Wir sind ein zweisprachiger Haushalt. Das heißt, dass ich mit meinen Kindern deutsch spreche und sie mir auf französisch antworten (früher war das mal anders, aber zwingen will ich sie nicht). Letztes Jahr hat die Regierung der Provinz Quebec nun entschieden, dass alle Kinder ab dem ersten Schuljahr Englisch als Fremdsprache lernen sollen. Das finden die Strolche ganz toll, da die Englischstunden oft so aussehen, dass ein paar Spielchen gemacht werden, sie ein paar Bilder malen und anschließend Bugs Bunny-Videos gucken. Eine feine Sache also, der Englischunterricht. Ein paar englische Wörter bleiben allerdings trotzdem hängen:
Der kleine Strolch ganz stolz: « Je sais pourquoi la Caramilk s’appelle Caramilk ! »
Ich: « Ja, warum heißt die denn so? »
Der kleine Strolch: « ‘Cara’ pour caramel et ‘milk’ pour ‘milk’.
Ich: « Und was heißt ‘milk’? »
Der kleine Strolch: „Lait.“
Ich: „Ja, das englische Wort ‚milk’ klingt fast gleich wie das deutsche ‚Milch’.“
Der kleine Strolch triumphierend: „C’est ça que j’ai dit!“ (Hab ich doch gesagt!)
Jetzt sind wir also dreisprachig, und ich wundere mich nur, dass wir uns trotz all der Sprachkenntnisse so gut verstehen, die Strolche und ich…
Lilli legt los - 24. Jun, 11:43
sagt Lillis Schwester, die Lehrerin, immer. Heute morgen jedenfalls kam Lilli beim Nachdenken über das Schuljahr, das heute zu Ende geht, so in Rage, dass sie auf ihrer neuen (verlängerten!) Strecke direkt einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt hat:
Die Lehrerin der Parallelklasse des großen Strolchs ist ein rechtes Biest, deren Spezialität darin besteht, die Schüler mit herzlosen Kommentaren in einer Weise abzukanzeln, die die Eltern grün anlaufen lässt. Auch unter die Arbeiten schreibt sie gerne Sachen wie „schon wieder nur C“ oder „kein Wunder bei so einem unaufmerksamen Schüler“, und neulich stand unter einer besser ausgefallenen Arbeit „na endlich“. Nicht gerade erbaulich für 9-jährige, die noch nicht unbedingt einsehen, dass sie für sich selbst lernen und nicht für die Lehrerin… Da kann ich ja nur froh sein, dass der Strolch in die andere Klasse kam, die eigentlich zu Beginn des Jahres als „problematisch“ eingestuft wurde, da sie nur zur Hälfte aus Drittklässlern besteht, zur anderen Hälfte aber aus Viertklässlern. Die Lehrerin musste sich also das ganze Jahr über zwischen beiden Jahrgängen zweiteilen, um beiden halben Klassen den jeweiligen Lehrstoff zu vermitteln. Trotz dieser Schwierigkeit lief das Schuljahr eigentlich ganz glatt, wenn man mal von dem einen Mädchen absieht, das immer wieder Rabatz schlug, Schreikrämpfe bekam, mit Sachen um sich warf und im Mai dreimal die Woche von den Eltern aus der Klasse geholt werden musste, da sie bis in den Flur hinaus zu hören war. Eine von 24, das ist heutzutage ja gar nichts.
Meine Güte, was waren meine Grundschuljahre damals ereignislos.
Lilli legt los - 23. Jun, 09:20
Seit den ersten Anzeichen des Sommers werden die kanadischen Konsumenten mit Werbung für Balkon- und Gartenmöbel bombardiert – klar, die Saison ist so kurz, dass man die Trommel schon kräftig rühren muss, sonst färben sich wieder die Bäume rot und alle denken nur noch an den Kauf von Schneepflügen.
