Mitmenschen
Immer wieder erhält Lilli Mails, die ungefähr so lauten: „XY ist eine Deutsche, die vor kurzem in Montréal angekommen ist, vielleicht kannst du sie ja mal anrufen, wäre doch nett für euch beide.“ Die wohlmeinenden Leute, die Lilli so ansprechen, denken immer genau nach den gleichen Strukturen. Sie denken:
1. Leute mit gleicher Nationalität müssen automatisch eine Verbundenheit verspüren, vor allem im Ausland.
2. Neuankömmlinge brauchen immer Hilfe.
Soso. Und obwohl Lilli keine überschäumend herzliche Person ist, die auf Fremde mit offenen Armen zugeht, überwindet sie das dämliche Gefühl, das sie jedes Mal dabei hat, und ruft die „Neue“ tatsächlich an – auch, um demjenigen, der sie darum gebeten hat, einen Gefallen zu tun, aber hauptsächlich, weil sie weiß, wie man sich fühlt, wenn man irgendwo fremd ist. Da sucht man nach Informationen über Impfungen und Sportvereine, aber auch nach ein bisschen Trost und Zuspruch, dass alles schon irgendwie werden wird. Dieses „Gefühl der Verbundenheit“ aber, von dem irgendwie aufgrund der gleichen Nationalität ausgegangen wird, ist eine Utopie, denn die gewisse Chemie, die zwischen Freunden herrscht, muss sich auch im Ausland einstellen, sonst fühlt man sich dem Deutschen am anderen Ende der Leitung genau so verbunden wie einem Marsmenschen mit Schwanz und Antenne.
Gestern also ruft Lilli eine gewisse Uschi an, die vor kurzem in Montréal gelandet ist, und bietet ungeschickt ihre Hilfe an – nur um zu hören, dass Uschi 30 Jahre lang in Frankreich gelebt und deshalb keinerlei Sprachprobleme hat, hier auf Familienmitglieder zählen kann, schon ein paar Mal in Montréal zu Besuch war und insgesamt überhaupt auf niemanden angewiesen ist. Als Lilli anbietet, doch mal zum Kaffee vorbeizukommen (eine Einladung, die sie hier nur selten ausspricht, da der Durchschnittskanadier bei einer derartigen Aktivität weder weiß, wann sie anfängt oder aufhört, noch, was er dabei wohl zu essen erwarten kann), nimmt Uschi diese nur zögernd an und in einem Ton, der zu verstehen gibt, dass sie damit Lilli einen Gefallen tut und nicht umgekehrt.
Es gibt also Deutsche und Deutsche – sagen wir mal die Ungelenkigen, die im Ausland erst einmal aufgeschmissen sind, weil sie nur das Leben in Deutschland kennen, und die Weltgewandten, die zwar einen deutschen Pass, aber die Seele eines Weltenbummlers haben. Dann gibt es sympathische Deutsche und solche, mit denen man nichts zu tun haben möchte, auch wenn sie die einzigen Deutschen auf 1000 km Entfernung wären. Je länger man darüber nachdenkt, umso schwieriger fällt einem eine Definition des Begriffs „Nationalität“. Ist Lilli denn noch deutsch, wenn sie keinerlei Drang verspürt, irgendwann einmal wieder in Deutschland zu leben? Wenn sie anfängt, nach Wörtern zu suchen, die ihr nur auf Französisch einfallen? Für Lilli steht nur eines fest: wer das Prinzip des Nachmittagskaffees kennt und aktiv unterstützt, darf sich dazuzählen. Und wer weiss, was Brezeln sind.
