Donnerstag, 17. Juli 2008

1x1 für Freelancer - die Wichtigkeit des Drüberschlafens

Auch vom Laufen soll hier ab und zu die Rede sein, nicht wahr, so hatten wir uns das vorgenommen. Seit Sommeranfang läuft Lilli also eine Stunde später als sonst, und alles ist anders: die Luft ist wärmer, dafür aber auch ein paar Grad schmutziger, die Sonne steht höher am Himmel, mehr Leute sind unterwegs, und zwar trotz Rezession und steigender Benzinpreise mit erstaunlich vielen Kaffeebechern in den Händen. Eines aber bleibt unverändert: Beim Laufen kommen Lilli die besten Gedanken, und zwar völlig ungefragt.

Gestern kam ich bei einer Übersetzung einfach nicht auf das richtige Wort. Es ging darum, dass Aushilfskräfte in Herstellungsbetrieben oft gefährdeter sind als erfahrenere Arbeiter, da sie Risiken nicht so schnell erkennen. Ihre Sichtweise der Risiken, ihre Wahrnehmung der Risiken, ihre… ich kam einfach nicht drauf. Heute morgen lief ich am Baumarkt vorbei, vor dem ein riesiger Laster stand, der so aussah, als würde er gleich den Hang hinunter- und auf mich draufrollen. Instinktiv ging ich deshalb im Bogen um den Laster herum und beglückwünschte mich für mein …Risikobewusstsein! Das Wort blinkte in meinem Gehirn auf, als wäre es aus Neonschlangen zusammengesetzt, die für ein billiges Motel werben. Deshalb hatte ich die Übersetzung gestern ja noch nicht abgeschickt – es fehlte der letzte Schliff, die letzte Eingebung, die oft erst kommt, wenn man einmal drüber geschlafen hat. Deshalb, liebe Freelancer: Euer Kopfkissen ist Euer bester Freund.

Mittwoch, 16. Juli 2008

Das schönste Geschenk

Lilli hatte Geburtstag und konnte nicht glauben, dass Monsieur sich tatsächlich für sie frei nehmen wollte. Der Frühstückstisch war gedeckt, Geschenke aufgestapelt, Glückwunschkarten an Blumenvasen gelehnt. Das eigentliche Geschenk: Monsieur ging mit ihr Klamotten kaufen, und er war es, der Sachen aussuchte, prüfend an sie dranhielt, sie mit Kleiderbergen in die Umkleidekabine schickte. In einem Laden wurde Monsieur ein Sessel angeboten, in dem er sich ausruhen sollte, während Lilli die Runde machen würde, und Lilli hatte großen Spaß daran, die Verkäuferin zu belehren, dass nicht sie, sondern Monsieur heute was für sie aussucht. Er sah Lilli richtig an und konzentrierte sich nur auf sie, auf das Hier und Jetzt, und diskutierte Farbtöne und Saumlängen mit den Verkäuferinnen, dass diese ob so viel Galanterie zu kleinen neidischen Zwerginnen zusammenschrumpften. Jetzt hängen die neuen Anschaffungen in Lillis Kleiderschrank, aber das Gefühl, für einen Nachmittag lang wieder die Hauptperson in Monsieurs Leben gewesen zu sein, hängt noch in ihrem Herzen rum und wärmt sie wie eine Heizdecke, die jemand wohlwollend auf ihre Schultern gedrückt hätte.

Und dabei sind für heute 27 Grad angesagt.

Dienstag, 15. Juli 2008

Einmal umrühren, bitte!

Im Feriencamp der Strolche wurde übrigens so eifrig gesungen, dass zum Abschluss ein richtiges kleines Konzert fällig war, bei dem auch „Bruder Jakob“ auf französisch, englisch und (weiß der Himmel warum) deutsch gegeben wurde. Da wallte in Lilli mal wieder die Rührung auf, obwohl sie das normalerweise in der Öffentlichkeit gerne verhindert. Ist Lilli glücklich mit ihrem Leben in Montréal? Ja. War es die richtige Entscheidung, vor 14 Jahren nach Kanada auszuwandern? Absolut. Treten ihr Tränen in die Augen, wenn sie Kinderstimmen auf Deutsch singen hört? Jedes Mal.

Blick mit Dolch

Feriencamps sind eine feine Sache. In den letzten zwei Wochen haben die Strolche einen Gutteil ihres Tages damit verbracht, Fechten zu lernen, Schach zu spielen, Gitarre und Schlagzeug zu üben, im Chor zu singen und – da das organisierte Vergnügen zweisprachig ablief - so ganz nebenbei auch noch englisch zu lernen. Am letzten Tag fand die große Vorführung für die Eltern statt, bei der Lilli vor allem das Schlagzeug ins Auge stach. Nachdem der kleine Strolch ein überraschend fetziges Solo hingelegt hatte und noch ein bisschen Zeit war, wagte Lilli sogar, zu fragen, ob sie nicht selbst mal Hand anlegen dürfte. Der Blick, den sie daraufhin von dem 19-jährigen Schlagzeuglehrer (kleines Bärtchen, Diamant im Ohr) erntete, sprach zwar seine Anerkennung aus – „Das war noch nie da, dass eine Mutter fragt, ob sie auch mal darf“ – leider aber auch seine Überraschung, dass eine Frau in doch schon gesetztem Alter so was noch wagt. Ja, lieber Junge, merk dir das: Mütter sind nicht nur Mütter, sie haben auch einen Kopf, ein Herz, zwei Beine und alles, was dazwischen liegt. Und manchmal haben sie einfach eine unbändige Lust, so richtig auf die Pauke zu hauen!