Die Broschüren und Anzeigen sind natürlich sehr schön, die Gärten darin mit bunten Blumen bestückt, und die Neuheit dieses Sommers besteht in einer kreisrunden Liege, die ihre Verwandtschaft mit dem Bett eines Bumsmotels nicht leugnen kann und zum zwanglosen Miteinander-Kuscheln im Grünen einladen soll. Darüber hinaus aber fällt hauptsächlich eines auf: die Möbelhersteller werben eigentlich nicht für ihre Möbel, sondern für die schönen Stunden, die man in bester Gesellschaft auf ebendiesen zubringt. So nach dem Motto: Wer unsere Möbel hat, dem fliegen die Freunde und das harmonische Familienleben nur so zu! Wer bei uns kauft, der verbringt den Sommer damit, bunte Cocktails zu trinken, sich angeregt mit mindestens drei gutaussehenden Erwachsenen zu unterhalten und den Kindern (immer ist ein schwarzes oder asiatisches Exemplar dabei) beim In-den-Pool-Springen zuzusehen. Selbst die winzigsten Balkonmöbel, die aus einem an der Brüstung befestigten Tisch und zwei Klappstühlchen bestehen, sind für ein romantisches Frühstück für zwei gedeckt, und man kann sich so richtig vorstellen, wie man da sitzt, sich zuprostet, vorzüglich speist und anschließend wieder gemeinsam unter die Decke kriecht… Wahrhaftig, Gartenmöbelprospekte sind nichts für Leute, die gerade allein sind und darunter leiden. Dann reißt sich mein Auge von der Broschüre los und schweift über die Terrasse, die ich mein eigen nennen darf. Ich stelle kleinmütig fest, dass sie seit der Anschaffung eines Basketballkorbes viel zu klein geworden ist, dass der Tisch mit zwei verschiedenen Stuhlsorten bestückt ist und etwas weiter weg noch eine verschnörkelte Gartenbank steht, die weder zu der einen noch der anderen Stuhlsorte passt. Ein paar Balkonkästen sind blau angestrichen worden, drei Zinkkübel von IKEA bemühen sich, dem Ganzen einen modernen Touch zu geben, und an einem Wäscheständer flattern Unterhosen und Fußballtrikots um die Wette. Hier sieht es anders aus als auf den Photos in der Werbung, und doch habe ich genau das, was die Werbung mir durch den Kauf der teuren Stücke verspricht: hier findet mein Familienleben statt, mit angeregten Diskussionen, Besuchen von gutaussehenden Nachbarn, Eisschlecken, Kuscheln und Basketballspielen, hier lesen der kleine Strolch und ich Bücher über die griechische Mythologie, dort übt der große Strolch den Handstand. Ich frage mich: Wenn ich all das schon habe, wozu brauche ich dann noch die neuen Möbel? Und wenn Sie mal vorbeikommen sollten, werden wir uns freuen, bunte Cocktails mixen und noch ein paar alte Stühle mehr aus dem Schuppen holen. Die dann wieder nicht zu all dem anderen passen, das dort zusammengewürfelt steht… Es wird Sie schon nicht stören, oder?
Lilli legt los - 19. Jun, 15:20
Einen Gehweg absenken zu lassen, weil die Garageneinfahrt verbreitert wurde und nun der alte Gehweg zu hoch ist, kostet 450 $ PRO METER. Wir brauchen dreieinhalb neue Meter und dürfen diese im Voraus bezahlen, ohne von der Stadtverwaltung im Gegenzug bestätigt zu bekommen, wann denn die Arbeiten ausgeführt werden. Ich frage mich nur, ob im Preis ein Gedenktäfelchen inbegriffen ist, das wie bei den Sponsoren von Parkbänken bescheinigt, wem die Fußgänger diese paar neuen Meter Gehweg zu verdanken haben, so nach dem Motto: „Dieser Gehweg wurde von Lilli und ihrer Familie gestiftet, die deshalb im Sommer 2008 kein Geld mehr übrig hatten, um auch nur die kleinste Kugel Eis zu kaufen.“
Lilli legt los - 18. Jun, 10:05
