Mitmenschen

Mittwoch, 17. März 2010

Die Geometrie des Paares

Komisch, dass man eine richtig traurige Diskussion haben kann, in der auf den Tisch kommt, dass man wohl kein richtiges Paar mehr ist, sondern eher eine Art Wohngemeinschaft, die zum Zweck der gemeinsamen (oder eher abwechselnden) Kindererziehung existiert, deren Mitglieder aber andernfalls meist getrennte Wege gehen - ob aufgrund von übergrossem Arbeitspensum, mangelndem Interesse oder einer seelischen Abnutzung, die nach fast zwanzigjähriger Beziehung vielleicht normal ist (so wie das "ordinary wear and tear", das in Monsieurs Verträgen immer wieder heraufbeschworen wird), sei dahingestellt - dass man also wichtige, zukunftsweisende, tieftraurige Diskussionen haben kann und gleichzeitig darüber nachdenkt, wie seltsam es doch ist, dass der Durchmesser der Kaffeekanne, die da vor einem auf dem Tisch steht, exakt genau so gross ist wie die Seitenlänge der Quadrate, die in das Tischtuch eingewebt sind...

Dienstag, 26. Januar 2010

Lilli liest Mieses Karma

Sollte Lilli mal wiedergeboren werden, dann bitte als Sofa Ende Januar: hier kommt im Moment so viel American Football im Fernsehen, dass sie als Sofa den meisten Hautkontakt mit Monsieur haben könnte...

Montag, 18. Januar 2010

Na dann nastrowje

Olga ist Russin, in Russland geboren und aufgewachsen und sieht so russisch aus, dass sie auch Svetlana heißen und ein Eislaufkostüm tragen könnte. Sie arbeitet in Moskau in der Marketingabteilung einer Ketchupfirma, die es ihr ermöglicht, ziemlich viel in der Welt herumzureisen und dabei schwupps (und noch dazu in München!) einen Kanadier kennenzulernen, der sie am Wochenende Lilli vorgestellt hat. Olga hat einen schweren Zungenschlag, mit dem sie ein passables Englisch spricht, trägt knackige Jeans und zeigt sich erstaunlich unbeeindruckt über das Leben, wie sie es in den letzten Tagen in Kanada beobachten konnte. Die kanadische Kälte lässt sie kalt, die Weite der Landschaft auch, die Restaurants in Montréal findet sie preiswert und von American Football versteht sie auch nicht weniger als Lilli. Miteinander telefonieren tun sie über Skype, und weder Mikrowelle noch Spülmaschine halten irgendwelche Mysterien parat. Allein, als Olga ihre Mitbringsel auspackt, überflutet eine Welle russischer Authentizität das Wohnzimmer, als stünde Anton Tschechow persönlich auf dem Teppich: eine Babuschka mit integrierter Wodkaflasche für Monsieur, ein handbemaltes glänzendes Schächtelchen für Lilli und zwei kleine Babuschkas für die Strolche sagen sehr deutlich „Russland“ und beschwören das Unbekannte, Fremde, die andere Kultur herauf, auf die Lilli eigentlich gewartet hatte. Olga ist wieder zurück nach Moskau geflogen, aber ihre Mitbringsel stehen immer noch bei Lilli auf dem Küchentisch und warten darauf, wie diese Liebesgeschichte zwischen zwei Kontinenten jetzt wohl weitergeht.

Dienstag, 5. Januar 2010

Lillis Geschenke-Hitparade

Lillis doofstes Geschenk kam dieses Jahr von Monsieur, der normalerweise ein kluger und großzügiger Schenker ist. Nun aber hatte er sich in den Kopf gesetzt, Lilli eine Perlenkette zu schenken – ein Objekt, das er ihr schon vor Jahren gern angedreht hätte, worauf sie entsetzt so etwas wie „Perlen nicht vor 40“ gestammelt hatte und meinte, damit für lange Zeit (oder gar für immer, denn mit 26 sieht 40 tatsächlich aus wie scheintot) aus dem Schneider zu sein. Nun ist aber Lilli 2009 ganz unumstritten 40 geworden, worauf Monsieur es nicht lassen konnte, seinen heimtückischen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Natürlich wusste er, dass Lilli sich nicht unbedingt darüber freuen würde, aber er hat die Kette ja auch gar nicht ihr geschenkt – sondern sich selber. Hat er doch tatsächlich zuerst Lilli eine kleine Schachtel mit Perlohringen auspacken lassen, bevor er selbst eine etwas größere Schachtel auspackte, die Kette hochhob, sich freute, sie gebührend bewunderte und sie anschließend an Lilli mit der Entschuldigung weiterreichte, dass sie für ihn doch wohl etwas zu kurz sei. Grummelnd legte Lilli die Kette an, befand sie für schön (verstehen wir uns richtig: die Kette ist, ganz objektiv betrachtet, schön, nur eben an Lilli nicht) und betrachtete unwirsch die Dame, die ihr da aus dem Spiegel entgegensah. Sie sah aus wie die Vorsitzende der Benefizveranstaltung zugunsten des örtlichen Waisenhauses oder aber wie die Frau des Bürgermeisters in Pippi Langstrumpf. Eine seltsame Verwandlung, die Lilli vielleicht noch dadurch etwas mildern kann, dass sie die Kette nur zu Jeans und T-Shirt trägt… Das schönste Geschenk kam dieses Weihnachten übrigens vom kleinen Strolch, der sich vor Lilli hinstellte und ihr deklamierte, dass er mindestens dreimal ohne Jammern mit zum Langlaufen gehen würde. Ja, dieser Mann hat sich überlegt, womit er Lilli WIRKLICH eine Freude bereiten kann!