Montag, 14. Juli 2008

Die schreckliche, schreckliche Unbekannte

Die Frau sieht nicht eigentlich krank aus. Beim näheren Hinsehen fallen zwar die abrasierten Augenbrauen auf und die schlechten Zähne, auch die hellen Augen wirken außergewöhnlich durchdringend, aber eine Krankheit kann ein Außenstehender trotzdem nicht gleich vermuten. Das ist ja gerade das Schlimme bei psychisch Kranken – da das Auge ihren Zustand nicht wahrnimmt, will auch das Gehirn nicht gleich folgen. Lilli reagiert also so, wie viele es tun, wenn sie zum ersten Mal auf einen Menschen mit einer psychischen Störung treffen, und versucht, ein normales Gespräch zu führen. Dies aber ist genauso ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen wie der Versuch, einen Gelähmten zum Jogging zu überreden oder einem Einarmigen das Stricken beibringen zu wollen. Das Gespräch ist kein Gespräch, sondern eine Abfolge von widersprüchlichen Aussagen, die Lilli zu kommentieren versucht, während die Frau hartnäckig Lillis Antworten ignoriert. Jeglicher Versuch von Logik oder gesundem Menschenverstand (noch nie war Lilli die Trefflichkeit dieses Ausdrucks so sehr aufgefallen) rennt gegen eine Wand, prallt dort ab, zerbröckelt zu einem jämmerlichen Nichts. Als es Zeit wird, zu gehen, gibt die Frau Lilli ein Stück Papier mit: ein Diktat für die Strolche mit den „wichtigsten Wörtern, die man im Leben wissen muss“: amour, velour, Dieu, deux, aimer, aider, agrumes, légumes (Liebe, Samt, Gott, zwei, lieben, helfen, Südfrüchte, Gemüse – auf französisch reimen sich diese Worte paarweise, was der Frau zu gefallen scheint). Ganz unten noch ein Satz: „Sammler sind meist unglückliche Menschen.“ Lilli schließt die Tür hinter sich, ausgelaugt. Sie ist froh, diese schreckliche, schreckliche Unbekannte hinter sich lassen zu können, die die Ärzte Schizophrenie nennen.

Freitag, 11. Juli 2008

Balsam für die Seele

Die eigenen Kinder versetzen einen immer wieder mit den winzigsten Kunststücken in Entzücken. Der große Strolch hat zum Beispiel entdeckt, dass er auch Blockflöte spielen kann, indem er durch ein Nasenloch in sie reinpustet. Und der kleine Strolch kann mit der Hand in der Kniekehle einen täuschend echten Furz produzieren, den er stolz „Gelenkfurz“ nennt. So finden jeden Tag bei uns Konzerte statt, die allen Anwesenden demonstrieren, wie erhebend doch Kunst für die Seele sein kann.

Donnerstag, 10. Juli 2008

Traumdeutung, ach wirklich?

Eine Freundin hat Lilli vor kurzem gefragt, ob sie nicht mit zu einem Vortrag über Traumdeutung kommen möchte.

Mal sehen: Heute nacht habe ich geträumt, dass meine Schwiegermutter mir einen einzelnen grünen Stiefel schenkt. Gestern nacht war ich auf einer türkischen Hochzeit und sah dem Brautpaar zu, wie es auf einem ewig langen Perserteppich paradierte, aber tanzen durfte ich nicht. Und die Nacht zuvor habe ich ein Kind geboren, eine Tochter, deren Geburt mir deshalb seltsam vorkam, weil ich irgendwie nicht wusste, dass ich schwanger war.

Da geh ich mal lieber nicht hin, zu dem Vortrag.

