Mittwoch, 22. Oktober 2008

Die Wahrheit über Schulphotos

Die Schule der Strolche lädt jedes Jahr einen Photographen ein, der alle Kinder reihum vor kitschigem Hintergrund ablichtet und die Photos dann – von Poster- bis Geldbeutelformat, auf Schlüsselanhängern, Kaffeetassen und Mousepads – für teures Geld an die Eltern verkauft, die diese dankbar zu Weihnachten an Begeisterung heuchelnde Verwandte weiterverschenken. Lilli hat diese Photos noch nie genommen, da sie stets unnatürlich wirken und mit den Strolchen, wie sie sie kennt, nur wenig gemeinsam haben. Dieses Jahr sind sie besonders befremdend, denn jemand muss dem kleinen Strolch gesagt haben, er solle den Mund zulassen, damit man seine Zahnlücke nicht sieht. Jetzt lachen nur seine Augen, während die Lippen einen dünnen Strich bilden und sein ganzes Gesicht nur danach schreit, endlich mit dieser Tortur aufzuhören. Ein 7-Jähriger ohne Zahnlücke – das ist wie ein Märchen ohne böse Fee, ein Krimi ohne Gangster… ein schwacher Abklatsch nur der wahren Sache, der die Leser kalt lässt.

Dienstag, 21. Oktober 2008

Lilli wird handgreiflich

Ein großes Lob der städtischen Bibliothekarin, die Lillis Bücher („Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente“, „Mit der Depression leben“, „Wege aus der Depression“ und „Depression erkennen und überwinden“) eingescannt hat, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder mitleidig zu lächeln. Hätte sie das gemacht, wäre Lilli gezwungen gewesen, über den Tresen zu langen und sie zu erwürgen. So aber hat Lilli die Bücher in die Tasche gesteckt und getan, als wäre sie eine Studentin, die sich auf ihr nächstes Referat vorbereitet. Komisch, dass ein Makel an dieser Krankheit hängt, als wäre sie etwas Unanständiges, was rechtschaffenen Leuten nicht passiert. Wobei sich die Schwäbin in Lilli nicht ganz sicher ist, ob das nicht doch einfach Faulheit ist, ein Sich-Gehen-Lassen, das behoben werden könnte, indem man sich einfach ein bisschen zusammenreißt… aber weiter kommt sie nicht in ihrer Überlegung, denn sobald sie den Mund aufzumachen versucht, um diesen Standpunkt näher zu erläutern, langt Lilli über ihren inneren Tresen und erwürgt sie.

Montag, 20. Oktober 2008

Lilli und die Graugänse

Vor dem Frühstück ist es zum Laufen zu dunkel, nach dem Frühstück zum Joggen immer noch zu kalt – Lilli hat eingesehen, dass sie es den Graugänsen gleich tun muss, die jedes Jahr zu Winteranfang ins Warme ziehen. Im Fitnessstudio sehen an diesem Montagmorgen alle unheimlich sportlich aus, während Lilli (mit ihren Kämmchen im Haar und der Brille) aussieht wie eine Bibliothekarin im Jogginganzug – was ihr natürlich nur im Fitnessstudio auffällt, denn wo sonst im normalen Leben hängen so viele große Spiegel an der Wand? Aus dem Radio rinnt ein Folk-Country-Gedudel mit Mundharmonikas, die ouahhh ouahhh machen, als würde einer Katze der Hals umgedreht. Ein Besuch im Fitnessstudio ist ja nun mal nicht, wie der Kanadier sagt, ein „piece of cake“: während beim Käsekuchenessen der schönste Moment genau dann eintrifft, wenn man den Käsekuchen im Mund hat, tritt der schönste Moment des Fitnesstrainings erst dann ein, wenn das Training vorüber ist. Also jetzt, während Lilli hier sitzt und bloggt und fühlt, wie jeder Muskel ihres Körpers von Maschinen mit Gewichten strammgezogen wurde. Aber während des Trainings: ouahhh, ouahhh.

Freitag, 17. Oktober 2008

Erstaunlich normal

Wenn einem etwas Außergewöhnliches zustößt – sagen wir mal, der Hund wird von einem Auto überfahren oder der Ehepartner wird plötzlich depressiv – ist man nicht so sehr darüber verwundert, dass dies tatsächlich passiert ist. Schließlich passieren ständig irgendwelche Sachen, darüber liest man in der Zeitung und hört es im Freundeskreis. Dass es nun einmal auch uns trifft, ist statistisch absolut akzeptabel. Nein, man wundert sich, dass um das Meteorloch, das von nun an unser Leben verunziert, also dass um die Katastrophe drumrum alles andere normal weitergeht. Was ist der Alltag doch machtvoll, und wie unerbittlich fordert er Aufmerksamkeit ein! So kommt es, dass Lilli, während sich der depressive Monsieur nach einer schlaflosen Nacht endlich die chemische Keule übergezogen hat und in den frühen Morgenstunden wegdämmert, so wie jeden Tag aufsteht, duscht, die Strolche weckt, Frühstück macht usw. Sie wundert sich, dass diese alltäglichen Gesten einfach so weitergehen; sie muss sich zwar anstrengen, um die Strolche anzulächeln, findet aber gleichzeitig Trost darin, dass dieser Teil ihres Lebens dem Meteor entkommen und (noch) unversehrt ist. Daran kann man sich vielleicht festhalten, wenn man verzweifeln möchte, dass das Paar, das man einmal gewesen ist, auf einmal nicht mehr existiert, weil der Andere eine Reise ins Innere des Abgrunds angetreten hat. Dass ihr Hund tot ist (wie man auf französisch sagt), möchte Lilli trotzdem nicht glauben. Wie sie ihn gesundpflegen kann, muss ihr aber erst mal jemand sagen.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Das Theater mit den Winterklamotten

