Mittwoch, 16. Oktober 2013

Machen Sie sich bitte keine Mühe

Lilli hat so sehr gemischte Gefühle, wenn sie an den bevorstehenden Deutschlandbesuch an Weihnachten denkt, dass es direkt eine Gefühlscremesuppe zu werden droht. Fast wäre es ihr lieber, wie das letzte Mal schon allein zu fliegen. Kein Übersetzen-Müssen für die Strolche und Monsieur, kein Erklären-Müssen von Insidejokes oder sonstigen Sachen, die es so in Deutschland oder Kanada nicht gibt. Wie könnte Lilli auch erklären, warum es wichtig ist, am 1. Januar das Wiener Neujahrskonzert im Fernsehen zu sehen? Oder wie ein Baseballmatch funktioniert? Ausserdem befürchtet sie, sich für die Tischmanieren ihrer Lieben, ihre Fernsehabhängigkeit und ihr mangelndes Interesse an Spaziergängen schämen zu müssen in einer Familie, die gerne viermal am Tag zum Essen zusammensitzt, abends gerne redet und spazierengehen als quasi-religiöses Ritual zur Reinigung von Körper und Seele ansieht. Bref, Lilli befürchtet, an Weihnachten zwischen allen Stühlen zu sitzen und es keinem, weder ihren Eltern noch ihren Kindern noch sich selbst, recht zu machen.

Um wenigstens das Sprachproblem zu lindern, schlägt sie vor, mit den Strolchen deutsch zu üben. Schliesslich hat sie mit ihnen ausschliesslich in der Sprache der Dichter und Denker konversiert, bis sie eingeschult wurden. Bis dahin haben die Strolche auch auf deutsch geantwortet, danach allerdings auf französisch umgestellt. Aber nein, die Strolche wollen nicht mit Lilli deutsch sprechen, das ist ihnen zu peinlich. "Dann einen Sprachkurs an der deutschen Schule, da trefft ihr andere Kinder in eurem Alter", schlägt Lilli weiter vor. "Neiiiin, keine anderen Kinder", sagen die Strolche. Einen Privatkurs? "Neiiiin, keinen Privatlehrer, da müssen wir ja richtig mitarbeiten." Im Prinzip möchten sie lernen, ohne sich anstrengen zu müssen. Die Augen des kleinen Strolches fangen an zu leuchten: "Ja, eine Maschine, die an unser Gehirn gekoppelt wird und uns alles im Schlaf eintrichtert, das wär schön", meint er. Aber Lilli lässt sich nicht unterkriegen. In den Kleinanzeigen findet sie gleich zwei Privatlehrer, die Stunden für alle Altersstufen anbieten. Jetzt muss nur noch ein Termin gefunden werden, an dem weder Eishockey noch Football noch Basketball noch Gitarre stattfindet - wahrscheinlich so sonntags zwischen zwölf und eins. Am besten setzt sich Monsieur auch gleich dazu, dann ist Lilli an Weihnachten fein raus.

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Spaghettikochen ist langweilig

Gestern musste Lilli lange arbeiten, Monsieur war ausser Haus und die Zeit bis zum Eishockeytraining des grossen Strolches war knapp bemessen. Von der Bushaltestelle aus ruft Lilli zuhause an und bittet den kleinen Strolch, schon mal Nudeln zu kochen und die Spaghettisosse zu wärmen, damit sie zusammen essen können, sobald sie zur Tür reinkommt. Antwort des kleinen Strolches: "Ah, dazu hab ich keine Lust." "Keine Lust, Spaghetti zu essen?", fragt Lilli. "Nein, keine Lust zum Nudeln kochen." Lilli besteht darauf und nährt ihren Ärger über das faule Kind während der Busfahrt, bis der so richtig schön zum Explodieren ist. Als sie eine Viertelstunde später zuhause ankommt, stehen Wörter wie Teamarbeit, alle müssen mithelfen, wozu ist man eine Familie verdammt noch mal, ich in deinem Alter usw. schon Schlange auf ihrer Zunge. Der grosse Strolch macht Hausaufgaben, der kleine Strolch werkelt in der Küche. Er hat einen mittelgrossen Topf mit Wasser gefüllt und auf die kleine Herdplatte gestellt, die das Wasser in der Zwischenzeit gerade mal auf lauwarm erhitzen konnte. Warum? "Die grossen Töpfe waren alle schmutzig." Immer noch sauer spült Lilli einen grossen Topf, knallt ihn auf den Herd, leert das lauwarme Wasser um. Auf dem Tisch steht noch das Frühstücksgeschirr, die Spülmaschine ist nicht ausgeräumt. "Hey, ich geh vor Euch aus dem Haus und komm als Letzte wieder, ist es da zu viel verlangt, dass ihr wenigstens den Tisch abräumt!", schimpft Lilli. Während sie die sauberen Teller von der Spülmaschine in den Schrank räumt, sieht sie aus den Augenwinkeln, womit der kleine Strolch beschäftigt war, bevor sie in die Küche stürmte: er rührt einen Keksteig, macht sein geliebtes Erdnussbutter-Keksrezept. Ganz so faul ist er also nicht! Lilli atmet tief durch, will ihren Ärger nicht gleich so gehen lassen, will noch eine Weile sauer sein.

