Mitmenschen

Dienstag, 11. August 2015

Anstrengend

Besuch ist toll, wenn er kommt, aber auch sehr schön, wenn er nach drei Tagen wieder geht.

Mittwoch, 29. Juli 2015

Summer in the City

Gestern war es heiss in Montréal. Die Steinfassaden schleuderten die Hitze zurück in die roten Gesichter der Touristen, die sich jetzt die Altstadt anschauen mussten, weil es so geplant war. Sie gingen langsam durch die Strassen, mal hintereinander auf schmalen Gehwegen, dann wieder in kleinen Grüppchen dort, wo die Strasse versuchte, einer Fussgängerzone zu gleichen. (Fussgängerzone, so ein revolutionär europäischer Gedanke!). Nicht schlendernd, denn Schlendern bedeutet, dass man die Langsamkeit geniesst, man aber auch durchaus schneller gehen könnte, wenn es sein müsste - nein, schleppend, weil die Hitze auf den Kopf drückte und keinen schnelleren Schritt zuliess. Vor Eisdielen bildeten sich Schlangen, auf Terrassen rückten die Leute unter den Sonnenschirmen zusammen, manchmal kam aus einer Garageneinfahrt ein Geruch nach Müll oder Pferdedung herausgeschossen. Das Wasser des Sankt-Lorenz-Stroms plätscherte kühl und war ganz nah, schliesslich liegt die Altstadt direkt am Hafen, wie es sich gehört. Dennoch ist das Wasser in Montréal seltsam unzugänglich, denn von Infrastrukturen verbaut: Hafenanlagen, Lagerhallen, Züge und Kaimauern wehren diejenigen ab, die versuchen könnten, die Hand ins Wasser zu strecken oder gar baden zu wollen. Es gibt zwar einen (künstlichen) Strand in Alt-Montréal, der aber nur Sand und Liegestühle bietet, aber keine Bademöglichkeit. Das haben die Stadtplaner Generation um Generation versautbaut.

In dieser Hitze gehen die Leute einander auf die Nerven. Väter herrschen ihre halbwüchsigen Söhne an, die in schiefer Körperhaltung vor ihnen gehen, die Hände in den Hosentaschen: "Wie du läufst!", als hätten sie sie das ganze Jahr über nicht gehen sehen. "Können wir jetzt ins Hotel zurück?", fragen die Söhne als Antwort, um sich zu rächen. Die Mütter überlegen sich, wie es wohl wäre, getrennt Urlaub zu machen - die Kinder in ein Feriencamp, wo ein Sportangebot das andere jagt, nur kurz unterbrochen von diversen Computerspielpausen und Essenszufuhr ohne Ende, während die Eltern in Ruhe besichtigen können, die Zeitung lesen, einen Aperitif trinken und sich ein Konzert anhören. Selbst ein Eis bringt nicht die Rettung, die man sich davon versprochen hat, denn als das kleine Mädchen mit ihrem rosablauen Eis aus der Eisdiele ins Freie tritt, sagt sie empört: "Das schmeckt gar nicht nach Kaugummi!"

Lilli geht ins Tourismusbüro und holt Prospekte für ihren Bruder, der sie in zwei Wochen besuchen kommt. Montréal ist keine Stadt, die sich gut besichtigen lässt. Dazu ist das Wetter zu unberechenbar und die Sehenswürdigkeiten (zumindest für Europäer) zu unscheinbar, die Hinterhöfe und Baustellen zu allgegenwärtig. Erleben muss man sie, damit sich ihr Charme erschliesst - wenn man ihr die Chance lässt.

Montag, 6. Juli 2015

Fortschritt, nein danke

Das hiesige Freibad krümelt schon seit Jahren vor sich hin. Die Klotür hängt schief in der Angel, von den Armaturen des Waschbeckens windet sich eine Rostspur die Wand hinunter, die Papierhandtücher liegen inzwischen AUF dem Spender, anstatt in seinem (kaputten) Inneren und auf dem graugestrichenen Fussboden blinzelt an immer häufigeren Stellen das vorhergehende Blau hindurch. Hinter der Kasse ist ein Aufenthaltsraum für die zahlreichen Rettungsschwimmer, die dort zuhauf sitzen und belegte Brote oder in der Mikrowelle aufgewärmte Pizza essen, während der Kassenbeauftragte eine Strichliste der Badegäste führt - Computer oder auch nur eine Registrierkasse gibt es nicht.

