Freitag, 7. September 2012

Läufer unter sich

Das Schönste am Urlaub in Florida war, jeden Morgen um 7 an den Strand gehen zu können, um dort in Gesellschaft zahlloser anderer Läufer zu laufen. "Das Meer ist nie das gleiche", erklärte Lilli denjenigen, die der Meinung waren, dass ihr dieses Ziel doch irgendwann einmal langweilig werden müsste. Aber Strand kann man nicht erklären. Die, die morgens dort entlanglaufen, nicken sich verschwörerisch zu wie Mitglieder einer Sekte. Es gibt die Barfussläufer und die mit Turnschuhen, die Jogger und die Schlenderer, die Im-Wasser-Läufer und die, die lieber trockene Füsse behalten wollen, aber alle kommen sie, um ihre tägliche Dosis Meer abzuholen mit allen Sinnen.

Ach ja. In Montreal gibt es kein Meer und auch der Zugang zum Sankt-Lorenz-Strom ist eher schwierig. Aber Möwen gibt es. Statt nach kleinen Fischen zu tauchen, stehlen sie Pommes aus der Mülltonne bei McDonald's.

Samstag, 1. September 2012

Olympische Strolche

Seit Olympia im Fernsehen kam und ausgiebig von den Männern des Hauses begutachtet und kommentiert wurde, schwimmt der grosse Strolch im Freibad Bahnen. Der kleine Strolch schwimmt rückwärts vor ihm her und hält dabei eine gelbe Poolnudel waagerecht in beiden Händen auf der Wasseroberfläche. "Was machst Du?", fragt Lilli ihn stirnrunzelnd. "Ich mache den Weltrekord", erklärt der kleine Strolch und strampelt schnell mit den Beinen, damit der grosse Strolch ihn nicht erwischt.

Freitag, 31. August 2012

Lilli und Mrs. Walker

Vor ein paar Monaten fing es an. Da klingelte Lillis Handy plötzlich ganz anders, als es sonst so klingelt, und schwupps erhielt Lilli ihr erstes Texto - SMS sagt man wohl auf deutsch. Lilli wusste bis dahin gar nicht, wie das geht und dass sie so etwas auch bekommen kann. Der Text allerdings war seltsam: Hello, Mrs. Walker, how are u? Auch die Nummer des Absenders sagte ihr nichts. Sie tat es als Verwechslung ab, bis das nächste Texto eintrudelte: Hello, Mrs. Walker, hope u'll have a fine day. Wäre ja nett, wenn ihr jemand solch guten Wünsche schickte, also wenn das tatsächlich für sie bestimmt wäre... jemand, der sie manchmal Laufen sieht... sich nicht traut, sie anzusprechen... noch nicht mal ihren Namen kennt... Dann, eines Sonntags, sie hatte gerade das grosse Rollo im Wohnzimmer hochgezogen und noch etwas schläfrig die Strasse entlanggeschaut, klingelte das Handy wieder. Hi, Mrs. Walker, up already? Da fühlte sich Lilli plötzlich beobachtet und bekam ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Sie googelte die Nummer - ein Sportgeschäft in Ottawa - und nahm sich vor, beim nächsten Mal dort anzurufen.

Seither ist Funkstille, schon seit mehreren Wochen. Schade eigentlich.

Montag, 20. August 2012

Sie baden gerade Ihre Hände drin

Wer "Wenn Kinder stehlen" googelt, findet bald erschreckende Erlebnisberichte von Eltern, bei denen plötzlich die Polizei oder ein Ladenbesitzer anruft, weil ihr Kind dabei erwischt wurde, eine X-Box oder Parfümflasche gestohlen zu haben. Die Eltern fallen aus allen Wolken, sind enttäuscht, zornig und beunruhigt zugleich, denn wenn Kinder auch nicht strafmündig sind, hat man doch Angst, dass dies den Anfang der schiefen Bahn darstellt, von der sie dann direkt zum Drogenhandel rutschen. Oder dass sie stehlen, weil sie erpresst werden oder ihre Freunde eine derartige Mutprobe von ihnen verlangen - alles sehr erschreckende Szenarien.

Der kleine Strolch hat lediglich zugegeben, in der Schule Bleistiftminen, Aufkleber und Spielgeld gestohlen zu haben. Ach, das leidige Spielgeld - eine schlechte gute Idee, die die Kinder dazu anhalten soll, eifrig zu lernen, denn wer durch richtige Hausaufgaben und eifriges Antworten viel Spielgeld sammelt, kann es einmal im Monat gegen ein Privileg eintauschen. Das kann eine extra Stunde Sport sein, ein hausaufgabenfreier Tag oder ein Mittagessen mit der Lehrerin, jedenfalls ein Ansporn und daher - theoretisch - pädagogisch sehr wertvoll. Nur, dass die Kinder dann so auf das Spielgeld fixiert sind, dass sie Wege finden, dieses auch anders zu ergattern, sei es aus dem Pult eines Mitschülers oder direkt aus der Kasse. Der kleine Strolch hat diese Missetat also nun gestanden und Lilli schimpft ihn aus dafür, denn Stehlen ist Stehlen, ob es sich nun um Spielgeld handelt oder nicht.

Hinterher googelt sie eine Weile, was andere Eltern so zu berichten haben. Dann heult sie ins Spülwasser. In zwei Wochen haben sie einen Termin bei einer Psychologin.

