Montag, 26. Oktober 2009

Lilli ist geschockt

Die Frau, die seit letztem Weihnachten in der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses interniert ist und dort erfolglos gegen Schizophrenie behandelt wird, soll nun Elektroschocks bekommen. Dass es das noch gibt! Oh, keine Panik, beruhigen die Ärzte, denn heutzutage wird das unter Vollnarkose gemacht und hat viel weniger Nebenwirkungen als damals, höchstens ein wenig Kopf- und Zahnschmerzen (klar, weil die Zähne auch unter Vollnarkose aufeinanderschlagen), und die Ergebnisse sind wirklich erstaunlich… Ach ja, auch Gedächtnisverlust kann auftreten, aber darunter leidet die Patientin ohnehin schon, das kann dann schwerlich auf die Elektroschocks zurückgeführt werden, nicht wahr? Nun haben Elektroschocks nach Lillis laienhafter Ansicht genauso positive Auswirkungen auf das menschliche Gehirn wie unter Zwang verabreichte eiskalte Bäder oder, sagen wir mal, eine öffentliche Auspeitschung. Deshalb ist Lilli froh, dass sie nicht zu den Personen gehört, die dieser neuen Therapie zustimmen müssen. Das muss die Patientin selbst übrigens auch nicht, das Recht hat sie schon lange nicht mehr…

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Lilli und die Eleganz des Igels

Die Tatsache, dass die Autorin genauso alt ist wie Lilli, hat Lilli leicht erschüttert. Denn dieser Roman ist nicht nur klug und feinfühlig, er ist auch noch elegant zu Papier gebracht und trotz einiger eher komplizierter philosophischer Passagen vergnüglich zu lesen. Was aber Lilli zutiefst befriedigt und noch Tage nach Beenden der letzten Seite mit einem wohligen Gefühl des Einklangs ausfüllt, ist sein Ende, das GENAU SO UND NICHT ANDERS sein musste. An manchen Tagen, an denen die ambiante Banalität des eigenen Lebens krass auf den regenbespritzten Fensterscheiben geschrieben steht, ist es ein Balsam für die Seele, dass es Literatur gibt, die sich schön geschliffen wie ein Edelstein präsentiert und den Leser entführt in eine schönere Welt. Wenigstens für einen Moment.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Lilli und die Kuh

Lilli hat ein Regenschirm-Handicap: sie verliert sie ständig, und diejenigen, die sie nicht verliert, werden von den Strolchen zum Hockeyspielen missbraucht und enden mit vielfachen Knochenbrüchen im Müll. Ihr Haushalt verfügt deshalb im Moment nur noch über einen Riesenschirm, der gut für eine Kleinfamilie mit Bollerwagen ausreicht, und ein Kinderschirmchen in Form einer Kuh. Am ersten Regentag dieses Herbstes zog Lilli mit dem Riesenschirm los und konnte froh sein, niemandem am Bahnsteig damit ein Auge ausgestochen zu haben. Noch dazu war das Ding schwer und zusätzlich zur Hand- und Umhängetasche extrem lästig. Am zweiten Regentag beschloss Lilli deshalb, ihr Glück mit der Kuh zu probieren. Und während sie so inmitten der Montrealer City spazierte, ein weißes Schirmchen mit aufgedrucktem Kuhmaul und Kuhaugen sowie obendrauf abstehenden Hörnern und Ohren über sich haltend, fiel ihr etwas Erstaunliches auf: sie fiel überhaupt nicht auf damit. Sie erntete kein Lächeln, keinen belustigten Blick, kein Hohnlachen – einfach gar nichts. Auch das ist Montreal: man kann mit blauen Haaren, Totenköpfen auf dem T-Shirt oder aber Wiederkäuern über dem Kopf durch die Menge gleiten, ohne jemanden damit vor den Kopf zu stoßen. Die Leute sind Sachen gewöhnt und lassen durchgehen, was sie selbst in ihrer Privatsphäre nicht beeinträchtigt. Und ihnen kein Auge aussticht...

Montag, 19. Oktober 2009

Wo die wilden Monster sind

So heißt das Buch bestimmt nicht auf Deutsch, aber so hat Lilli es früher immer den Strolchen übersetzt, das Monsterbuch von Maurice Sendak. Und zwar so oft, dass der Einband zerriss und mehrere mit gestrichelten Zeichnungen gefüllte Seiten herausfielen. Das Buch ging den Gang in die Recyclingtonne, aber die wilden Monster haben ihren Platz im Herzen der Strolche (oder zumindest in ihrem Gedächtnis) behalten. Umso größer war die Freude des kleinen Strolches, als er am Sonntag im Rahmen eines Kindergeburtstages ins Kino durfte, um den niegelnagelneuen Film zum Buch zu sehen. Noch dazu mit dem Sohn der Nachbarin, die Lilli nicht leiden kann. Nun hat ja Lilli nichts gegen Kindergeburtstage bei Nachbarinnen, die sie nicht leiden kann, schließlich ist es ja nicht sie, die hingehen muss, sondern der Strolch. Sie findet aber Kinobesuche mit einer Gruppe Achtjähriger extrem seltsam und würde selbst nie auf die Idee kommen, sich so etwas anzutun. Das Seltsamste aber war der Bericht, den der Strolch vom Drum und Dran des Kinobesuchs erstattete:

Lilli: Und, habt Ihr auch was Süßes bekommen? (Für Lilli ist Kinobesuch ein Synonym für süße Kalorienaufnahme, vorzugsweise in Form von Gummibären)
Strolch: Nein, nur ein Zitronenslush. Das hab ich mir aber selbst gekauft. (Er hatte von Lilli vorsichtshalber 5 Dollar Taschengeld mitbekommen)
Lilli: Und, wie war das?
Strolch: Teuer! Es hat 3 Dollar gekostet.
Lilli: Ja, hat Simons Mutter Euch denn nichts gekauft?
Strolch: Doch, eine große Portion Popcorn für uns alle (Grippe, irgendwer?). Sie hatte aber nicht genügend Geld dabei, da hab ich Ihr meine restlichen 2 Dollar gegeben.

So kann man also auch Kindergeburtstag feiern. Man karrt die Kinder ins Kino, damit das Haus nicht auf den Kopf gestellt wird, und sammelt dann noch Geld ein, um sie zu bewirten. Komischerweise ist Lilli nicht erstaunt.

Freitag, 16. Oktober 2009

Echt Montréal

Die Bahnhofsuhr zeigt 8 Uhr 35, der Zug fährt ein, die Türen gehen zischend auf. Ein Kontrolleur hievt seinen massigen Bauch die Treppen hinunter bis auf den Bahnsteig, auf dem ausser Lilli noch dreissig andere in dunkles Tuch gehüllte Leute darauf warten, einsteigen zu können. "Guten Morgen allerseits", wirft der korpulente Kontrolleur gut gelaunt in die Runde, während sich die Leute an ihm vorbei in den Wagen schieben. "Es ist Freitag morgen, das Wochenende steht vor der Tür, der Schnee auch, aber leider haben unsere Glorreichen gestern abend gegen Colorado ganz miserabel verloren!" Wer das hört, braucht nicht erst auf das Bahnhofsschild zu sehen, um zu wissen, dass er sich in Montréal befindet...

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Voll cool, der Job

Morgen muss Lilli wieder arbeiten, aber inzwischen verursacht ihr diese Feststellung nur noch eine leichte Gänsehaut - die Zeit der Magenkrämpfe und Schweissausbrüche scheint erst einmal vorbei zu sein. Morgen also muss Lilli ins Büro, sie muss Texte schreiben, Fotos suchen, einen Plan aufstellen, ein paar Sachen ausrechnen... und für 1000 Dollar Schokolade kaufen. Vor allem Letzteres beeindruckt die Strolche unheimlich.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Echt schade

Heute morgen wollte Lilli aber wirklich mal bügeln. Seit zwei Wochen schon liegt die Bettwäsche im Korb, darüber stapeln sich Hemden und unzählige bunte T-Shirts, die morgens von den Strolchen durchwühlt (und dadurch noch zerknitterter) werden, weil ihre Schubladen inzwischen leer sind. Also das Bügelbrett aufstellen, Bügeleisen mit Wasser füllen und einstecken, ein morgendliches Bügelfernsehprogramm einschalten – und nichts. Das Bügeleisen will nicht heiß werden, keinen Dampf spucken, nicht geräuschvoll Wassertröpfchen und Kalk rotzen, wie es das sonst so verlässlich tut. Es hat irgendwann zwischen Nacht und Morgen den Geist aufgegeben und vereitelt nun Lillis hausfrauliche Ambitionen. Dabei war sie wirklich fest entschlossen, das Unmenschliche nun endlich anzugehen. Und muss jetzt sehen, wie sie den Tag stattdessen rumbringt…

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Karotte statt Peitsche

Lilli ist eine Frau mit Prinzipien: das erste Gehalt muss - zumindest teilweise - auf den Kopf gehauen werden. So ist Lilli jetzt stolze Besitzerin hoher enger Stiefel, deren hellgraues italienisches Leder weicher ist als ein Babypopo. Ähem, und der passenden Handtasche. Aber nur, weil die dann im Prinzip ein Schnäppchen war. Damit ist der Gang zum Bahnhof jetzt schon ein kleines bisschen weniger schlimm...

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 6320 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

Credits

Web Counter-Modul


Laufen
Lillis Positiv-Pakt
Mitmenschen
Reise in den Abgrund
Selbständig arbeiten
Strolche
Zeitmanagement
Zonstiges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
Blog Top Liste - by TopBlogs.de Blog Verzeichnis Bloggeramt.de