Um den Beckenrand liegen bunt verteilt diverse Spielsachen, die mit ins Wasser genommen werden dürfen, dazwischen liegen Handtücher und Rucksäcke, die keiner in die (doch, doch!) dafür vorgesehenen Schliessfächer schliesst. Rasenfläche gibt es keine, Eisdiele auch nicht - man ist ja schliesslich zum Schwimmen hier und nicht zum Vergnügen.

"Herrlich", denkt Lilli, als sie durch das ungeheizte Wasser gleitet. Ein Ort, an dem die Zeit stehenbleibt und der Sommer um Sommer verlässlich gleich nach Sonnencreme, Chlor und nassen Flipflops riecht. Der jedes Jahr - die Freibadsaison dauert nur 10 Wochen - ausschliesslich von Studenten betreut wird, die ihm einen Hauch von Jungbrunnen verleihen. Und der aufgrund seiner systematischen Verwahrlosung nur mässig besucht ist. Besser könnte es für Lilli gar nicht sein. Hoffentlich kommt die Stadt nie auf den Gedanken, Lillis Freibad renovieren zu wollen.

Dienstag, 23. Juni 2015

Herr, halt ein...

Heute hat Lilli Geburtstag. Mittags ging ihre Chefin mit ihr essen, zum Nachtisch gab es Apfelstrudel mit Vanillesosse. Nachmittags brachte ihr eine Kollegin einen Cupcake mit, der so dick mit Buttercreme bespritzt war, dass Lilli ihn nur halb schaffte und trotzdem bald darauf leichte Übelkeit verspürte. Dann fuhr sie durch schwüles Wetter mit dem Fahrrad nach Hause, wo Monsieur stolz eine Schoko-Mousse-Torte aus dem Kühlschrank holte. Ausserdem hatte Lilli gestern - aus Angst, keinen Geburtstagskuchen zu bekommen - einen Zitronenkuchen gebacken.

Komisch, wie schlecht man sich fühlen kann, wenn alle es gut mit einem meinen.

Donnerstag, 18. Juni 2015

Zweiter Anlauf

Frauen ab 40 dürfen nur noch Qualität tragen, da geht kein billiger Fetzen mehr durch, da dieser weder durch charmanten Augenaufschlag noch durch knackige Haut wettgemacht werden kann. So liest es Lilli in jeder Frauenzeitschrift - wieso liest sie die überhaupt? - und genau deshalb fand sie sich am Mittwoch vor einer schicken Boutique wieder, die lauter Markensachen sowie Handtaschen und Schuhe aus garantiert echtem Leder feilbot. Fündig wurde sie dort schnell, denn tatsächlich waren die Sachen wunderschön, aus Naturfasern wie Seide und Leinen, mit ausgefallenen Mustern und nicht alltäglichen Details in guter Verarbeitung. Mit einem ganzen Arm voller Blusen, Kleidern, einem Blazer und einer Lederjacke trat Lilli an die Kasse, zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken, und freute sich schon darauf, die nächsten zwei Wochen im Büro Modenschau zu machen.

Es war ein Secondhand-Laden, logisch. "Hier kommen lauter Künstler, Medienleute und Geschäftsfrauen vorbei, die ständig neue Klamotten kaufen und sie dann nur ein-zweimal anziehen. Ich nehme nur, was höchstens eine Saison alt ist und tadellos in Ordnung", erklärte die Inhaberin. Tatsächlich haftete den Kleidern keinerlei zweifelhafter Geruch an, sie hatten keine Make-up-Flecken oder Abnutzungserscheinungen. "Warum nicht", dachte sich Lilli. Die Kleider werden recycelt, der Geldbeutel wird geschont und Lilli hat endlich mal ein paar Sachen, die nicht aussehen wie aus dem Kaufhaus.

Fragt sich nur, was sie sagen wird, wenn jemand wissen möchte, wo sie denn das tolle Seidenkleid herhat...