Eine genervte Mutter erzählte mir gestern auf dem Schulweg, dass sie sooo schöne Skianzüge für ihre Kinder gekauft hätte, in einem dieser exklusiven Sportgeschäfte, mit Mützen und Handschuhen und allem passend, und dass sie leider zu klein seien. Also zurückbringen und weitersuchen, diesmal bei Orage, was ja auch eine gute Marke sei, und in Begleitung der Kinder, die bei diesem Gedanken sofort missmutig die Gesichter verzogen und bettelten, doch lieber zuhause bleiben zu dürfen. Komisch – das Problem haben wir nicht... Die Strolche gehen liebend gerne mit mir Klamotten kaufen. Und zwar in einem Billigladen, der nicht nur Hosen mit verstellbarem Gummiband in der Taille und andere vernünftige Sachen ohne Schnickschnack (und ohne Logo) hat, sondern auch… eine Spielecke mit Fernseher, in der die Strolche solange rumlümmeln können, bis ich sie zur Anprobe in die Kabine schiebe. Hach, wie ist das Leben doch manchmal unkompliziert, wenn man sparen muss!

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Nur ein Wort

Oh, kein schönes Wort, nein, ein hässliches, böses Wort, das vieles umfasst und in den Medien so oft benutzt wurde, dass man nicht mehr genau weiß, was es bedeutet. Am Wochenende ist es endlich gefallen, dieses Wort, das als Begründung dafür herhalten muss, warum Monsieur im Moment so ist, wie er ist: Depression. Zumindest glaubt Monsieur, dass er eine hat oder macht, und Lilli kann gut nachvollziehen, dass er in einer ist, denn er ist eindeutig an einem Ort, zu dem Lilli keinen Zugang findet und der meilenweit von einem trauten Heim und einer harmonischen Familie entfernt liegt. Jetzt gruselt sich Lilli ein wenig vor den kommenden Wochen, und das liegt nicht an Halloween.

Dienstag, 14. Oktober 2008

1x1 für Freelancer - Kleiner Tipp am Rande

Wer den Kaffee mit dem Kugelschreiber umrührt und diesen auch noch ableckt, hat vielleicht zu lange von zu Hause aus gearbeitet. Ein kleiner Abstecher in ein Büro mit richtigen Menschen tut dann Not. Bei dieser Gelegenheit testen Sie bitte gleich, ob Sie noch in der Lage sind, in unter 20 Minuten ein komplettes Outfit zusammenzustellen, das nicht nur an die gerade herrschende Jahreszeit angepasst ist, sondern auch aus dem Jahrzehnt stammt, in dem der Rest der Welt sich gerade befindet…

Freitag, 10. Oktober 2008

Ich kann, weil ich muss

Und doch geht nach der verzweifelten Nacht alles weiter: die Beziehung, das Lachen und Schimpfen mit den Kindern, die belanglosen Gespräche mit den Nachbarn, die man auf der Straße trifft. Die Sonne geht auf und ab, ohne sich um unser kleines Leben zu scheren, die Blätter färben sich und fallen von den Ästen. Das Charakteristische an einer soliden und ehrlichen Beziehung ist, dass man sich zwar in Sekundenschnelle und ohne groß Nachdenken zu müssen sehr präzise Schnittwunden zufügen kann, die genau dort platziert sind, wo es am meisten blutet, dass diese aber auch zuverlässig wieder abheilen. Wodurch?

Dadurch, dass der Alltag Aufmerksamkeit fordert, die Reifen gewechselt und die Jacken in die Reinigung gebracht werden müssen.

Dass man abends wieder im gemeinsamen Bett liegt und die Wärme spürt, während draußen der Wind pfeift.

Dass man über die Kinder spricht.



Dass man dem anderen zuhört, ohne gleich zurückzuballern.

Es verlangt nach viel Großzügigkeit, aber das ist vielleicht ein Synonym für Liebe… eines von vielen, versteht sich.

Außerdem helfen natürlich Schokolade, ein gnädiges Fernsehprogramm und Laufen. Das Leben ist banal, damit muss man sich abfinden.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 6326 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

Credits

Web Counter-Modul


Laufen
Lillis Positiv-Pakt
Mitmenschen
Reise in den Abgrund
Selbständig arbeiten
Strolche
Zeitmanagement
Zonstiges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
Blog Top Liste - by TopBlogs.de Blog Verzeichnis Bloggeramt.de