Mitmenschen

Donnerstag, 19. Dezember 2013

O Tannenbaum

Die Drogerie-Kette Pharmaprix hat dieses Jahr keine Weihnachtsbäume aufgestellt. Die Läden sind mit abstrakteren Dekorationen geschmückt, stilisierten "Bäumen" in Pyramidenform, Sternen und anderen neutralen Sachen, die festlich aussehen, ohne allzu christlich zu wirken. Nun, das ist der Zeitgeist heuer in Québec, hier geht es um die Trennung von Staat und Kirche, die Verbannung von Glaubenssymbolen im öffentlichen Dienst oder gar in der Öffentlichkeit kurzum. Warum jetzt aber die verschwundenen Drogerie-Christbäume Schlagzeilen machen? Weil Kunden sich darüber beschwert haben. So sieht's aus. Wenn die Leute schon Parfüm kaufen sollen, möchten sie bitteschön in Weihnachtsstimmung versetzt werden, wie es sich gehört, so richtig anständig mit einem Tannenbaum.

Freitag, 6. Dezember 2013

Trophy wife

Lilli steht im Montrealer Kongresszentrum vor einem Schmuckverkaufsstand und lässt bewundernd eine lange Kette mit grossem Medaillon durch die Hand gleiten. "Na, da wird Monsieur aber tief in die Tasche greifen müssen", hört sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Eine frühere Kollegin von Monsieur, die eigentlich immer ganz nett war, jetzt aber nichts besseres wusste, als mit diesem platten Spruch auf Lilli zuzugehen. "Das gibt eher ein Geschenk von mir für mich", meint Lilli und hofft, damit signalisiert zu haben, dass sie nicht nur als (monetär abhängiges) Anhängsel ihres Mannes, sondern durchaus als Einzelmensch existiert, der nicht nur zuhause sitzt und darauf wartet, gnädig beschenkt zu werden. Je länger Lilli darüber nachdenkt (und schreibt), um so unmöglicher findet sie die Frau.

Dienstag, 26. November 2013

Einen Oscar für Captain Philips

Am Wochenende war Lilli mit Familie im Kino. Das Schöne an so grossen Strolchen ist ja, dass man sie überall hin mitnehmen kann - sie können alleine essen, allein aufs Klo und gehen ins Bett, wenn alle anderen das auch tun. "Captain Philips" war das teure Kinogeld wert, die grosse Leinwand brachte die Enge des Rettungsbootes, in dem er gekidnappt wird, dramatisch in den Vordergrund, es war unendlich spannend und Tom Hanks in der Rolle des unfreiwilligen Helden sehr glaubwürdig. Sogar Monsieur hat sich Tränen aus den Augen gewischt, während Lilli versuchte, sich nicht zu sehr von ihren Schluchzern schütteln zu lassen. So muss Kino sein.

Freitag, 22. November 2013

Was wären wir ohne uns

Drei Tage war die Kamera krank, jetzt läuft sie wieder, Gott sei Dank. Lilli will nämlich einen Film machen, um ihn ihren Eltern zu zeigen, wenn sie an Weihnachten nach Deutschland kommt. Über ihren Alltag mit den Strolchen, die Schule, die vielen Sporttermine, die Kekse am Abend, Zeitunglesen am Samstagmorgen, die neuen Vorhänge, das neue Bad, das wahre Leben halt. Ihre Schwester wird das bestimmt doof finden.

Montag, 18. November 2013

Totale Niederlage

"Wer geht mit mir einkaufen und wer bleibt hier, um aufzuräumen und staubzusaugen?", fragt Lilli hoffnungsvoll in die Runde. Wer kann so ein Angebot ablehnen? Alle drei Männer des Haushalts, wie sich herausstellt.

Sonntag, 17. November 2013

Empfehlenswert

Lilli liest La liste de mes envies (Alle meine Wunsche) von Grégoire Delacourt. Eine rundliche Betreiberin eines Stoffladens, die über Handarbeit bloggt, gewinnt 18 Millionen Euro und sagt es niemandem. Den Scheck versteckt sie im Schrank, dann denkt sie über ihr Leben nach und was sie ändern möchte. Die nicht einfache Beziehung zu ihrem Mann? Das Leben ihrer Kinder, die am Anfang ihrer Karriere stehen? Und ihr Traum, Modedesign zu studieren? Eine Geschichte, die sich schnell liest, aber lange nachhallt.

Sing along

Lilli organisiert eine Party. Mit Liedern zum Mitsingen. Monsieur verzieht das Gesicht, findet die Idee kitschig. Sie lädt drei befreundete Familien ein. Am Mittwoch abend schickt sie die Einladungen los, am Donnerstag erhält sie drei begeisterte Zusagen. Monsieur fragt, ob er seine Gitarre mitbringen kann. "Klar", sagt Lilli. In Monsieur's Kopf fangen Noten an zu spielen, er geht die Liste seiner drei Hits durch, die er noch gut kann, nimmt sich offensichtlich vor, bis dahin ein wenig zu üben. Vielleicht ist es doch nicht so kitschig, miteinander Musik machen zu wollen.