Als der kleine Strolch die Kekse aus dem Backofen holt, den er zu niedrig eingestellt hatte, sind sie so weich, dass er sie fast nicht aufs Gitter bringt. Sie müssen mit dem Löffel gegessen werden und schmecken himmlisch. "Du machst gute Kekse", sagt Lilli und lächelt den kleinen Strolch an. Ein kleines Lächeln zwar, aber ein Lächeln immerhin.

Montag, 7. Oktober 2013

Dilemma

Was ist besser weniger schlimm: einen 14jährigen Jungen zum Urologen begleiten und sich anhören müssen (bzw. ihn vor der Mutter erzählen lassen müssen), wie und unter welchen Umständen genau (die anscheinend nachts oder unter der Dusche auftreten) da was wehtut? Oder den wildfremden Urologen allein mit dem grossen Strolch lassen und nicht einschreiten können, falls der die Grenzen der normalen Untersuchung überschreitet? Und kommen Sie mir nicht mit dem Vorschlag, der Vater solle den Jungen begleiten. Das ist heute nachmittag leider unmöglich.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Zu dumm

Morgen hat Lilli einen anstrengenden Tag. Dass sie zudem erst mit Verspätung im Büro sein wird, stresst sie obendrein - Lilli hasst es, unpünktlich zu sein. "Ich komm dann morgen so gegen 11", sagt sie ihrer Kollegin zum Abschied. Die lächelt wie ein Panther und springt sofort vom Baum. "Ach, machst Du Dir einen schönen Vormittag?", fragt sie, die Krallen genüsslich ausfahrend. Lilli reagiert sofort wie gewünscht: "Um 7 muss der kleine Strolch beim Basketball sein, um 8 bin ich mit dem grossen Strolch bei der Krankengymnastik, um danach sofort zum Kieferorthopäden zu fahren, wo er eine provisorische Spange kriegt, bevor in zwei Wochen die feste Spange kommt. Danach fahr ich den grossen Strolch in die Schule und komm direkt hierher." Die Kollegin nickt befriedigt, der Pantherschwanz wedelt langsam hin und her.

Lilli geht die Stufen in den Fahrradkeller hinunter und möchte sich ohrfeigen. Das Motto der lieben Nessy kommt ihr in den Sinn: Sei nett, bleib neugierig, rechtfertige dich nicht, so hiess es. Lilli wird es nie lernen.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Dann ist ja alles klar

Lilli erzählt, dass der kleine Strolch später mal in Habitat 67 wohnen will, einem futuristischen Komplex aus Betonwürfeln mit Blick auf den Hafen und die Skyline von Montréal. "Meine Mutter wohnt da", sagt Monsieur's Freund, als er ihn zum Curling abholt. "Oh, können wir sie mal besuchen? Zum Besichtigen?", fragt Lilli hoffnungsvoll. "Nein, meine Mutter hasst mich", entgegnet der Freund. Im gleichen Tonfall hätte er auch "Meine Mutter ist gerade in Italien" sagen können.

Le courrier du genou*

Der grosse Strolch hat sich unter "Physiotherapie" was anderes vorgestellt. Vielleicht, dass er nett massiert wird oder dass jemand sein Knie hin- und herdreht und irgendwelche Messungen aufschreibt. Stattdessen muss er Fragen über Fragen beantworten, die alle mit der Intensität von Schmerzen und deren Eigenschaften (stechend? dumpf? ausstrahlend?) zu tun haben und dementsprechend schwer zu beantworten sind. Dann muss er Übungen machen, die richtig anstrengend sind, und bekommt zudem ein Trainingsprogramm mit nach Hause, das täglich absolviert werden soll. Ein klarer Fall von Mogelpackung - hätte das auf französisch wie im Deutschen "Krankengymnastik" geheissen, wäre ihm die Enttäuschung erspart geblieben.

* So - nämlich "Briefe vom Knie" nennt Lillis Lieblingskolumnist der Montrealer Tageszeitung "La Presse" seine Texte, wenn er auf alle möglichen diversen Leserkommentare und -anfragen eingeht, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Ein herrlicher Ausdruck.