Lilli legt los - 3. Okt, 09:15
Es war ein Mal ein kleiner Junge, der Schiffe liebte. Keine kleinen Segelboote oder Motorjachten, sondern große Schiffe, Frachter, Tanker, Schleppschiffe und all so was. Seine Sommer verbrachte er am Ufer eines großen Flusses, an dem er Tag für Tag die großen Schiffe beobachtete, die dort vorbeizogen. Bald kannte er sie alle mit Namen, er konnte sie an ihren Schornsteinen und Kränen auseinanderhalten und vorhersagen, ob sie leer oder aber mit Koks, Benzin, Salz oder Weizen beladen waren. Mit Hilfe seiner großen Schwestern nähte er sich bunte Fahnen, die den Fahnen der verschiedenen Reedereien glichen, und schwenkte sie als Gruß. Manchmal hupte das Schiff dann, um ihn zurück zu grüßen, und das war für den kleinen Jungen wie ein Geschenk. Als er 13 Jahre alt war, machte er einen Schulausflug in eine große Stadt, in der eine seiner Lieblingsreedereien ihre Büros hatte. Er schaffte es, die Reederei ausfindig zu machen, stellte sich an der Rezeption vor und bat mit schlotternden Knien und einem Kratzen im Hals um eine Fahne. Und oh Wunder, jemand ließ sich von dem kleinen Jungen beeindrucken und schenkte ihm eine echte Schiffsfahne, genau so eine, wie die Schiffe der Reederei sie am Masten trugen. Sie maß 2 x 3 m und lag während der ganzen Rückfahrt im Bus ordentlich gefaltet auf seinen Knien. Viele Jahre später – der Junge hatte inzwischen nicht ohne Kummer die Idee aufgegeben, Kapitän zu werden, war in die große Stadt gezogen und arbeitete dort in einer Branche, die am Rande ein ganz klein wenig mit Schiffen zu tun hatte – erfuhr er, dass die Reederei jemanden mit seinen Qualifikationen suchte. Also genau mit seinen Qualifikationen, als sei die Stelle nur für ihn ausgeschrieben worden. Mit pochendem Herzen schickte er seine Bewerbung los und wurde tatsächlich zwei Wochen später zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Handflächen wurden nass. Er kaufte sich einen neuen Anzug, ein neues Hemd, neue Schuhe, neue Socken und zwei neue Krawatten. Er überstand das Vorstellungsgespräch und hatte anschließend ein gutes Gefühl. Fünf Tage später kam die Absage. Und da saß dann der erwachsene Mann bei Lilli am Abendbrottisch und weinte still vor sich hin. Bei genauerem Hinsehen konnte man einen 13-jährigen Jungen erkennen, dem jemand die Fahne weggenommen hatte, um darauf herumzutrampeln.
Lilli legt los - 19. Sep, 08:58
„Schön, dass Sie da sind! Kommen Sie rein, die Kommode steht bei meinem Sohn im Zimmer, am Ende des Flurs rechts. Ach ja, er schläft gerade, das stört Sie hoffentlich nicht.“ Die Menschen hier in Québec sind nett und unkompliziert. Es ist Samstag Mittag, Lilli ist bei Leuten, die sie nicht kennt, und besichtigt eine Kommode, die in den Kleinanzeigen angeboten wurde und allem Anschein nach einem 19-jährigen Jüngling gehört, der im Moment mit nacktem Oberkörper quer über seinem Bett liegt und schläft. Als Lilli prüft, wie gut sich die Schubladen öffnen und schließen lassen (nicht nur im Kopf, sondern auch im richtigen Leben ist das wichtigste an einer Schublade, dass sie gut zugeht), stellt sie fest, dass dieselbigen noch mit Unterhosen und allerlei anderem Kram gefüllt sind. Man wird sich schnell einig über den Preis, die Mutter räumt gut gelaunt die Schubladen aus, pfeffert alles aufs Bett neben ihren schlafenden Sohn und packt mit an, um das Möbelstück ins Freie zu hieven. Während Monsieur sich in Mr. Bean verwandelt, um die Kommode im Auto zu verstauen, nutzt die Mutter die Gelegenheit, um ihre Lebensgeschichte zu erzählen, die Gründe für den Verkauf der Kommode anzugeben, eine Hausbesichtigung anzubieten (die Lilli gerne mitmacht, gibt es doch nichts Aufschlussreicheres als private Räume), ein Glas Wasser darzureichen und ihre neuen Esszimmermöbel zu zeigen, die zu ihrem großen Leidwesen in Einzelteilen ("und dabei sind sie noch nicht mal von IKEA") geliefert wurden und sich bis jetzt nicht von selbst zusammengebaut haben. Lilli hat zwar sonst keine Ahnung von handwerklichen Dingen, ist aber im Umgang mit Sechskantschlüsseln geübt und hilft ihr, wenigstens den ersten Stuhl zu montieren. Danach sind alle Beteiligten glücklich über den Verlauf der Dinge und winken einander zum Abschied zu. Der große Strolch hat eine neue Kommode, Lilli hat viel Geld gespart und der 19-jährige Jüngling wird ein paar Stunden später seinen Rausch ausgeschlafen haben und sich wundern, warum eigentlich alle seine Unterhosen auf ihm draufliegen.