Der große Strolch steht, obwohl er jetzt bald die dritte Klasse mit Erfolg hinter sich gebracht hat, der schriftlichen Produktion eigener vollständiger Sätze skeptisch gegenüber. Das hängt damit zusammen, dass das hiesige Schulsystem zwar viel Wert auf „transversale Kompetenzen“ legt, dabei aber so simple Dinge wie Erlebnisaufsätze oder gar das schriftliche Formulieren der eigenen Meinung vernachlässigt. Zudem will der große Strolch keine Fehler machen und zögert deshalb lange, bevor er sich festlegt, wie man nun dieses oder jenes Wort schreibt. Nun darf man als Eltern natürlich nicht alles der Schule überlassen, und schon gar nicht die Schulbildung der eigenen Kinder. Deshalb hat der große Strolch von seinen Eltern ein schönes Tagebuch geschenkt bekommen, in das er wenigstens ab und zu etwas reinschreiben soll, um den schriftlichen Ausdruck - vollständige, flüssige Sätze, die sich angenehm und sprachlich interessant aneinanderfügen und dabei über die banale Schilderung der Dinge hinausgehen - zu üben. Der kleine Strolch, nicht ganz so erfolgreicher Erstklässler, sieht das Ganze unbefangener und hat ebenfalls angefangen, seine Erlebnisse zu notieren. Er verwendet dafür eine Art Lautschrift, die uns zwar die Haare zu Berge stehen lässt, aber zumindest soweit funktioniert, dass man mit etwas Übung den Sinn entziffern kann. Über den missglückten Waldspaziergang am Sonntag kann man denn beim großen Strolch in etwa nachlesen: „Heute Nachmittag waren wir im Wald spazieren, was sehr mühsam war, da die Wege voller Schlamm waren und es viele Schnaken gab.“ Der kleine Strolch dagegen schrieb: „Wir sind in den Wald gegangen und die Wege waren voller Kacke. Wir steckten alle in der gleichen Kacke.“ Das, liebe Leser, nenne ich schreiben mit Stil.
Lilli legt los - 17. Jun, 11:19
Um die ganze traurige Geschichte kurz zu fassen: am gestrigen kanadischen Vatertag musste Monsieur arbeiten, wie auch schon an Weihnachten, den darauffolgenden drei Tagen Skiurlaub und fast jedem Wochenende seither. Lilli beschloss daraufhin, den Strolchen ein guter Vater zu sein, und ging mit ihnen Baseballspielen:
Baseball ist, milde ausgedrückt, nicht mein Lieblingssport, denn Baseball mit den Strolchen sieht so aus, dass man lange, lange mit dem Handschuh in der Hand rumsteht, während einer der Strolche versucht, den Ball mit dem Louisville-Slugger zu treffen. Trifft er ihn dann endlich, steigt er so hoch und weit, dass keiner der Lange-Rumstehenden ihn fangen kann. Man rennt also dem Ball hinterher, wirft ihn einem der beiden Strolche zu, und nach kurzen Diskussionen, wer denn nun dran sei mit Schlagen, geht das Ganze von vorne los. Die Strolche aber hatten ihren Spaß daran, und nachdem genug geschlagen und gerannt worden war, schlug ich vor, noch eine Weile im Wald spazieren zu gehen. Das wiederum fanden die Strolche nicht so erbaulich, aber irgendwie hatten sie wohl verstanden, dass hier eine Hand die andere wäscht, und gingen mit. Natürlich ist nun so ein kanadischer Wald nicht mit dem baden-württembergischen gepflegten Mischwald meiner Jugend zu vergleichen: erstens verfügt er, wenn überhaupt, nur über dürftig ausgeschilderte, eher durch Zufall entstandene Wege, zweitens sind diese keinesfalls gewartet oder auch nur intelligent angelegt und deshalb meistens völlig vermatscht und mit Wolken von hungrigen Schnaken ausgestattet. Natürlich weiß ich das eigentlich, und trotzdem falle ich immer wieder auf die Verlockung rein, im kühlen Grün lustwandeln zu wollen. Und natürlich führte der von uns gewählte Pfad nur allzu bald in ein Schlammloch, aus dem wir nur seelisch angeschlagen und mit insgesamt 35 Schnakenstichen wieder an die Erdoberfläche zurückkamen. Was aber lag direkt vor uns, als wir endlich aus dem Wald auf die grüne Wiese taumelten? Ein kleiner See, an dem Dutzende von Vätern mit ihren Kindern saßen und angelten.