Donnerstag, 16. August 2012

Am Strand in Florida

Es ist immer interessant, auf Reisen auf deutsche Familien zu stossen. Die wähnen sich im Ausland und sprechen deshalb ungehemmt laut, ohne zu ahnen, dass die französischsprechende Lilli neben ihnen jedes Wort versteht. Während Monsieur sich in den winzigen Schatten des Sonnenschirms quetscht, lehnt sich Lilli etwas vor, um dem Monolog des Familienvaters drei Liegestühle weiter folgen zu können. Der Wind weht ihr allerdings nur Fetzen zu:

"...und das hier vor allen Leuten!" Anscheinend ärgert er sich über seinen Sohn, der etwa vierzehnjährig, schlaksig und sehr unlustig vor ihm steht.

"...hier am tollen Meer und der geht nicht mal ins Wasser!" Der Sohn läuft in Richtung Wasser, spaziert dort unschlüssig parallel zum Golf von Mexiko hin und her, setzt sich dann zu seinen kleinen Geschwistern, die brav eine Sandburg bauen.

"Das ist das letzte Mal, das ich mit Euch in Urlaub gefahren bin. Nächstes Jahr könnt ihr hingehn, wo ihr wollt, aber ohne mich." Dies ward allerdings in die Luft gesprochen, nicht direkt zur Gattin, die vorsichtshalber die Nase nicht aus der Zeitschrift nimmt. Antwort bekommt er keine.

Mittwoch, 15. August 2012

Das ist die Frage

Fast ein Monat ist es jetzt her, dass der kleine Strolch sein Schuldbewusstsein entdeckt und darüber so ziemlich jegliches Richtungsgefühl fürs Leben verloren hat. Seit er gebeichtet hat, was so alles schief gelaufen ist im letzten Jahr, meint er, seine Freunde meiden zu müssen, diejenigen also, die es so lustig fanden, wenn er gemeine oder vulgäre Sachen sagte, sarkastisch war oder Andere verspottete. Deshalb steht er jetzt etwas allein im Leben und fragt sich, wer er eigentlich ist und was so aus ihm werden soll. Dass Lilli ihm aufzeigt, dass er noch etliche Jahre vor sich hat, bevor er allein durchs Leben zu ziehen und schwerwiegende Entscheidungen zu fällen hat, beruhigt ihn nur zeitweise. Er will, dass man ihm die Richtung weist, und fragt nach, was eigentlich ein Dreijähriger schon wissen müsste, der Sicherheit halber: Ist es schlimm, dass ich zuviel Zahnpasta genommen habe? Ist es schlimm, zu X. gesagt zu haben, dass er mit seinem Skateboard keinen Ollie hinbekommen würde? Ist es schlimm, dass ich im Freibad ins Becken gepinkelt habe? Lilli geht diese Fragerei gegen den Strich, ohne recht erklären zu können, warum. Dann geht ihr ein Licht auf. "Frag lieber: ist es gut?", schlägt sie vor. Denn daraus sollte doch das Leben bestehen, aus der Suche nach dem Guten, nicht aus dem Vermeiden des Schlimmen.

Ist es gut? Ja, das ist eine gute, nützliche Frage. Daran werden wir uns eine Weile festhalten können.

Dienstag, 17. Juli 2012

Die Pubertät - hoffentlich

Hoffentlich hat der kleine Strolch im Moment nur Pubertät. Vor zwei Wochen hat es langsam angefangen, das Beichtenmüssen von kleineren und grösseren Ungehorsamkeiten. Telefonanrufe bei Fremden, vulgäre Ausdrücke, heimliches Fernsehen und viel verbotenes Spielen von gewalttätigen Computerspielen bei Freunden. Bis er sich raufgeschaukelt hatte zu zwanghaftem Widerkauen von Selbstanschuldigungen, Weinanfällen und Angstzuständen vor Depression und Selbstmord. Wenn Ihr Elfjähriger plötzlich von Selbstmord redet, denken Sie erst mal, Sie haben grad den irrsinnigsten Albtraum und möchten nur ganz schnell aufwachen.

Nun, aufwachen ist nicht. Dem kleinen Strolch geht es nicht gut und Lilli, die gerade eigentlich Urlaub hat, bringt die Tage mit Zuhören, Trösten und Auf-andere-Gedanken-Bringen rum, so gut sie kann. Dem kleinen Strolch hilft es ein bisschen, wenn Lilli ihm sagt, dass das alles wieder vorbeigehen wird. Wenn nur jemand Lilli das Gleiche versprechen würde...

Mittwoch, 4. Juli 2012

Geschenkt

Zum Geburtstag bekommt Lilli von ihrer grossen Schwester, der Lehrerin, ein Unterkleid geschickt. Sie bedankt sich per Mail dafür mit der Anmerkung, dass sie es gerne ausprobieren wird, wenn sie sich mal ein Kleid kauft, bei dem man so was braucht. Postwendend bekommt Lilli den Vorschlag zurück, es doch mal unter dem blauen Kleid zu tragen, das sie anhatte, als sie sich zum letzten Mal gesehen haben.

Pif, paf. Jetzt fühlt sich Lilli um einiges mieser, als wenn sie gar nichts geschenkt bekommen hätte.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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