Lilli legt los - 15. Sep, 10:24
Im Urlaub haben Lilli und Monsieur die amerikanische Serie „Six Feet Under“ im Schnellverfahren gefuttert und für köstlich befunden. Was Lilli unter anderem deshalb genial findet, da ihr die Serie von
dieser Fußballmutter empfohlen worden war, mit der Lilli jetzt auch noch über andere Sachen sprechen kann als über ihren Krebs. Seltsam, kaum hat jemand eine schwere Krankheit, fängt man an, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Themen denn nun noch zur Konversation geeignet sind und welche auf der schwarzen Liste stehen. Darf/soll man nun nach den Fortschritten der Krankheit/Behandlung/Genesung fragen, oder ist das komplett unangebracht? Empfindet der kranke Mensch es als oberflächlich, wenn man über andere Dinge redet, oder als Drückebergerei? Oder gar als Wohltat? Vielleicht hat er ja gar keine Lust, ständig an seine Krankheit erinnert oder auf sie reduziert zu werden, und ist gottfroh, sich auch mal über Nate und Brenda äußern zu dürfen? Wie knackig Nate in Jeans aussieht, und wie schrill es ist, als Brenda vorgibt, Krebs zu haben und sich ihre eigene Beerdigung aussuchen zu wollen? Ups, das war jetzt nicht gut, Lilli. Das zählt jetzt bestimmt als doppelt tiefes Fettnäpfchen…
Lilli legt los - 9. Sep, 09:23
Lilli ist zum Mittagessen mit drei früheren Kolleginnen verabredet – oh ja, das gehört dazu als Freelancer, dass man sein Kontaktnetz pflegt, außerdem sind zwei davon wirklich nett. Genau diese zwei aber tauchen nicht auf, sodass Lilli eineinhalb Stunden mit einer Frau verbringt, deren Wellenlänge von Lillis eigener Wellenlänge so weit entfernt ist wie New York von Montréal (etwa 6 ½ Autostunden).
Trotzdem sprühe ich geradezu vor guter Laune, habe ich doch kurz zuvor im Schaufenster von Roots eine Handtasche entdeckt, eine rote mit langem breitem Band und witzigem Verschluss, die mich sofort anbettelte, sie zu adoptieren, und daraufhin beschlossen, diesem Gesuch gleich nach dem Mittagessen nachzukommen. Denn es ist ja nicht so, dass man etwa selbst aus freien Stücken entscheidet, eine Handtasche zu kaufen – die Handtasche bestimmt vielmehr, wer sie in Zukunft durch die Welt tragen darf, und tut ihre Wahl stumm und doch für die Auserwählte deutlich hörbar kund. Während ich also mit der Ex-Kollegin in einem Pub sitze und fettiges Fish&Chips esse, freue ich mich schon darauf, die Handtasche auf dem Nachhauseweg vom Fleck weg zu heiraten kaufen, und erzähle deshalb großzügig von meinem neuesten Hobby, dem Bloggen. „Und wie viel Zeit verschwendest du damit?“, fragt die Ex-Kollegin höflich-interessiert. Immer noch gut gelaunt erkläre ich ihr daraufhin, dass ich das Schreiben an sich und das Bloggen im Besonderen nicht als Zeitverschwendung ansehe und überhaupt: dass noch nie in der Geschichte der Welt so viele Leute an der Erstellung einer umfassenden Chronik des kleinen Mannes beteiligt waren, dass das ein Abenteuer ist und womöglich ein unschätzbarer Nachlass für kommende Generationen…. „Aber die Leute, die das während ihrer Arbeitszeit lesen, bestehlen doch ihren Arbeitgeber damit“, hakt die Ex-Kollegin störrisch nach. In mir keimt der Verdacht auf, dass sie schon lange keine neue Handtasche mehr gekauft hat, die Arme.
Ja, ja, liebe Leser, jetzt wisst Ihr’s: habt Ihr diesen Eintrag gerade während Eurer Arbeitszeit gelesen, dann seid Ihr nichts anderes als Diebsgesindel, Räuber, Banditen. Ich schäme mich für Euch!