Also die Vatertagsidylle schlechthin, und die gab mir dann den letzten Stich, der auch heute noch am meisten kratzt und juckt und beißt.
Lilli legt los - 16. Jun, 12:57
Am Sonntag ist hier in Kanada Vatertag, und wenn er in Europa auch schon vorbei ist, serviert Lilli trotzdem ihren Kommentar dazu:
Liebe Männer, Ihr wisst gar nicht, wie viril Ihr seid, wenn Ihr im Anzug oder im blauen Anton mit hochgekrempelten Hosenbeinen in einem Sandkasten sitzt und Kuchen backt, auf aufgeschrammte Ellenbogen pustet und laufende Nasen abwischt. Ihr wisst gar nicht, wie anziehend es sein kann, wenn ein Papa dem Prinzessinengeschwafel seiner Tochter aufmerksam zuhört, oder dass es nichts Männlicheres gibt als diese schaufelnde Bewegung, mit der Ihr ein Kleinkind auf den Arm nehmen könnt, indem Ihr einfach leicht in die Knie geht, dem Kind unter den Hintern fasst und es hochebt, als wöge es nicht mehr als ein Ananastörtchen. Ihr denkt vielleicht, dass Mann und Papa Gegensätze sind, die einander ausschließen, und merkt gar nicht, dass Euch genau diese Kombination attraktiv macht. So attraktiv, dass Frauenherzen dahinschmelzen, bis sie nur noch ein Pfützchen in der Sonne sind, das darauf wartet, mit dem Strohhalm aufgesogen zu werden.
Lilli legt los - 13. Jun, 11:45
Eine Reihe kleiner schwarzer Fußabdrücke ziert seit vier Tagen die Holztreppe, die vom Erdgeschoß hinauf in die Kinderzimmer führt. Schuhgröße 34, würde ich mal sagen. Solche Abdrücke entstehen, wenn ein Strolch draußen barfuß läuft, sich dann unten im Bad die Hände wäscht, dabei fürchterlich auf den Fußboden tropft, durch diese Tropfen durchläuft und mit den nassen Füßen die Treppe hochstapft. Hat man solche Abdrücke im Haus, kann man zweierlei daraus folgern:
1. In Montréal ist es Sommer geworden.
2. Hier müsste endlich mal wieder jemand putzen.
Freiwillige, irgendwo?
Lilli legt los - 13. Jun, 11:03
Heute war Lilli zwar Laufen, kam dabei aber nicht zum Denken, denn eine bevorstehende Kundenbesprechung hielt sie davon ab, auch nur einen einzigen Gedanken zu fassen:
Kunden sind für den Freelancer mehr als ein notwendiges Übel – sie ernähren ihn, kleiden ihn ein, heizen seine Wohnung. Wenn ein Freelancer keine Kunden hat, ist er kein Freelancer. Und will er keine treffen, wird er sich nicht lange so nennen können. Sie aufsuchen zu müssen, ist trotzdem… übel eben. Zumindest für die Leute, das das selbständige Arbeiten deshalb gewählt haben, weil sie besonders gut alleine arbeiten können, im eigenen Rhythmus, mit den eigenen Methoden, in den eigenen vier Wänden – und zur eigenen Zeit, sei es mitten in der Nacht oder abends, wenn die Strolche im Bett sind. Oder für Leute, die auf Smalltalk mit und über Kollegen verzichten können, sich nicht dafür begeistern, jeden Tag schicke Klamotten zu tragen und das Rumsitzen in Autos oder öffentlichen Verkehrsmitteln als Verschwendung kostbarer Zeit ansehen, die man doch viel besser nutzen könnte, um ins Schwimmbad zu gehen oder Erdbeermarmelade zu kochen.
Deshalb gab es also heute ein völlig unproduktives Laufen – ein Laufen, bei dem außer Laufen nichts herauskam, wenn man mal von diesem Blogeintrag absieht.
Lilli legt los - 12. Jun, 09:25