Sonntag, 29. September 2013

Hoch-Zeit

Die Braut war umwerfend schön, der Bräutigam trug Schwarz, der Brautvater sah aus wie Kent Nagano, war es aber nicht. Die Unitarierin, die die Trauung vornahm, sprach abwechselnd englisch und französisch, damit alle was mitbekommen, was in Montréal niemanden gross erstaunt. Nach der Trauung gab es Cocktails, Wein und viel zu lauten Jazz, der alle Gäste dazu verdammte, sich Gesprächsfetzen ins Ohr zu brüllen oder verständnislos-entschuldigend zu lächeln. Im Saal, in dem drei lange Tische für gut 200 Leute gedeckt waren, hingen Dutzende von Schwarzweissfotos des Paares an den Wänden, auf denen sich, oh Wunder, so ziemlich alle Anwesenden wiederfanden. Eine tolle Geste, fand Lilli, die auch sehr zu Gesprächen angeregt hätte, wenn es nur nicht so eng gewesen wäre. Während des Essens - libanesisch übrigens und so stark gewürzt, dass das Ins-Ohr-Schreien immer peinlicher wurde - hörte man in regelmässigen Abständen, wie mit Gabeln an Gläser geklopft wurde. Eine Geste, die Europäer gern mit einer Ansprache verbinden, hier aber heisst, dass das Brautpaar sich küssen soll. Reden gab es aber auch: zuerst hiess der Brautvater den Bräutigam in ihrer Familie willkommen, dann war der Vater des Bräutigams an der Reihe, seine neue Tochter verbal in die Arme zu schliessen. Zwei formelle und gleichzeitig tief empfundene Deklarationen, die fast feierlicher waren als all das, was die Unitarierin aufgeboten hatte. Diese zwei Reden von Eltern, die ihren Kindern von Herzen alles Gute wünschen, waren das Schönste an der ganzen Hochzeit. Und das Brautkleid. Und die Teigbällchen mit Spinat.

Samstag, 28. September 2013

September in Montréal

Heute ist ein Wetter zum Heiraten. So schön, warm und trocken, dass alle Nachbarn Rasen mähen müssen. Und natürlich nicht alle gleichzeitig, sondern schön versetzt immer wieder einer. Lilli und der kleine Strolch sitzen auf der Treppe vom Balkon in den Garten und essen Birnen vom Birnbaum, der ihnen genau gegenüber steht. Die Gartenmöbel stehen zwar einladend in der Sonne, sind aber so mit Spinnweben vernetzt, dass ihnen die Holztreppe lieber ist. Nach fünf Minuten Birnenessen fängt wieder ein Rasenmäher an zu brummen. Der kleine Strolch wischt sich die Hände an der Jeans ab und holt sich sein Skateboard, um zu seinem Freund zu fahren. Bald kommt der Winter und all das - Rasen, Sonne, Spinnenfäden, Birnen, Sitzen auf Treppen - wird unwirklich erscheinen, als ob es nie existiert hätte.

Hochzeitsvorbereitungen

Morgen sind Lilli und Monsieur zu einer Hochzeit eingeladen. Nachmittags um vier und ganz ohne Kirche. In einer umgebauten Brauerei wird das Paar heiraten und gleich auch feiern. Lilli hat neue rote, sehr hohe Sandalen, mit denen sie heute im Büro neben ihrer elegantesten Kollegin hin- und hergestakst ist, um von ihr zu lernen, wie man darin geht. Jetzt muss sie sich noch die Zehennägel lila lackieren und ein Tatoo auf den Rücken applizieren. Ihr Kleid hat nämlich einen asymmetrischen Rückenausschnitt, in den unbedingt etwas Verzierung gehört, spasseshalber.

Hochzeiten, genauso wie Käsesahnetorten, sind nicht mehr das, was sie mal waren. Ergreifend wird es trotzdem werden, auf Lillis Tränendrüsen ist Verlass.

Mittwoch, 25. September 2013

Traumhaft

Lilli träumt. Sie ist wieder Studentin, kommt in eine riesige Wohnung, in der sie anscheinend allein wohnt. Im Eingang lehnt kein Skateboard, türmen sich keine Turnschuhe. In der Mitte des grossen Zimmers steht ein Tisch für 10 Personen, auf dem keine benutzte Müslischüssel zu sehen ist, keine gelesene Zeitung und keine Hausaufgaben. Es klingelt und Freunde rollen wie eine Welle in die Wohnung. Darunter ein grosser junger Mann mit dunklen Locken, der sich sofort für Lilli zu interessieren scheint. Er hat lustige Augen, wach und voller Unternehmungsdrang.

Träume sind was Blödes.

Reizende Wörter

Heute hatte Lilli deutlich mehr Spontanbesucher als sonst auf ihrem Blog. Ob das vielleicht am Titel ihres letzten Beitrags liegt? Lilli ist sich sicher: "Küchengeräte", das ist der Bringer.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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