Dienstag, 12. November 2013

Lilli liest

La fiancée américaine (Autor: Eric Dupont). Ist anscheinend noch nicht auf deutsch erschienen, aber Lilli ratet jetzt schon: lesen Sie's nicht. Es ist zwar fein geschrieben und voll mit einzigartigen Menschen, die ihr kleines Leben gross ausleben - ein Kind wird während der Christmette geboren, während seine Mutter Maria personifiziert, und alle müssen es mitansehen, da draussen der Schneesturm tobt und keiner aus der Kirche raus oder rein kann - aber kaum hat sich der Leser in dieser Gemeinde ein Plätzchen gemacht, springt die Handlung über Jahre hinweg nach vorn. "Halt", will man sagen, denn so sollte kein Autor mit seinen Hauptpersonen umspringen. Die neue Generation wird wieder in vielen Einzelheiten beschrieben - wie der Kuchen an dieser Feier schmeckte und welche Oper bei jener Beerdigung spielte, was für ein Vogel bei der Gesangslehrerin im Käfig sass, und so weiter.... und schwupps geht es wieder einen Ruck nach vorn. Jetzt sind wir im "Heute", zwei Brüder schreiben sich Briefe, der eine lernt eine alte Dame in Berlin kennen, die ihm jenen Nachtisch macht und dazu einen Riesling einschenkt und - schwupps, jetzt erzählt die alte Dame aus ihrer Kindheit, wie sie in Königsberg aufwuchs und dort eine Gesangslehrerin hatte, .......

Es ist zum Sich-die-Haare-ausreissen. Ein Leser ist doch kein Stehaufmännchen, das immer wieder gern von vorne anfängt, ohne je zu erfahren, wie es denn nun mit den Personen, die man im Laufe der Seiten zu mögen gelernt hat, zu Ende geht. Man kann doch nicht jemanden kennenlernen, ihn ein Stück bis ins Intimste begleiten und dann einfach auf einer kalten Parkbank sitzen lassen!! Es passiert Lilli nur selten, dass sie ein Buch nicht fertig liest, dieses aber hat sie nach zwei Dritteln für immer zugeklappt.

Montag, 11. November 2013

Gut gegen Novembernieselregen

Draussen wird es früh dunkel und ausser ein paar Leuten mit Hunden hat sich die Menschheit in ihren Häusern vergraben. Lilli denkt an Florida zurück: wie die Leute sich abends am Strand versammelten, um den Sonnenuntergang zu sehen. Seltsam still war es um diese Zeit am Strand, obwohl immer noch Kinder badeten und Mütter und Väter bis zu den Knien im Wasser standen, um sie zu beaufsichtigen. Je tiefer die Sonne sank, umso schräger standen die Leute, jetzt eher der Sonne als ihren Sprösslingen zugewandt, um dem lautlosen Spektakel, das sich da im Zeitlupentempo abspielte, beizuwohnen. Wie ein Ritual war das, das zum Sommerurlaub genauso dazugehörte wie Eisschlecken und Sonnencreme-Einmassieren. Man muss das Photo eine Weile anschauen, bis man die Leute im Dunkeln sieht. Ach, war das schön.

-t-2012-265

Samstag, 9. November 2013

Vorbei-Gehen

Seit Lilli da wohnt, wo sie wohnt, ist sie fast jeden Tag an einer alten Autowerkstatt vorbeigekommen, in der ein Künstler schafft und lebt. Manchmal stand das grosse Tor, durch das früher die Autos ein- und ausfuhren, offen, sodass man im Innern ein grossartiges Durcheinander erkennen konnte: einen Sandsack zum Boxen, Leitern und Kisten, Bildschirme, grosse Brocken aus Beton und Styropor, Tische, ein Kühlschrank und immer coole Musik. War das Tor geschlossen, leuchteten dahinter tausende von Glühbirnchen, die einen grossen Kreis um das Tor formten, und eine Discokugel warf ihre Pünktchen an alle vier Wände. Manchmal sah man viele Silhouetten von Leuten, die tanzten oder standen, manchmal schien die Festbeleuchtung auch für niemanden. Oft kam der Künstler raus, um mit Lilli zu reden. In den letzten Jahren über die Befürchtung, umziehen zu müssen, um einem Bauprojekt Platz zu machen. Lilli kannte seinen Namen nicht, wusste aber, welche Montréaler Skulpturen der Künstler geschaffen hatte - vor einigen Jahren schon, in letzter Zeit waren die Aufträge seltener geworden. Seit dem Frühjahr schon wurden dicht an seinem Grundstück Eigentumswohnungen gebaut, Ende Oktober wurde er zwangsenteignet und heute morgen sah Lilli, dass die Garagentür, die sonst entweder offen stand oder geheimnisvoll leuchtete, mit Holzbrettern vernagelt ist. Erst jetzt googelte Lilli nach seinem Namen, obwohl sie ihn wohl nie wieder im Vorbeigehen grüssen wird.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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