, als ob B. wieder zurückkommen würde und der kleine Strolch malt sich schon aus, wie toll alles wieder wird. "Wo werden sie wohnen?", fragt Lilli. "Na, in ihrem alten Haus, wo sonst?", erwidert der kleine Strolch. "Aber da wohnen doch jetzt andere Leute", gibt Lilli zu bedenken. "Dann kaufen sie es von denen wieder zurück", antwortet der kleine Strolch trotzig, obwohl er merkt, dass Lilli vielleicht recht haben könnte. Vielleicht wird doch nicht alles wieder wie früher. Vorfreude, Hoffnung und Angst mischen sich auf dem Gesicht des kleinen Strolches, als rührte er hektisch mit einem dicken Pinsel auf der Mischplatte des Aquarellkastens herum.
Lilli legt los - 15. Sep, 10:25
Es war nicht genug, dass die Maus des kleinen Strolches über Nacht völlig klaglos ein Dutzend Kinder in die Welt gesetzt hat.
Danach hat sie minutenlang ein Loch in ihrer Streu gegraben und mit Klee ein Nest gebaut.
Danach hat sie die leere Klopapierrolle, die in einem Eck ihres Käfigs lag, mit Zähnen, Krallen und unter Aufbietung all ihrer Kräfte bis vor ihr Häuschen gezerrt, um den Zugang zu versperren.
Danach hat sie 24 Stunden hauptsächlich mit Schlafen und Stillen zugebracht, sich geputzt und ab und zu an einem Maiskorn geknabbert. Und Wasser getrunken, denn das viele Stillen macht durstig.
Danach ging sie eine halbe Stunde auf dem Laufrad joggen.
Was ist der Mensch doch für ein klägliches Geschöpf.
Lilli legt los - 13. Sep, 05:00
Die Schulleitung hatte Lilli und all die anderen Eltern beim Elternabend gewarnt: mit 12 wird es lustig, und wenn das Lustige noch nicht angefangen hat, dann wird es nicht mehr lange dauern.
Heute morgen ruft der grosse Strolch Lilli im Büro an:
Grosser Strolch: "Hast du mir ein Vesperbrot gemacht?"
Lilli: "Nein, heute ist doch Freitag. Ich dachte, freitags kommst du zum Essen nach Hause".
Hier, werter Leser, gestatten wir uns, eine kleine Erläuterung einzuschieben. In der neuen Schule des grossen Strolches, der sogenannten Sekundarstufe Klasse 7 bis 11, ist der Stundenplan auf 9 Tage angelegt. Nicht etwa auf 5 Tage, die so praktisch in eine Woche passen und dann immer am gleichen Tag wiederkommen, nein: 9 Tage. Sport hat er zum Beispiel immer am Tag 3 und 5, Ethik nur am Tag 8, Französisch dafür immer, ausser am Tag 4. Und alle Tage gehen bis 16 Uhr 27, nur der Freitag hört um 13 Uhr 16 auf, da sind dann alle Stunden etwas kürzer, damit kein Fach zu kurz kommt. Pausen dauern übrigens 9 Minuten. Da die Schule erst letzte Woche angefangen hat, kämpft Lilli noch schwer mit Anpassungsschwierigkeiten und hätte es durchaus verständlich gefunden, da irgendwas durcheinander gebracht zu haben... Aber nun zurück zum Dialog.
Grosser Strolch: "Heute brauch ich aber ein Brot, heute ist nach der Schule Picknick."
Lilli: "Dann mach dir eins." Durchaus freundlich, aber ohne so rechtes Bedauern für den Strolch mitschwingen zu lassen.
Grosser Strolch: "Ich kann mir auch bei Subway was kaufen."
Lilli: "Nein, grosser Strolch, das kannst du nicht."
Als ob jemand Jojo mit ihnen spielen würde, mal Baby und mal Teenager, immer rauf und runter.
Lilli legt los - 9. Sep, 17:49
Wenn man sich nur lange genug seelisch darauf vorbereitet, kann man auch eine
Maus goldig finden.
Lilli legt los - 4. Sep, 12:58
Heute hatte Lilli zum ersten Mal zwei Kinder in zwei verschiedenen Schulen. Und obwohl es für ihren Tag im Büro absolut keinen Unterschied macht, wo sich die Strolche befinden, während sie selbst in der Innenstadt weilt, sitzt Lilli am Schreibtisch und schneidet ihr Herz in zwei blutende Stücke.
Verstehe einer die Mütter.
Lilli legt los - 2. Sep, 05:00
Ein bisschen Ferienstimmung ist noch übrig, wenn Lilli auch schon wieder seit zwei Wochen arbeitet. So hatte sie unter der Woche die Muße, mit den Strolchen abends einen Zeichentrickfilm zu schauen, was unter normalen Umständen ihre Kräfte übersteigt. Also ganz unter uns: wenn Sie einen wirklich großartigen Rülpser sehen wollen, leihen Sie sich mal "Rango" aus.
Lilli legt los - 26. Aug, 19:41
Der kleine Strolch will eine Maus. Was nun? Schon längere Zeit über sucht er nach einem Tier, das ganz ihm allein gehören kann. Sein grosser Bruder hat Fische und er hat nichts! Es muss aber ein Tier zum Anfassen und Schmusen sein, denn der kleine Strolch ist nun mal kein Kontemplativer. Gegen Katzen ist Monsieur aber allergisch, Hunde brauchen Auslauf, Hamster sind langweilig und Hasen stinken. Reptilien sind nicht so schmusig, Vögel auch nicht, Schildkröten beissen und Frösche..., nun, Frösche sind feucht. Jetzt hat der Nachbarsjunge eine Maus, und keine Viertelstunde nach dieser phänomenalen Entdeckung kam der kleine Strolch mit strahlenden Augen angestürmt. Eine Maus muss es sein, das passt zu ihm wie sein kariertes Hemd und die Lederbändel um den Hals, wie Lilli widerstrebend zugeben muss. Jetzt sucht sie nach gebrauchten Mäusekäfigen, von denen es in den Internetanzeigen erstaunlich viele gibt.
Lilli legt los - 23. Aug, 05:00
Die Annahme, dass Eltern und Kinder an den gleichen Aktivitäten Spass haben müssen, weil sie miteinander verwandt sind, ist völlig aus der Luft gegriffen.
Lilli legt los - 15. Aug, 21:25
Auch mal nett: in einem "Saint-Hubert", einer Brathähnchenkette, hinter dem Tresen der Abräumdamen im Müll wühlen, weil der kleine Strolch seine Zahnspange in eine Papierserviette eingewickelt und dann auf dem Tablett vergessen hat. Es ist nicht zu glauben, wieviel Freude es macht, ein knallgelbes drahtiges Ding in einem Haufen sossenverschmierter Hähnchenknochen wieder zu finden. Die Abräumdamen stehen derweil daneben und schauen entgeistert.
Später im Auto wirft Lilli dem kleinen Strolch seine blaue Spangendose in den Schoss. "Das hier ist deine neue beste Freundin. Ich will dich nie wieder ohne sie sehen, ist das klar?" Der kleine Strolch nickt und wünscht sich weit, weit weg.
Lilli legt los - 2. Aug, 09:51