Nachtrag von Monsieur: "Das mit den Handtaschen weiss doch jeder! So habe ich dich damals in London doch angelockt - einfach den Schrei einer Handtasche imitiert..."
Lilli legt los - 8. Sep, 10:11
Das Gute am im Ausland leben (dieses „am im“ ist schon faszinierend, oder?) ist, dass man sich eine neue Familie zusammenstellen muss, deren Mitglieder man nach Geschmack und Gefallen aussucht, anstatt sie durch Geburt aufs Auge gedrückt zu bekommen. So findet man, wenn man Glück hat, im Lauf der Zeit (keiner hat gesagt, dass es einfach wäre)
- Leute, mit denen man einfach gern zusammen ist (als Ersatz für die coole Tante);
- Leute, die wir uns als Vorbild nehmen können (als Ersatz für den großen Bruder);
- Leute, die uns anfeuern und an uns glauben (als Ersatz für die Eltern); und
- Leute, die uns um Rat fragen (als Ersatz für die kleine Schwester)
und geht ein Stückel miteinander. Manche sieht man oft, manche nur zweimal im Jahr, und die Unverbindlichkeit der Freundschaft sorgt dafür, dass das Band, das uns zusammenhält, aus Aufrichtigkeit geknüpft ist. Damit meine ich nicht, dass man einen Freund fallen lassen kann, sobald er uns nicht mehr passt. Sondern die Tatsache, dass uns keiner zwingt, jemandem zum Freund zu wählen. Tun wir es, dann aus freien Stücken, weil man die betreffende Person wirklich mag, und nicht, weil wir mit ihr verwandt sind. Wenn man sich trifft, dann deshalb, weil beide Parteien es wirklich wollen, und nicht, weil Tante Mathilde Geburtstag hat. Schön. Wunderbar.
Komischerweise findet man aber keinen Ersatz für die Oma.
Lilli legt los - 2. Sep, 10:36
Es klingelt, der kleine Strolch macht auf, holt mich dann (hab ich ihm das nicht andersrum erklärt?), zwei Männer stehen höflich auf der Matte, sind aber trotzdem keine Zeugen Jehovas – es sind Politiker. In unserem Wahlkreis finden nämlich Anfang September Wahlen statt, weshalb auch die Straßen mit Wahlplakaten gepflastert sind, über die die Strolche viele Fragen stellen. „Frau S. gewinnt bestimmt, sie hat die meisten Plakate“, sinniert der große Strolch, und ich merke, wie schwierig es ist, Demokratie zu erklären. „Frau S. sieht aus, als ob sie weint“, meint der kleine Strolch nur und bringt damit ihr gezwungenes Lächeln auf den Punkt. Jetzt aber steht Kandidat C. vor der Tür und will sein „Schpiel“ loswerden, wie es mein früherer Boss so schön auf jiddisch gesagt hätte. Zwar darf ich nicht wählen, da ich dafür erst einmal die kanadische Staatsbürgerschaft annehmen müsste, was automatisch den Verlust des weinroten Lappens (und damit der Möglichkeit, sich irgendwann einmal wieder in Deutschland oder überhaupt Europa niederzulassen, gell) mit sich bringen würde, aber die Gelegenheit, den Strolchen Politik live vorzuführen, lasse ich mir nicht entgehen. Und so rattert Herr C. vor einer Nicht-Staatsbürgerin und zwei kleinen Jungs mit großen Augen sein Programm herunter, spricht von öffentlichem Nahverkehr, Subventionen für die Kultur, fasst das Thema Umwelt mit Samthandschuhen an, zieht als letzten Trumpf die Karte, dass er wenigstens als Einziger aus der Gegend stamme, aus dem Ärmel. Alles in allem eine gute Performance, und dass er haargenau so ausshieht wie auf seinem Wahlplaket, ist ein Extrabonus. Als ich die Tür hinter ihm zumache, klingelt das Telefon. Frau S. ist dran und möchte wissen, ob sie mit meiner Stimme rechnen kann. „Ich werde überhaupt nicht wählen“, sage ich etwas (zu) unfreundlich. Jetzt, da ich einem richtigen Politiker die Hand gegeben habe, ist mir ein schnödes Telefonat nicht mehr gut genug.