Mittwoch, 20. Mai 2015

Lilli ist wieder da

Sie weiss jetzt: die Flugzeuge werden aber auch immer kleiner bzw. der Sitzraum der Economy-Klasse immer weniger. Vorne ist dagegen soviel Platz, dass die Passagiere da Kissenschlachten machen. So sieht es jedenfalls aus, wenn man nach sieben Stunden Eingepferchtsein durch die Business-Klasse zum Ausgang wankt.

Zürich hat einen wunderbaren Flughafen. Wie es dort aussieht, weiss Lilli nicht so genau, aber man kann innerhalb von 45 Minuten von einem Flugzeug ins nächste umsteigen und bekommt am Ende verlässlich sein Gepäck wieder.

Dresden ist eine wunderschöne Stadt. "Haben alles wir bezahlt", sagen Lillis Eltern wohl nicht zu unrecht. Dort ist nicht nur alles schön nah beieinander, es gibt auch alle 50 Meter einen Bäcker. Laugenbrezeln gibt es zwar nicht, dafür aber viele ausländerfreundliche Spruchbänder, die von öffentlichen Gebäuden hängen.

Lillis Freundin hat ein viel besseres Objektiv als Lilli. Deshalb weiss Lilli jetzt auch, was sie sich zum Geburtstag wünscht.

Donnerstag, 30. April 2015

Tor oder Nicht?

Die Montrealer Fussballmannschaft, die gestern abend gegen Mexico gespielt hat, hatte einen deutschen Torwart. Warum? Keine Ahnung. Jedenfalls hiess der Mann Nicht, was Lilli ein unerwartet heiteres Fussballgucken beschert hat.

Montag, 27. April 2015

Lilli im Theater

Samstag abend war Lilli im Theater, Fred Pellerin zuhören. Der Erzähler ist schwierig in eine Kategorie einzuordnen: er erzählt Geschichten, die ihm seine Oma über die Dorfbewohner erzählt hat - von dem Jungen, der ohne Schatten auf die Welt kam, von der Frau, die so lange schwanger war, dass ihr Sohn erwachsen auf die Welt kam, von dem Baum, in dem eine Uhr wuchs und vom Friseur, der einen flüssigen Kalender erfand. Das ist Québecer Folklore gemischt mit fantastischen Elementen gemischt mit Beobachtungen über unsere moderne Welt. Sehr poetisch jedenfalls und so mitreissend, dass die zweieinhalb Stunden Erzählen, versetzt mit ein paar Liedern, im Flug vorbei waren. Hinterher wollte Lilli nicht, dass es zu Ende geht, obwohl ihr die Augen zufielen, wollte nicht weg von dieser seltsamen Welt und diesem lustigen Männlein, das nur den Mund aufzumachen braucht, um ein Universum an Personen, Tieren und Orten heraufzubeschwören.

Wenigstens ein Eis wollte sie noch essen gehen, aber es war nicht nur viel zu kalt draussen, es war auch alles zu. In Montréal dauert es lange, bis der Frühling kommt.

Donnerstag, 23. April 2015

Kalte Ironie

In Lillis Büro hängt ein Monitor, der alle möglichen Nachrichten bringt und, damit die Leute auch wirklich draufgucken, auch den aktuellen Wetterbericht. Heute stand eine Kollegin davor und meinte ungläubig: "Ist das wirklich für dieses Wochenende?" "Nein, wir lassen gerade das Wetter von Ende November laufen", sagt Lilli und rollt verzweifelt die Augen. Für Samstag ist genau 1 Grad vorgesehen...

Dienstag, 21. April 2015

Lilli und die Physik

Die Tochter eines Freundes hat sich den kleinen Zeh gebrochen. Sie ist 18 Monate alt. Lilli überlegt sich, wie das gehen soll. Ein Rippchen Schokolade kann man schliesslich auch nicht zerbrechen, sondern muss es ganz in den Mund stecken.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 5862 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

Credits

Web Counter-Modul


Laufen
Lillis Positiv-Pakt
Mitmenschen
Reise in den Abgrund
Selbständig arbeiten
Strolche
Zeitmanagement
Zonstiges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
Blog Top Liste - by TopBlogs.de Blog Verzeichnis Bloggeramt.de