Mittwoch, 9. Juli 2008

Als Lilli fünf war, ist ihr das schon einmal passiert

Lillis Nachbarin läuft ihr in den Garten hinterher und verlangt, dass Lilli ihr zuhört, da sie ein besonderes Anliegen vorzubringen hat. Lilli schleppt einen Sack Kompost aus Fischabfall und ist mindestens so schlecht gelaunt wie die Schalentiere, die zur Herstellung des Komposts verwendet wurden. Trotzdem bringt sie ein Lächeln zustande und hört sich an, was sich als ein neues an den Haaren herbeigezogenes Problem der Nachbarin entpuppt: Lilli grüßt die Nachbarin nicht, oder nicht herzlich genug, was doch nicht anginge, schließlich wohne man doch so nah beieinander. Während Lilli diese Anschuldigung auf sich wirken lässt, tun sich zwei mögliche Szenarien vor ihrem innerem Auge auf:

1. Lilli tut erstaunt, entschuldigt sich für all die Male, wo sie die Nachbarin übersehen haben sollte, und versichert ihr, dass es bestimmt nur daran liegt, dass Lilli immer mal wieder völlig in Gedanken durch die Welt spaziert. Danach wären beide Beteiligten zufrieden gewesen, denn die Nachbarin hätte Lilli zu verstehen gegeben, dass sie sie unmöglich findet, während Lilli sich in ihrer Einschätzung bestätigt gefühlt hätte, dass die gute Frau zu viel über andere nachdenkt, weil sie wohl sonst nichts zu tun hat.

2. Lilli sagt die Wahrheit, nämlich dass sie die Nachbarin keinesfalls durch ein zu herzliches Grüßen dazu auffordern will, sie in ein Schwätzchen wie dieses zu verwickeln. Nicht, weil Lilli etwa ein generell menschenverachtendes Persönchen wäre, sondern lediglich, weil sie nun mal genau diese Nachbarin nicht sonderlich leiden kann, aus mehreren, vielfältigen, persönlichen und ganz und gar subjektiven Gründen natürlich. Danach wäre die Nachbarin beleidigt und Lilli geknickt gewesen, da es ihr keinen großen Spaß macht, anderen Leuten den Tag zu verderben.

Noch bevor sich Lilli für das eine oder andere Szenario entscheiden kann, legt die Nachbarin ganz unverblümt nach: „Vielleicht liegt es ja daran, dass du Deutsche bist, dass du so unnahbar bist.“

! ! ! Und das von jemandem mit Hochschulabschluss ! ! !

Da zieht Lilli es dann doch vor, Szenario Nr. 1 durchzuspielen und freundlich zu tun. Sie kann schließlich nicht verantworten, dass ganz Deutschland in den Schmutz gezogen wird und von nun an bei der Nachbarin, die in ihrem ganzen Leben eine einzige Auslandsreise gemacht hat, als Land des Nichtlächelns unten durch ist. Ärgern tut sich Lilli natürlich doch, dass ihr Verhalten einer Einzelperson gegenüber auf das ganze Land umgelegt wird. Nächstens wird sie verlangen, dass die Nachbarin Lillis Freunde anruft, damit die ihr bescheinigen können, dass Lilli eine absolut hinreißende, manchmal durch Schüchternheit etwas ungeschickt oder gar verschlossen wirkende, dennoch großzügige und warmherzige Person ist. Denn solche Freunde hat Lilli tatsächlich, auch unter Kanadiern, allerdings hat sie sich diese selbst nach dem Kriterium der gegenseitigen Zuneigung ausgesucht und nicht danach, ob sie nun in der gleichen Straße wohnen oder nicht. Ts.

Dienstag, 8. Juli 2008

Lilli und der Inder

Lilli hat ein aufregendes Leben, manchmal wenigstens. So war sie am Samstag nichtsahnend mit Mann und Maus auf dem Weg zur Schwiegermutter, als plötzlich ein Abstecher auf ein Frachtschiff aus Hongkong gemacht werden musste. Nachdem der Weg zur Anlegestelle an haushohen Bergen von Schotter unterschiedlicher Färbung vorbei (wahrscheinlich Koks, Erz und all so was, aber wer kann das schon ohne Untertitel erkennen?) endlich gefunden und die mit Schmiere schwarz glänzende Gangway erklommen worden war, wurden Lilli und die Strolche vom indischen Chefingenieur überaus herzlich an Bord in Empfang genommen. Sie haben ein rotes Gebräu aus Rosenblättern und Kräutern getrunken, das direkt aus Indien kam und nicht nur den Körper, sondern auch den Geist erfrischen sollte (entsetztes Kopfschütteln der Strolche), dazu Mars-Riegel gegessen (schüchternes Nicken der Strolche, gefolgt von zufriedenem Kauen), die Brücke besichtigt und über Kinofilme, Musik und Kricket gesprochen – was die Besatzung manchmal in den Laderäumen spielt, wenn diese leer sind. Die Zeit verflog, und Lilli musste daran denken, wie seltsam es doch ist, dass man immer wieder an den seltsamsten Orten Menschen wie diesen charmanten jungen Inder kennenlernt, die einem völlig fremd sind, denen man sich aber sofort nah und verbunden fühlt, obwohl ihr Leben in völlig unterschiedlichen Bahnen verläuft. Heute ist der Inder, dessen Vornamen „gewinne jetzt“ bedeutet, auf dem Weg nach Polen, während Lilli hier sitzt und die Begegnung wie einen weiteren glatten Kieselstein in ihr Erinnerungskästchen legt.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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