Lilli legt los - 28. Aug, 07:44
Hier soll nicht der Prozess von Lillis Schwiegermutter stattfinden, oh nein, obwohl sie eine egozentrische, manipulierende, ganz und gar oberflächliche…. ...aber es wäre ja zu billig, einfach stillos. Nein, Lilli hat vielmehr vor Monaten beschlossen und in die Praxis umgesetzt, sich ihrer Schwiegermutter gegenüber wie eine Ente zu verhalten – sie lässt böse Kommentare und egoistische Manipulationsversuche an sich abperlen wie Wasser auf dem Rücken einer Ente. Ihr Mantra – „Ich bin eine Ente, ich bin eine Ente“ – sagt sie sich vor, sobald sie Gefahr läuft, sich zu sehr über die Frau aufzuregen, die auf die Ankündigung, dass ihr Sohn ein Magengeschwür hat und deshalb Stress vermeiden sollte, in etwa so reagiert: „Ach, das ist ja schrecklich, wer soll denn dann meine Steuererklärung machen?“
Früher noch habe ich mich über solche Sachen aufgeregt. Dann brachte ich viele Stunden damit zu, einzelne Kommentare und Antworten darauf in meinem Herzen hin- und herzubewegen, zu drehen und zu wenden und nach Möglichkeiten zu suchen, der Frau klarzumachen, dass sie erwachsene Leute so nicht behandeln darf. Jetzt versuche ich es also mit der Ententechnik und habe sogar entdeckt, wie ich meine Schwiegermutter und deren Verhalten auf ganz heimtückische Weise zum Vorbild nehmen kann:
Aktion: Monsieur ruft seine Mutter an, um ihr mitzuteilen, dass er zu viel Arbeit hat, um wie unverbindlich geplant am Wochenende zu Besuch zu kommen.
Reaktion: „So ist das also, du kommst überhaupt nicht mehr, kümmerst dich nicht mehr, wenn dir wirklich nichts an mir liegt, kann ich ja das väterliche Haus verkaufen und überhaupt.“
Ergebnis: Monsieur hat sofort schlagartig keine Lust mehr, irgendwann einmal wieder seine Mutter zu besuchen. Wenn er das nächste Mal hinfährt, wird es ihm so vorkommen, als müsse er sich zerknirscht fühlen und um Entschuldigung bitten wie damals, als er fünf war und aus Versehen eine Salatschüssel zerbrochen hat.
Lektion: Wir lernen von unserer Schwiegermutter! Wenn ich will, dass die Strolche mich später einmal gerne besuchen kommen, dann weiß ich wenigstens jetzt schon, wie ich mich auf keinen Fall verhalten sollte…
Lilli legt los - 27. Aug, 07:43
Hundebesitzer sind ja schon meist ganz nette Menschen, zumindest werden sich genauso viele nette Menschen darunter befinden wie unter all den anderen Leuten, die keine Hunde haben. Trotzdem kann man nicht gut mit ihnen reden, wenn sie sich ganz verbotenerweise mit ihrem Hund in einem Park aufhalten, in dem Kinder spielen. Dabei stört mich ja gar nicht so sehr die Tatsache, dass ihr Aufenthalt in diesen Parks verboten ist, also es stört mich nicht der Verstoß an sich. Es stört mich ja auch nicht der Schwarzfahrer in der Metro, und selbst die meisten Graffitisprüher lassen mich kalt. Vielmehr stört mich die Weigerung der Hundebesitzer, die Fundiertheit des Verbots einzusehen (Hunde können beißen, vor allem kleine Kinder, deren schrille Schreie und fahrige Bewegungen selbst der klügste, liebste Hund falsch interpretieren kann, außerdem sind ihre Exkremente an Orten, an denen Kleinkinder alles aufheben und in den Mund stecken, keine gute Idee, ALSO MUSS MAN DAS NOCH EXTRA ERKLÄREN?), sowie ihre Neigung, auf etwaige Bemerkungen beleidigt oder gar aggressiv zu reagieren. Das läuft meistens so ab:
Lilli und ihre Strolche spielen Ball im Park. Ein Hund kommt hechelnd angelaufen, rennt den kleinen Strolch fast über den Haufen, schleckt ihn ab, rennt weiter, beißt in den Ball. Will spielen. Der kleine Strolch läuft zu Lilli und kriecht in ihre Kniekehlen. Der Hundebesitzer kommt angetrabt, freut sich, seinen Hund zu sehen, findet seinen Hund ganz toll.