Sonntag, 3. Januar 2010

Querdenker

Wenn es auf der Autobahn von links nach rechts schneit anstatt von oben nach unten, gibt es eigentlich keinen ausreichend wichtigen Grund, sich überhaupt auf der Autobahn zu befinden. Dachte sich Lilli gestern abend von 8 bis 11 Uhr jedenfalls. Monsieur hat sie trotzdem alle heil nach Hause gebracht und verdient sich somit, nach all den Jahresrückblicken, den Titel "Erster Held des Jahres 2010".

Montag, 7. Dezember 2009

Sie läuft und läuft...

Lilli fragt in einer E-Mail: Ist die Dienstleistung X in der Grundgebühr enthalten oder wird sie extra berechnet?
Antwort: Ja.

Woraufhin Lilli zum Telefon greifen musste, um sich das Ganze erklären zu lassen. Fazit: Der Mensch, der Lilli ganz besonders schnell abfertigen wollte, musste sich anschließend doch Zeit für sie nehmen… genau die Zeit, die er am Anfang hatte sparen wollen. Lilli nennt das chronometrische Gerechtigkeit…

Montag, 23. November 2009

Lilli und die Relativitätstheorie

Als Lilli heute morgen die Treppe zum Büro hochstieg, beschlich sie plötzlich ein seltsames Gefühl: es kroch aus dem Nichts den Rücken hoch, umkreiste ihren Nacken und stieg von dort gleichzeitig runter in den Magen und bis hoch unter die Haarspitzen. Dieses Gefühl lautete in etwa: „Ich schaff es nicht. Ich kann keinen Schritt weiter gehen und diesen Tag nicht anpacken. Nach dem nächsten Schritt bin ich gelähmt und bleibe hier auf der Treppe stehen wie eine Salzsäule, die weder vor noch zurück kann.“ Seltsamerweise liefen ihre Beine trotzdem weiter und trugen sie bis zum Aufzug, der sie in den 46. Stock hochzog und dort vor die Empfangsdame spuckte. Diese lächelte Lilli so freundlich an, als sei dies ein ganz und gar gewöhnlicher Tag und nicht etwa der Tag, an dem Lilli aufhörte zu funktionieren. Danach fing Lillis Arbeitstag an, sich von selbst zu entfalten, ohne sich darum zu kümmern, ob Lilli wollte oder nicht. Und siehe da, Lilli funktionierte einigermaßen und überlebte tatsächlich bis zum Abend. Auf dem Nachhauseweg traf sie mit einer entfernten Nachbarin zusammen, die als Kinderärztin vor kurzem von der Notaufnahme auf die Palliativpflegestation übergewechselt hat. Denn ja, das gibt es auch in Kinderkrankenhäusern. Die Nachbarin gestand Lilli, dass sie daran zweifelt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dass sie letzte Woche dachte, sie würde es nicht schaffen, und am liebsten einfach nicht mehr hingegangen wäre. Dass sie weiß, dass niemand von ihr erwartet, gleich von Anfang an perfekt zu sein, und trotzdem. Lilli hörte genau zu, obwohl sie den Text schon kannte. „Wichtig ist relativ“, dachte sie bei sich und merkte, wie das seltsame Gefühl von heute morgen wieder ein bisschen weniger kräftig auf ihre Halsschlagader drückte.

Freitag, 20. November 2009

Das Fernsehwunder

Freitag abends gucken Lilli und die Strolche ein seichtes Quiz, bei dem es nicht so sehr darauf ankommt, richtig zu antworten, sondern geschickt zu bluffen. Die Strolche sind froh, endlich mal abends fernsehen zu dürfen, und versuchen, die Fragen (Wer hat „Le rouge et le noir“ geschrieben? Was ist ein Ristretto? Wer wählt den Papst?) zu beantworten, während Lilli froh ist, faul auf dem Sofa liegen zu dürfen, ab und zu triumphierend eine Antwort in die Runde wirft und ansonsten Pläne fürs Wochenende macht. Das Lustige an der Sendung ist, dass die ganze Staffel wohl innerhalb einer Woche aufgenommen wurde und die Moderatorin zu dieser Zeit bis zu den Ohren schwanger war. Nun stöckelt sie also seit September Veronique-cloutier jeden Freitag abend wie ein elegantes Walroß auf ihren hohen Schuhen von einem Kandidaten zum anderen und stellt dabei den schönsten Bauch (und das dazugehörige Decolleté) zur Schau, jedes Mal in einem anderen tollen kurzen Kleid. Jede Woche sind die Strolche gespannt, ob sie denn nun wohl ihr Kind geboren hat (hat sie schon vor einiger Zeit), und wundern sich jedes Mal aufs Neue, dass man so lange so schwanger sein kann. Lilli grinst nur vor sich hin und fragt sich, ob es das wohl in Deutschland auch geben würde, so eine öffentliche Fernsehschwangerschaft ganz ohne Vertuschungsversuche.