Lilli: „Entschuldigung, aber könnten Sie wenigstens Ihren Hund an die Leine nehmen? Er macht den Kindern nämlich angst. Außerdem sind Hunde eigentlich in diesem Park verboten, weil er ja für Kinder gedacht ist, nicht wahr.“
Hundebesitzer-Reaktion 1: (wie aus allen Wolken gefallen) „Ja, aber, das ist ein ganz lieber Hund. Der tut Ihrem Kind nichts.“ Ha, ha, das Risiko möchte Lilli aber nicht eingehen. Außerdem ändert es nichts an der Tatsache, dass der kleine Strolch Angst hat und nicht abgeschleckt werden möchte. Der Hundebesitzer geht kopfschüttelnd weiter.
Hundebesitzer-Reaktion 2: (beleidigt) „Mein Hund wird Ihr Kind schon nicht fressen. Es ist ja wohl genug Platz für alle da.“ Der Platz ist für Kinder da, Hunde sind hier verboten!
Hundebesitzer-Reaktion 3: (aggressiv) „Dann rufen Sie doch die Polizei!“ Hat die Polizei nicht Wichtigeres zu tun? Lilli hatte eigentlich gedacht, man könnte sich zivilisiert darüber unterhalten…
Warum darf man von Hundebesitzern nicht erwarten, dass sie auf die anderen Anwesenden RÜCKSICHT nehmen? Warum sind sie beleidigt, wenn man ihren Hund einen Hund nennt und Kinder für wichtiger hält? Warum gehen sie nicht auf die für sie reservierten Gelände, auf denen sie ihre Lieblinge frei rumrennen lassen können? Lilli jedenfalls wird, wenn es um Hunde geht, zum Tier.
Wahrscheinlich ist das ein Gen, das mit der Geburt des ersten Kindes aktiviert wird und dazu führt, dass ganz harmlose Mütter plötzlich ganz netten Menschen die Zähne zeigen.
Lilli legt los - 25. Aug, 08:48
Im Laufe des Sommers muss Lilli zu allerhand mondänen Angelegenheiten, die in unterschiedlich eleganten Rahmen stattfinden und den immergleichen Kern von Leuten mit wechselnden Zusatzgästen zusammenführen. Lilli hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie aufgrund der ihr angeborenen Größe und ihrer im Laufe der Jahre anwachsenden Absätze keine Chance hat, sich in der Menge zu verstecken, sondern im Gegenteil schon beim Eintritt in einen Raum die Blicke auf sich zieht. Tatsächlich hat sie im Studium mal gelernt, dass das Auge mit Vorliebe betrachtet, was aus dem Rahmen fällt (d.h., die Bewegung inmitten von Stillstand, die Kontrastfarbe, die geschlossene Form inmitten von Linien usw.) und weiß deshalb, dass die Leute nicht absichtlich den Kopf drehen – sie können einfach nicht anders. Folglich muss Lilli auch viele Leute grüßen, was hier entweder mit Küsschen rechts/links (und nicht rechts/links/rechts wie in Frankreich) abläuft oder mit einem Händedruck, der der Schwäbin in ihr natürlich tausendmal lieber ist. Was sie aber gar nicht leiden kann, sind die Leute, die ihr die Hand geben, ohne zu drücken. Also so was Unangenehmes! Da liegt die Hand schlaff wie ein warmer Fisch in der unsrigen, wir drücken zu und spreizen anschließend die Finger, als hätten wir sie aus Versehen in Himbeergrütze getaucht und müssten nun die einzelnen glibberigen Stücke abschütteln. Da drängt sich doch glatt die Frage auf, wieso noch niemand diesen Nichtdrückern gesagt hat, dass sie dadurch genau das hinterlassen, was man einen negativen Ein-Druck nennt? Mit anderen Worten, dass sie so bei ihrem Gegenüber sofort untendurch sind? Wobei untendurch bei Lilli – aufgrund ihrer Körperlänge, nicht wahr – ziemlich weit unten ist…
Lilli legt los - 20. Aug, 08:17