Mittwoch, 18. November 2009

Lilli und die Ironie

Letzte Woche hatte Lillis Büro Besuch: der Personalberater, der im Beisein von Lillis Chefin ihr Vorstellungsgespräch im Juni geführt hatte, schaute auf einen Sprung vorbei. Mit seinem Rucksack und seinem gestreiften Schal sah er aus wie der kleine Prinz mit 19, und genauso unbefangen warf er Lilli über das gesamte Großraumbüro hinweg die Bemerkung zu, dass er doch einmal sehen musste, ob sie tatsächlich noch da war oder ob sie den Job bereits wieder geschmissen hätte. Dass er mit dieser ironisch gemeinten Frage fast ins Schwarze getroffen hätte, da Lilli in den ersten Wochen tatsächlich näher an der Kündigung dran war als Bella an ihrem Edward (Twilight, irgendwer?), konnte er zwar nicht ahnen, hätte er aber trotzdem als Möglichkeit in Erwägung ziehen müssen. Ironie darf in der rhetorischen Palette eines Personalberaters eigentlich nicht existieren, wenn er und seine Ratschläge ernst genommen werden möchten. Natürlich darf er auch nicht aussehen wie 19, aber dafür kann er nun wirklich nichts. Lilli jedenfalls lächelte nur schief und meinte mit einem schrägen Blick auf ihre Chefin, dass es ihr jeden Tag besser gefalle. Dass sie noch lange nicht davon überzeugt ist, die richtige Person für den Job zu sein, behielt sie hübsch für sich. Infragestellungen dieser Art stehen erst zwischen Weihnachten und Neujahr auf dem Kalender.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Lilli springt über ihren Schatten

Lilli klingelt bei der Nachbarin, die fünf Häuser weiter wohnt und gerne mal, wenn Lilli vom Einkaufen zurückkommt, beim Hoffegen innehält, um mit Lilli über Europa, Reisen allgemein und andere schöne Dinge des Lebens zu plaudern. Eine nette ältere Frau, kinderlos, früher Krankenschwester an einer Schule, jetzt in Vollzeit mit der Reinhaltung des Hauses, dem Hoffegen und dem Spazierenführen des Hundes beschäftigt. Die ideale Kandidatin für den Posten der Ersatzoma, den Lilli eigens geschaffen hat, um für eventuelle Grippewellen diesen Winter in Sachen Kinderbetreuung gerüstet zu sein. Wenn schon die deutsche Oma so weit weg wohnt und die kanadische grand-maman zu nichts zu gebrauchen ist, muss man eben sehen, wo man sich sein soziales Netz zusammenklaubt. Lilli klingelt also bei der Nachbarin, wird auch sofort erfreut/erstaunt ins Haus gebeten und bringt herzklopfend ihr Bittgesuch vor. In Filmen ist so ein Schritt ins Ungewisse, so ein „Anklopfen beim Mitmenschen“ stets der Anfang einer interessanten Entwicklung, da uns die Filmemacher glauben machen wollen, dass sich im harmlos aussehenden Anderen je nach Genre entweder die verwandte Seele oder aber der sadistische Serienmörder verbirgt, zumindest aber die ulkige Freundin, die neue Farbe und Bewegung ins eigene banale Leben bringt. Tja, liebe Leser – das Leben ist kein Film! Die nette Nachbarin gibt sich zuerst sehr zurückhaltend, stimmt dann aber zu, sich im-Ausnahmefall-und-wenn-alle-anderen-Stränge-reißen-aber-wirklich-auch-nur-dann ein Paar Stunden um die Strolche kümmern zu wollen. Dann klemmt Lilli ihren neu erstandenen roten Regenschirm unter den Arm und marschiert nach Hause. Mit dem Gefühl, dass diese Initiative, auf die sie so stolz war, da es durchaus nicht in Lillis Natur liegt, einfach so auf andere zuzugehen, folgenlos im Sand verlaufen wird. Musik war übrigens auch keine dabei. Und Klappe.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 6223 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

Credits

Web Counter-Modul


Laufen
Lillis Positiv-Pakt
Mitmenschen
Reise in den Abgrund
Selbständig arbeiten
Strolche
Zeitmanagement
Zonstiges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
Blog Top Liste - by TopBlogs.de Blog Verzeichnis Bloggeramt.de